Hamburg. In Hamburg beginnt ein Terror-Prozess, der Mann soll einen Anschlag geplant haben. Schon der Vater ist Ermittlern bekannt – seit 2001.

Die vorerst letzten Augenblicke in Freiheit erlebt Mahmut C.* auf einem Parkplatz der Fastfood-Kette McDonald’s. Hier im Hamburger Westen durchschneidet die Kieler Straße mit ihren vielen Spuren die Stadt wie eine Autobahn.

Es ist fast genau 12 Uhr an diesem Donnerstag im August 2021. Der 21 Jahre alte Mann will Waffen kaufen. Eine halbautomatische Pistole vom russischen Typ Marakow, 50 Schuss Munition und eine Handgranate. Mahmut C. wartet auf dem Parkplatz auf einen Mann, den er über das verschlüsselte „Darknet“ kontaktiert hatte. Der Verkäufer ist pünktlich am Treffpunkt und zeigt die Ware.

Mahmut C. weiß nicht, dass der Mann ein Beamter des Bundeskriminalamtes ist. Dass die Waffen präpariert wurden und unschädlich sind. Dass auch das Sondereinsatzkommando der Hamburger Polizei schon wartet. Nur noch sehen will, ob der Mann, den sie für einen möglichen Terroristen halten, es wirklich ernst meint. C. zählt die Geldscheine ab, knapp 1000 Euro. 85 Euro hatte C. laut Ermittlern bereits als Anzahlung in der „Darknet“-Währung Bitcoin an den angeblichen Händler überwiesen. Als C. die Scheine auf dem McDonald’s-Parkplatz zählt, greifen die Polizisten zu.

Terrorverdacht: Hamburgs Innensenator hängt den Fall sehr hoch

Seitdem sitzt der 21-Jährige in Haft. In dieser Woche beginnt der Prozess gegen Mahmut C. vor dem Hamburger Oberlandesgericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor: Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags, Verstoß gegen das Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz. Die Generalbundesanwaltschaft nahm das Verfahren deshalb an sich.

Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) sagte nach Bekanntwerden der Festnahme, dass die Gefahr eines Anschlags „sehr ernst“ gewesen sei. Und das C. auch für eine neue Generation von Dschihadisten stehe: die „Erben von 9/11“, jener Terrorzelle, die ebenfalls in Hamburg den verheerenden Anschlag in New York vor 20 Jahren vorbereitet hatte.

Tatsächlich entstammt Mahmut C. einer Familie, die aus der Zeit von damals bekannt ist. Sein Vater soll Kontakte zum Umfeld der Attentäter vom 11. September unterhalten haben. Die Frage, die sich Ermittler durch den Fall C. stellen: Tragen Islamisten aus der Generation von 2001 ihre Ideologie an die neue Dschihadisten-Garde weiter? Und wie gefährlich sind die Jungen?

Staatsschützer: „Wir haben die einschlägigen Treffpunkte eng im Blick“

Die Szene habe sich stark verändert, sagen Ermittler. Viel spielt sich im Internet ab. Aber wenn in der realen Welt eine Terrorgefahr entsteht, müsse man schnell sein. „Wir haben die einschlägigen Treffpunkte eng im Blick und lassen das auch die dortige Klientel wissen“, sagt Claus Cortnumme, Chef der Abteilung Staatsschutz bei der Hamburger Polizei. Das betrifft in seiner Stadt unter anderem eine Moschee im Stadtteil Harburg, die seit Jahren als Keimzelle für fanatischen Islamismus gilt. Die Moschee liegt in einer Nebenstraße, die Fenster sind mit Folie beklebt, damit der Gebetsraum von außen nicht sichtbar ist.

Wer von den Besuchern aber tatsächlich zu einer Gewalttat bereit wäre, ist nicht leicht zu filtern. „Viele reden nur viel“, sagt Cortnumme – er meint junge und durchaus radikale Muslime, die sich vor ihren Gleichgesinnten mit angeblichen Anschlagsplänen aber nur wichtigmachen wollen. Gefährlicher seien jene, die keine großen Reden schwingen. Zu ihnen zählen die Behörden auch Mahmut C.

