Gera. Gastbeitrag des Thüringer Transformationsexperten Christian Rau zur Lage im Land angesichts der wachsenden Zustimmung für eine antidemokratische Partei: Er sieht auch Probleme im Westen.

Die Wahl des ersten AfD-Landrats in Sonneberg kam für viele überraschend. Meldungen vom „Schock-Sieg“ oder „Schock-Wahl“ machten die Runde. Historisch betrachtet aber verwundert die Wahl kaum. Sie ist vielmehr Symptom eines toxischen Gemischs aus autoritären Tiefenstrukturen sowie Nachwirkungen der SED-Diktatur und der Transformation im Osten.

Nein, das Erstarken einer profaschistisch-antidemokratischen Partei ist kein Ost-Phänomen. Gerade in Zeiten tiefgreifender Veränderungen kommen anschlussfähige Werthaltungen überall in Europa, ja in der Welt zum Vorschein. Demokratien sind historisch recht junge Phänomene. Sie gingen selbst aus autoritären Regimen hervor und wurden immer wieder von antidemokratischen und vergangenheitsverklärenden, faschistischen und kommunistischen Kräften herausgefordert oder gar zerstört. Diesen historischen Ballast tragen alle Demokratien mit sich. Dessen müssen sie sich bewusst sein. Dass bei aller Kritik am Osten auch in Westdeutschland jeder Dritte fremdenfeindliche Haltungen zeigt, verwundert daher kaum. Dennoch gibt es Ost-West-Unterschiede – so im Umgang mit Nationalsozialismus und Holocaust. In Westdeutschland hat die Auseinandersetzung mit NS-Verbrechen eine gesellschaftliche Sensibilität erzeugt, die auch die Zivilgesellschaft stärkte. In der DDR wurde der „Antifaschismus“ zur Staatsdoktrin erklärt. Die DDR galt als immun gegen Faschismus, das Erbe Hitlers wurde zum Problem des Westens erklärt. In der DDR konnte man also die Tatsache ausblenden, dass auch sie, wie die Bundesrepublik, auf dem Boden eines faschistischen Regimes wuchs.

Revolution von 1989 nur oberflächlich Siegeszug der Demokratie

Die Revolution von 1989 war indes nur bei oberflächlicher Betrachtung ein Siegeszug der Demokratie. Der schnelle Wandel der Parole „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“ verdeutlicht dies. Die meisten Ostdeutschen erwarteten wie selbstverständlich einen schnellen Aufschluss zu westdeutschem Wohlstand und Ordnung. Für Demokratie als Wert kämpfte nur noch eine große Minderheit, von der nur ein Bruchteil in die neuen Institutionen und Strukturen wanderte.

Bald überdeckten die Probleme der Transformation das Geschehen. Neue Verwerfungen zwischen Ost und West entstanden. Demokratiebildung wurde vernachlässigt. Der Westen ließ sich von der Revolution und der geglaubten Festigkeit der Demokratie in Ost wie West blenden. Auch die vielen ostdeutschen Arbeitskämpfe in den Treuhand-Jahren, die stets auch Kämpfe gegen die Behandlung als „Bürger zweiter Klasse“ waren, wurden nicht als Demokratieproblem, sondern als Nebenerscheinungen einer „alternativlosen“ Transformation betrachtet. Rechtsextremismus, der schon in der späten DDR gedieh, konnte durch neurechte Initiativen aus dem Westen, den Schock der Transformation und den Abruf tief verankerter autoritärer Haltungen weiter blühen. Eine zivilgesellschaftliche Gegenkraft erwuchs dagegen kaum. Zivilgesellschaft und Demokratie sind auch im Westen nicht selbstverständlich. Im Osten aber müssen sie dringender denn je gefördert werden, anstatt weiter Brandmauern einzureißen.

Das könnte Sie auch interessieren: