Berlin. Den Grünen gehen die neuen Maßnahmen zum Klimaschutz nicht weit genug. Teilen der CDU sind sie zu rabiat. Altmaier warnt die Öko-Partei.

Es ist ein Satz, der viel über die Kanzlerin und ihren Politikstil sagt: „Politik ist das, was möglich ist“, sagt Angela Merkel am Freitag, als sie das Klimapaket der großen Koalition vorstellt. Mit dem Satz will sie erklären, warum die Beratungen zum Klimaschutz so spät kamen, so lange dauerten und warum sie so weit hinter den Erwartungen von Wissenschaftlern und Klimaaktivisten zurückblieben.

Merkel probiert, die Kritik an den Beschlüssen der Koalition im Voraus zu kontern: „Das unterscheidet Politik von Wissenschaft und auch von ungeduldigen jungen Menschen.“ Tatsächlich ist das Echo auf das Klimapaket überwiegend negativ. Zwar findet die Mehrheit der Deutschen laut einer ersten Umfrage die meisten Maßnahmen richtig. Dass das Paket gegen den Klimawandel hilft, glaubt aber nur ein Drittel der Befragten.

Merkels Klimaberater kritisiert Klimapaket scharf

Umweltverbände und Wissenschaftler sind schwer enttäuscht: Merkels eigener Berater für Klimafragen, Ottmar Edenhofer, der das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung leitet, nennt das 22 Seiten lange Beschlusspapier ein „Dokument der Mutlosigkeit“. Andere Experten sehen das ähnlich.

Scholz- Mit dem Klimaschutzpaket machen wir Ernst

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    In der Politik fahren vor allem die Grünen schweres politisches Geschütz gegen die GroKo auf. Parteichef Robert Habeck sagt, er sei „entsetzt“ von der „Kaltherzigkeit“, mit der sich die Bundesregierung der klimapolitischen Wende verweigere. Co-Vorsitzende Annalena Baerbock empört sich: „Die Bundesregierung ist an der Menschheitsaufgabe Klimaschutz gescheitert.“

    Zusammen mit der Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt, kündigt Baerbock am Wochenende an, dass die Grünen jetzt dafür kämpfen würden, das Klimapaket im Bundesrat nachträglich zu verschärfen: „Wir Grünen werden alles dafür tun, die klimanotwendigen Maßnahmen auf den Weg zu bringen.“

    Der Thüringer CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring stellt sich gegen Pläne der Grünen, das Klimapaket der Regierung zu verschärfen.
    Der Thüringer CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring stellt sich gegen Pläne der Grünen, das Klimapaket der Regierung zu verschärfen. © dpa | Jens-Ulrich Koch

    Der CDU-Landesvorsitzende von Thüringen, Mike Mohring, hat die Ankündigung der Grünen scharf kritisiert, das Klimapaket im Bundesrat verschärfen zu wollen: „„Die Grünen gehen rücksichtslos über die Lebenswirklichkeit jenseits der Zentren in den ländlichen und kleinstädtischen Regionen hinweg“, sagte Mohring unserer Redaktion.

    Grünen wollen sich einbringen – und beweisen

    Ausgerechnet die Grünen also, die im Bundestag die kleinste Oppositionsfraktion stellen, wollen der Kanzlerin zeigen, wie man das Klima wirklich schützt. Die Partei, die in Umfragen seit Monaten wie eine Volkspartei bewertet wird, will beweisen, dass sie diese Zustimmung verdient. Das könnte ein spannender Versuch werden, den eigenen politischen Anspruch und die Wirklichkeit in Einklang zu bringen.

    Tatsächlich müssen Teile des Klimapakets nicht nur vom Bundestag, sondern auch vom Bundesrat beschlossen werden. Dazu gehören beispielsweise die Regeln für den Ausbau der Windkraft, die Förderung des Nahverkehrs oder Änderungen im Mietrecht.

    Die Grünen sind in neun von 16 Bundesländern an der Landesregierung beteiligt. Je nach Ausgang der Koalitionsverhandlungen in Brandenburg und Sachsen könnten es sogar bald elf Regierungen sein. Die Ökopartei hat ein gehöriges Wort mitzureden. Gleiches gilt übrigens auch für die FDP und die Linke, die in einigen Ländern mitregieren.