Im Jahr 2021 fällt Mann den Behörden auf, weil auch er einige Male die Harburger Moschee besucht. Vor allem sein Nachname führt gleich zu erhöhter Aufmerksamkeit. „Seinen Vater kannte in der Szene jeder“, sagt ein Ermittler. Von damals, aus dem Umfeld der „Hamburger Terrorzelle“ um Mohammed Atta.

Monate später führte ein Tipp die Ermittler zur Wohnung des mutmaßlichen Täters

Als die Behörden damit beginnen, den 21-Jährigen Sohn des bekannten Islamisten zu beobachten, wissen sie zuerst noch nichts von Anschlagsplänen. Seit Januar 2021, so wollen es die Ermittler später rekonstruiert haben, beschafft sich C. laut der Anklage aber damals bereits Materialien für den Bau eines Sprengsatzes. Er lässt die Ware an unterschiedliche Adressen liefern, um kein Aufsehen bei den Firmen oder den Sicherheitsbehörden zu erregen. Lesen Sie auch: Al-Qaida, IS und Co.: Das sind die Erben von Osama bin Laden

Erst Monate nach der Festnahme soll ein Tipp aus der Szene die Ermittler zu einem Plattenbau im Stadtteil Jenfeld führen. Als sie durchsuchen, entdecken sie in einem Schrank im Wohnzimmer ein Kilogramm Kaliumnitrat, Schwefel, Holzkohlestaub – Chemikalien, um laut Fachleuten Schwarzpulver herzustellen. Dazu mehrere Hundert Schrauben und Muttern aus Metall. Möglicher Füllstoff als Splitter, die bei Explosionen schwere Verletzung verursachen können. Die Strafverfolger ordnen C. die Chemikalien zu.

Woher der Tipp kam, der die Ermittler endgültig auf die Spur des nun angeklagten Terrorverdächtigen brachte, verraten sie nicht. Eine Abhängigkeit von ausländischen Geheimdiensten wird aber in deutschen Sicherheitskreisen kaum bestritten. Auch die allererste Spur zu C.s geplanten Waffenkäufen im verschlüsselten „Darknet“ soll ein verdeckter Ermittler einer US-Sicherheitsbehörde entdeckt haben.

Die Ermittlungen vor und nach der Festnahme ergeben, dass Mahmut C. allein gehandelt haben soll. Eine Terrorzelle sehen die Staatsanwälte nicht am Werk. Dafür spricht auch, dass der Generalbundesanwalt nicht das Bundeskriminalamt ermitteln lässt, sondern das örtliche LKA.

Jungen Islamisten passieren „Anfängerfehler“ – oftmals fallen sie den Ermittlern auf

Und Mahmut C. machte offenbar Fehler, die sich al-Qaida-Terroristen nie geleistet hätten. Aus den sichergestellten Datenträgern des Beschuldigten geht nach Recherchen unserer Redaktion hervor, dass er sich mit dem 3-D-Druck von Waffen befasst haben soll, auch mit dem geplanten Rizin-Anschlag von Köln 2018. Sogar die Erpressung einer Bio-Supermarktkette soll der junge C. ins Auge gefasst haben. All das fällt auf. All das sind aus Sicht „professionell“ agierender Dschihadisten Anfängerfehler, wecken Aufmerksamkeit, können Geheimdienste auf den Plan rufen.

Dennoch ist denkbar, dass sich Mahmut C. sehr wohl in der Tradition der vorigen Terroristengeneration gesehen hat. Der Generalbundesanwalt hält fest, dass „der Angeschuldigte im Raum Hamburg einen Sprengstoffanschlag im Umfeld des 20. Jahrestages der Terroranschläge vom 11. September 2001 durch die terroristische Vereinigung al-Qaida“ begehen wollte.

Der Vater des jungen Mahmut C. war selbst eingebunden in die Islamisten-Szene von 2001, war laut Ermittler aktiv in der al-Quds-Moschee am Hamburger Steindamm, in der auch die späteren Attentäter um Mohammed Atta oft Gast waren. Vater C. stuften die Hamburger Polizisten lange als „islamistischen Gefährder“ ein. 2010 ließ die Stadt die Moschee schließen. Der Vater lebt mittlerweile im Ausland.

