Berlin. In der Debatte um Kohle- und Atomkraftwerke kommt die Klimabewegung kaum vor. Woran es Fridays for Future zurzeit am meisten fehlt.

Vor wenigen Tagen postete Fridays for Future (FFF) auf ihrem deutschen Instagram-Kanal einen Beitrag, der an ihren Start im Jahr 2018 erinnerte. Tatsächlich ist es inzwischen mehr als 200 Wochen her, dass die Schwedin Greta Thunberg mit dem „Skolstrejk för Klimatet“-Plakat eine globale Klimabewegung auslöste.

Millionen Fridays-for-Future-Anhänger demonstrierten weltweit und lautstark. Das Klima war vor dem Ukraine-Krieg und vor der Corona-Pandemie das beherrschende politische Thema.

Fridays for Future: Keine kurzfristigen Lösungen

Doch knapp vier Jahre nach Thunbergs erstem Protest, während eines G7-Gipfels, auf dem es normalerweise um den Kampf gegen den Klimawandel gehen müsste, diskutiert Deutschlands Regierung über die verstärkte Nutzung von Kohle- und Atomkraft, um im nächsten Winter nicht frieren zu müssen.

Der Ausbau erneuerbarer Energien, wie Fridays for Future ihn seit Jahren fordert, ist nicht mehr oberste Priorität, wenn es um kurzfristige Lösungen geht. Wenn Russland plötzlich kein Gas mehr exportieren sollte, Windräder und Solarfelder aber erst gebaut werden müssten, hätte Deutschland ein Problem.

Wie die Klimabewegung aus der Debatte verschwand

Ein Problem hat auch Fridays for Future. Am 20. September 2019, einem der bedeutendsten Tage der Bewegung, gingen beim „3. Globalen Klimastreik“ noch rund 1,4 Millionen Menschen bei 575 Aktionen in Deutschland auf die Straße. Allein in Berlin waren es Schätzungen zufolge mehr als 200.000 Menschen, die gegen die Nutzung fossiler Energieträger wie beispielsweise Braunkohle, Erdgas oder Erdöl protestierten.

Mit der einsetzenden Corona-Pandemie rückte das Thema erstmals in den Hintergrund. FFF machte zwar weiter, „streikte“ online oder mit Abstand, verschwand aber von den Titelseiten der Zeitungen, rückte ans Ende der großen Nachrichtensendungen. Als im Februar dieses Jahres der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann, nahm die mediale Präsenz merklich ab.

Selbst Wirtschaftsminister Habeck brach mit Grundsätzen

Selbst der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck, der am Donnerstag die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausrief, brach angesichts der Energiekrise jüngst mit einem seiner Grundsätze. Bei der Stromproduktion würden „Kohlekraftwerke stärker zum Einsatz kommen müssen“, sagte Habeck. Die FDP will darüber hinaus auf Atomkraft setzen.

Als die Energieversorgung noch sicher zu sein schien, konnte über klimafreundliche Alternativen für die Zukunft diskutiert werden. Nun, wo kurzfristige Lösungen hermüssen, kann die Klimabewegung mit ihren Forderungen nach erneuerbaren Energieträgern offenbar kaum etwas zur Debatte beitragen. Und das, obwohl rund 30 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland aus der Energiewirtschaft stammen. Kein anderer Sektor emittiert ansatzweise gleich viel Treibhausgase.

Was eine Medienforscherin der Bewegung rät

„Mit dem Krieg in der Ukraine ist das Thema Energiepolitik zurzeit hochrelevant. Für Fridays for Future sollte das eigentlich eine Chance sein, ihre Ideen dazu in der Debatte zu platzieren“, sagt Hannah Schmid-Petri. Die Medienwissenschaftlerin von der Universität Passau forscht zum Klimawandel in der öffentlichen Debatte und insbesondere zu Fridays for Future als Kommunikations- und Medien-Phänomen.