    Özdemir spricht von einer „Riesenlücke“

    Die Berliner Koalitionspartner Union und SPD dagegen,

    die das Klimapaket verhandelt haben

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      , führen zwar noch immer die meisten Landesregierungen an. In der Länderkammer bringen sie aber nur noch zwölf sichere Stimmen auf die Waage. Die Mehrheit im Bundesrat liegt bei 35 Stimmen.

      Dass Politik – wie Merkel es sagt – nur allzu oft das ist, was möglich ist, dürften auch die Grünen wissen. In der Partei erinnern sich manche noch gut an die Jamaika-Verhandlungen nach der Bundestagswahl 2017. Damals waren die Grünen bereit, auch in der Klimapolitik symbolische Forderungen aufzugeben, um endlich wieder mitregieren zu können. Dazu zählten die konkreten Enddaten für den Kohleausstieg und für das Ende des Verbrennungsmotors bei Autos.

      Cem Özdemir, der damals als Fraktionschef seiner Partei dabei war und diesen Posten jetzt wieder anstrebt, sagt heute: „Ich wäre froh, die Regierung würde beim Klimaschutz mehr von uns abschreiben.“ Zwischen dem dringend Notwendigen und dem, was die Bundesregierung da „zusammengefrickelt“ habe, sagt Özdemir, „klafft eine Riesenlücke“.

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      Kretschmer sind die Beschlüsse zu rabiat

      Wie groß diese Lücke wirklich ist, können die Grünen in Sachsen selbst erfahren, wo sie gerade mit CDU und SPD über eine Koalition verhandeln. Ministerpräsident Michael Kretschmer jedenfalls hat seine Sicht auf die Berliner Klimabeschlüsse mit ähnlicher Deutlichkeit zu Protokoll gegeben wie die Grünen ihre Kritik daran: „Das sind sehr rabiate Maßnahmen, die einen breiten gesellschaftlichen Dialog erfordert hätten“, findet Kretschmer.

      Ein großer Teil der Menschen sei mit den Entscheidungen „überfordert“. Eine künstliche Verteuerung von Benzin, Diesel und Heizöl sei schwer zu erklären, sagt der CDU-Politiker, der sich im Landtagswahlkampf nur mit Mühe gegen die AfD durchsetzen konnte. Es bringe nichts, Bahntickets günstiger zu machen, wenn die Fahrt von Dresden nach Düsseldorf noch immer sechs Stunden dauere.

      Merkel weiß auch um den Druck der Straße

      Kretschmer steht mit seiner Kritik stellvertretend für die Bedenken in der Union, die es gegen den klimafreundlichen Kurs der Kanzlerin gibt – auch wenn sich führende Politiker wie CSU-Chef Markus Söder in einer radikalen Wende an die Spitze der Politiker gesetzt haben, die öffentlich für ein Umdenken im Klima- und Artenschutz werben.

      Merkel weiß, dass die Parteibasis diesen Schwenk noch nicht ganz nachvollzogen hat. Sie weiß aber auch um den Druck der Straße: Die weltweiten Demonstrationen für mehr Klimaschutz am Freitag waren ein deutliches Signal. Deswegen hat sie ihrer Partei auch in der Klimapolitik einen „Paradigmenwechsel“ zugemutet, wie sie es selbst formuliert.

      Demonstrationen und Aktionen für mehr Klimaschutz

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        Altmaier warnt die Grünen vor Übermut

        Dazu gehört, dass der Ausstoß von CO2 in Deutschland erstmals mit einem konkreten Preis versehen wird und dass die Arbeit der Bundesregierung in diesem Bereich regelmäßig von Experten überprüft – und gegebenenfalls nachgebessert wird. CDU und CSU werden erst allmählich begreifen, was ihnen ihre Kanzlerin im Herbst ihrer Amtszeit da – wieder einmal – zugemutet hat.

        Vielleicht hilft es ja, dass nun eine ganz große, überparteiliche Klima-Koalition nötig ist, um die Beschlüsse vom Freitag in Gesetzesform zu bringen. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat schon angekündigt, mit den Grünen und der FDP reden zu wollen. Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist bereit für einen „nationalen Klimakonsens“, warnt die Grünen aber zugleich, den Bogen nicht zu überspannen: „Die Grünen haben im Bundesrat keine Mehrheit. Deshalb sollten sie ihre Position nicht überschätzen, sonst gefährden sie das Klimapaket.“ Das passt dann wieder zu Merkels Satz vom Freitag: „Politik ist das, was möglich ist.“