„Väter von denen sind ja noch da – wie der Vater des Beschuldigten und andere auch.“

Spielt der Vater eine Rolle bei der Radikalisierung seines Sohnes – oder gar auch den mutmaßlichen Anschlagsplänen? Die Antwort auf diese Fragen liegt auch für Beamte, die ihn vor der Festnahme beobachteten, weitgehend im Dunkeln. Hamburgs Innensenator Grote hängt den jedoch Fall hoch, rief Ende 2021 eigens eine Pressekonferenz ein. Kurz danach legte der SPD-Politiker noch mal nach, wolle noch einmal genauer auf „die Generation von 9/11“ schauen. „Väter von denen sind ja noch da – wie der Vater des Beschuldigten und andere auch.“

Die Propaganda von al-Quaida verfange weiterhin bei jungen Islamisten, sagt ein ranghoher Sicherheitsbeamter. Auch das Team der Fachstelle Extremismus und Psychologie um die Islamismus-Expertin Kerstin Sischka sieht das genauso. „Al-Qaida strahlt immer noch eine große Anziehungskraft auf jüngere Menschen aus“, sagt sie. Der Kampf gegen den Westen, das Ausreisen in Dschihad-Gebiete in Afghanistan, Syrien oder Irak – dafür habe Osama bin Ladens Terrornetzwerk Grundlagen für heutige Dschihadisten-Generationen gelegt.

„Noch heute werden auch die damaligen deutschen Ausgereisten, die in Waziristan kämpften, in einschlägigen Forengefeiert“, sagt Sischka. Noch heute werde „Wissen“ über den Dschihad von älteren Generationen an jüngere weitergegeben. Und doch, das sieht auch Sischkas Team, habe al-Qaida an Image und Autorität in der Szene verloren.

In den Sicherheitsbehörden heißt es, ein Umbruch in Islamisten-Milieu sei vor allem durch den Aufstieg der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ geschehen und wirke bis heute stärker nach. Der IS nutzte die Medienrevolution, inszenierte den Kampf gegen „Ungläubige“ mit Propagandavideos im Stil eines Computerspiels. Al-Qaida galt vielen auf einmal als verstaubt.

„Pop-Dschihadismus“ und „Hip-Hop-Islamisten“

Auch ideologisch ticken heutige Islamisten oft anders. Mit dem IS wuchs eine Art „Pop-Dschihadismus“, Radikalität als „Lifestyle“. Von „Hip-Hop-Islamisten“ spricht ein Hamburger Ermittler. Und wird beinahe ein wenig ehrfürchtig, wenn man nach dem Vergleich zur Generation von 9/11 fragt: „Damals konnten viele Mitglieder der Szene den Koran auswendig. Heute scheint da oft bereits ein Grundwissen zu fehlen“.

Man behalte auch die bereits seit Jahrzehnten bekannten Islamisten aus dem Umfeld der „Hamburger Terrorzelle“ im Blick. „Viele damalige Mitglieder der Szene haben sich aber bereits vor langer Zeit distanziert oder spielen praktisch keine aktive Rolle mehr“, so der Hamburger Staatsschützer Claus Cortnumme. Zu unterschätzen sei die Gefahr weiterer Anschlagspläne grundsätzlich jedoch nicht.

In der Moschee in Harburg wollen die meisten Besucher nicht über islamistische Umtriebe sprechen – schon gar nicht mit Journalisten. Viele winken ab, als unsere Redaktion an einem Apriltag das Freitagsgebet besucht. Nur ein Mann erzählt kurz, dass die Leute „angespannt“ seien. Gerade zu Ramadan. Außerdem stehe immer wieder der Verfassungsschutz vor der Tür. „Überall sind Kameras.“

Mahmut C. kenne er nicht, sagt der Mann. Und wenn jemand „etwas plane“, werde er es bestimmt nicht in der Moschee rumerzählen.

*Name geändert