„Es wäre für Fridays for Future sinnvoll, mehr über Lösungen zu diskutieren“, rät die Expertin und schlägt vor, „sich stärker auf die Themen Suffizienz und Energiesparen zu konzentrieren. Man könnte beispielsweise herausstellen, dass alle etwas zum Schutz des Klimas beitragen können, wenn wir an der ein oder anderen Stelle etwas sparsamer leben oder auch Unternehmen ihre Wirtschaftsweise umstellen.“

Aktivistin Reemtsma gibt Notwendigkeit der Kohleverstromung zu

Bei Fridays for Future ist man sich der aktuellen Notlage bewusst. „Wir sehen, dass wir zurzeit bei der Energie in einer Krisensituation sind. Dass es in dieser akuten Krise jetzt die Kohleverstromung braucht, ist korrekt“, räumt die deutsche FFF-Sprecherin Carla Reemtsma ein. „Die Entscheidung von Robert Habeck, vorerst auf Kohlekraftwerke zu setzen, muss gleichzeitig der Beginn der Umsetzung des Kohleausstiegs bis spätestens 2030 sein. Darüber hinaus muss Robert Habeck einen Plan aufstellen, wie die Mehr-Emissionen, die nun auftreten, woanders eingespart werden.“

Carla Reemtsma zählt zu den führenden Personen von Fridays for Future in Deutschland.
Carla Reemtsma zählt zu den führenden Personen von Fridays for Future in Deutschland. © picture alliance / Geisler-Fotopress

Kurzfristig praktikable Alternativen zur Kohlekraft kann aber auch Reemtsma nicht nennen. „Wir sind als Bewegung nicht in der Verantwortung, konkrete Lösungspläne vorzustellen. Als Bewegung von Schülerinnen und Studierenden sind wir dazu auch gar nicht in der Position, während die Bundesregierung einen Beraterstab voller Wissenschaftlerinnen und Experten hat“, sagt Reemtsma. Dass Fridays for Future in der aktuellen Debatte keinen Fuß fassen könne, denke sie aber nicht.

Mehrheit der Deutschen ebenfalls für Ausbau erneuerbarer Energien

Tatsächlich fordern laut einer aktuellen Forsa-Umfrage zwischen 65 und 75 Prozent der Deutschen, in Zukunft vor allem auf Solar- und Windenergie sowie Wasserstoff aus regenerativer Energie zu setzen. Energieträgern wie Gas (sechs Prozent Zustimmung) und Kohle (fünf Prozent) trauen nur noch wenige Deutsche eine Zukunft zu.

Ein Meinungsbild, dass der Klimabewegung in Zukunft helfen dürfte, sie in der aktuellen Zeit aber kaum befeuert. Der Ausbau von erneuerbaren Energien ist an Genehmigungsverfahren, Bauzeiten, Fachpersonal und Material gebunden – und somit nicht bis zum nächsten Winter umsetzbar.

Fridays for Future hat zurzeit auch ein Mobilisierungsproblem

Nachdem bei den großen Klimastreiks aus Hunderttausenden schon vor Beginn des russischen Angriffskriegs Zehntausende geworden waren, scheint es bei der Klimabewegung auch ein Mobilisierungsproblem zu geben.

Aktivistin Reemtsa kann nicht bestreiten, dass zuletzt deutlich weniger Menschen demonstrierten, sagt aber: „Dass es bei der Anzahl der Demo-Teilnehmer Auf und Abs gibt, ist im klassischen Zyklus sozialer Bewegungen ganz normal. Im Jahr 2019 war durch beispielsweise die Verabschiedung des Klimapakets oder die vorangegangenen Proteste im Hambacher Forst die Aktualität besonders hoch.“

Termin für Globalen Klimastreik wird noch gesucht

200 Wochen nach ihrer Gründung plant die Klimabewegung zwar weiterhin kleine Aktionen: Bei Hildesheim ist eine Fahrraddemonstration auf der Autobahn 7 vorgesehen, im Ruhrgebiet protestieren Aktivisten gegen den Energiekonzern RWE, weil das nordrhein-westfälische Dorf Lützerath für den Braunkohleabbau weichen soll. Auch rund um den G7-Gipfel soll es verschiedene Aktionen geben.

Einen Termin für einen 10. Globalen Klimastreik sucht man seit der letzten größeren Demonstration am 25. März 2022 aber vergeblich. Reemtsma versichert, dass es einen Termin in der zweiten Jahreshälfte geben werde. Fridays for Future hofft, dann wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.

Dieser Text erschien zuerst auf waz.de.