Rom. In Süditalien kommen Schlauchboote mit Flüchtlingen unbemerkt an Land. Die Angst, von der Polizei entdeckt zu werden, ist stetsdabei.

Meistens kommen sie nachts, wenn es still wird im Hafen von Lampedusa. Gegen ein Uhr schließen die Fischbude an der Mole und auch das oben am Felsen gelegene Restaurant. Auf der Straße ist dann niemand mehr. Zu hören sind nur noch die Wellen, die gegen die Schiffe der Finanzpolizei oder die kleinen Jachten schlagen. Das ist die Zeit, wenn sich die Schlauchboote lautlos dem Hafen der gleichnamigen Insel nähern, die zwischen Sizilien und Tunesien liegt. Sie verfügen über keine Transponder, die ihre Position anzeigen würde. Mal haben sie zehn, mal 20, mal 30 Flüchtlinge an Bord.

Zuvor hatten Schlepper die Menschen wenige Kilometer vor dem Hafen von größeren Schiffen in die kleineren Kunststoff-Boote gesetzt. Die meisten Migranten suchen sich zunächst einen Schlafplatz, bevor sie am nächsten Morgen von der Polizei entdeckt werden. Mehrmals pro Woche geht das so.

Vor Lampedusa: Die Schleuser transportieren Flüchtlinge und Zigaretten

Aber auch an verschiedenen Küstenabschnitten Italiens kommen immer wieder kleinere Flüchtlingsschiffe an. Mitten an einem heißen Augusttag verfolgen Strandurlauber am Felsen von Punta Bianca in Sizilien, wie ein weißes Boot aus dem Nichts auftaucht. Was aus der Ferne wie ein kleines Motorboot aussieht, entpuppt sich wenig später als Fischkutter, an dessen Deck sich mehrere Dutzende Flüchtlinge drängen.

Italien verbietet Pflichterfüllung

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    Noch bevor er das Ufer in der Nähe der Stadt Agrigent erreicht, wird der Motor abgeschaltet. In Windeseile lassen sich 40 Migranten ins Wasser gleiten und waten unter den überraschten Blicken der Feriengäste an Land. Obwohl ihnen niemand folgt, laufen sie anschließend in verschiedene Richtungen davon.

    Einige von ihnen erzählen Helfern der Hilfsorganisation Mareamico, sie seien von Monastir an der tunesischen Küste aus gestartet. In kleinen Gruppen gehen die Migranten auf dem erstbesten Feldweg zur größeren Straße. Von da marschieren sie in Richtung der griechischen Tempel von Agrigent, die im Sommer viele Urlauber anziehen. Vor dem Ufer bleiben kleine Motor-, Segel- oder Fischerboote ohne Identifikationsnummer zurück.

    Selbstständig hätten die Flüchtlinge die Überfahrt nicht geschafft

    Der kleine Kutter am Fuß der Felsen von Punta Bianca sei von einem größeren Mutterboot in die Nähe der sizilianischen Küste gezogen worden, vermutet Mareamico. Aus eigener Kraft hätte er die Überfahrt über das Mittelmeer nicht bewältigen können.

    Mit kleinen Booten bringen Schleuser Menschen von Libyen und Tunesien aus unbemerkt an die italienische Küste. Während die Regierung in Rom mit anderen EU-Ländern über die Verteilung Geretteter der „Alan Kurdi“ oder der „Open Arms“ streitet, gehen auf Lampedusa, Sizilien und in Süditalien bis zu 200 Menschen pro Tag an Land, schätzt das Innenministerium.

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    kürzlich im Parlament ein Sicherheitsgesetz durchgeboxt, das drakonische Strafen für private Seenotretter vorsieht. Die Schleuser reagierten blitzschnell mit neuen Transportwegen.

    Als Codewort benutzen die Schleuser die Bezeichnung „Schafe“

    Die im Gesetz enthaltene Möglichkeit der Beschlagnahmung von Schiffen sehen italienische Schmuggler offenbar als Chance. Außer Menschen bringen sie auch Zigaretten von Tunesien nach Sizilien. Die Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft in Palermo deckte vor Kurzem ein Netzwerk mit kleinen Boote von bis zu 300 PS auf.

    In abgehörten Telefongesprächen nannten die Schleuser die Flüchtlinge „Schafe“, die es zu transportieren gelte. Die Migranten zahlten nach den Erkenntnissen der Ermittler zwischen 1500 und 4000 Euro für die Überfahrt. Mindestens 25.000 Euro verdienten die Schmuggler pro Fahrt allein am Zigarettenschmuggel.

    Ein Teil der Flüchtlinge, die mit kleinen Booten nach Italien kommen, wird erkennungsdienstlich behandelt und in ein Erstaufnahmezentrum gebracht. Einigen gelingt es, unerkannt zu bleiben. Sie wollen sich nach Deutschland und in skandinavische Ländern durchschlagen, um dort Asyl zu beantragen.

    Viele Migranten sind in Italien obdachlos

    Über Tunesien kommen überwiegend Migranten aus afrikanischen Ländern. Aus Libyen gelangen derzeit vor allem Iraker und Pakistaner nach Italien. Je härter die Behörden gegen Migration vorgehen, desto attraktiver wird das Schmugglergeschäft auch für die organisierte Kriminalität in Italien. Bei den Menschenhändlern in Sizilien brachten die Ermittler dieser Tage den Verkauf fiktiver Arbeitsverträge für Flüchtlinge ans Licht. Viele Menschen, die wegen ihrer Herkunftsländer humanitären Schutz genießen, werden obdachlos, wenn sie nicht vor Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung einen regulären Arbeitsvertrag vorweisen können.

    Dem Sicherheitsgesetz zufolge dürfen sie mit abgelaufenen Papieren nicht arbeiten. So werden nach Schätzungen des Forschungsinstituts ISPI Ende 2020 bis zu 140.000 Migranten in Italien obdachlos. Zusätzlich zu den 500.000 Flüchtlingen, die ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung im Land sind.