Berlin. 50.000 Corona-Toten sind mehr als Statistik. Um die Opfer in Deutschland nicht zu vergessen, soll es nun eine Gedenkfeier geben.

Es gehört zu den bedrückenden gesellschaftlichen Nebenwirkungen dieser Pandemie, dass die Verkündung der Corona-Todesfälle in Deutschland gefühlt zu einem rein bürokratischen Akt geworden ist. Jeden Tag sind es mehrere Hundert, zuletzt sehr oft auch mehr als 1000 Menschen, die im Zusammenhang mit dem Corona-Virus gestorben sind. Nachdem Deutschland die erste Welle im Frühjahr 2020 international gesehen vergleichsweise glimpflich überstand, überschreitet die Zahl der Todesfälle jetzt die traurige Marke von 50.000.

Hinter diesen Ziffern stehen Schicksale, Einsamkeit, Verzweiflung und auch Wut. Angehörige sind verbittert, weil sie wegen des Ansteckungsrisikos in den letzten Tagen und Stunden nicht am Krankenbett eines lieben Menschen verbringen oder keine angemessene Beerdigung ausrichten durften. Nun will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Zeichen kollektiver Trauer setzen, dass der Staat, der seinen Bürgern im Lockdown die härtesten Grundrechtseinschränkungen seit Gründung der Bundesrepublik zumutet, das Leid der Pandemie-Opfer und deren Familien anerkennt.

Auch Merkel und Schäuble bei Gedenkfeier

Steinmeier kündigte am Freitag an, dass es im April eine zentrale Gedenkfeier für die Corona-Toten geben wird. Die Spitzen des Staates, neben dem Bundespräsidenten Kanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der amtierende Bundesratspräsident Reiner Haseloff und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, wollen dann bei einer Veranstaltung in der Hauptstadt ein Signal des Zusammenhalts aussenden.

Die Gedenkfeier ist mit dem Kanzleramt abgestimmt. Merkel hatte erst am Donnerstag gesagt: „Ja, wir brauchen ein Gedenken an die Toten.“ Man müsse immer wieder bewusst machen, was die „erschreckend hohen Todeszahlen“ bedeuteten: „Das sind nicht einfach nur Zahlen. Das sind Menschen, die in Einsamkeit gestorben sind. Das sind Schicksale. Das sind Familien, die um sie trauern.“ Lesen Sie hier: Merkel: "Dürfen nicht warten, bis Gefahr greifbar wird"

Noch wird hinter den Kulissen an den Details der Veranstaltung gearbeitet. Wie groß sie wird, dürfte von Pandemiegeschehen und behördlichen Vorgaben abhängen. Es werde aber in jedem Fall ein würdiger Rahmen an einem geschichtsträchtigen Ort im Herzen der Hauptstadt, ist zu hören. In jedem Fall sollen ausgewählte Angehörige von Corona-Verstorbenen eingeladen werden.

Jeden Abend eine Kerze: Steinmeier startet Aktion „Lichtfenster“

Bis es Mitte April soweit ist, möchte der Bundespräsident mit einer besonderen Idee die Deutschen zum Erinnern an die Corona-Toten und zur Solidarität bewegen. Er ruft zur Aktion „#lichtfenster“ auf. Dazu stellt Steinmeier erstmals am heutigen Freitag gut sichtbar ein Licht in ein Fenster über dem Portal von Schloss Bellevue.

Auch in seiner Dienstwohnung in Berlin-Dahlem und an seinem Bonner Dienstsitz, der Villa Hammerschmidt, werden bis 30. Januar durchgehend in der Dunkelheit LED-Lichter an jeweils einem Fenster leuchten. Von Februar bis zur staatlichen Gedenkfeier im April wird die Aktion dann immer Freitagabend bis Samstagmorgen stattfinden.

„Jede Zahl steht für einen geliebten Menschen, der uns unendlich fehlt“

„Deutschland stellt ein Licht ins Fenster, weil jedes ‚Lichtfenster‘ uns miteinander verbindet. Ein Licht der Trauer, ein Licht der Anteilnahme, ein Licht des Mitgefühls“, sagte Steinmeier. Für zu viele Menschen in Deutschland seien diese Corona-Wochen „schrecklich dunkle Wochen“. Viel zu viele müssten um Angehörige trauern. Viel zu viele kämpften auf den Intensivstationen und in den Pflegeheimen um ihr Überleben. „Diese Dunkelheit ist nicht abstrakt, nicht irgendwo weit entfernt. Sie trifft unsere Verwandten und Freunde, unsere Kollegen und Nachbarn, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger – jeden Tag.“

Mit der Lichtfenster-Geste möchte der Bundespräsident das Zeichen setzen, dass die Gesellschaft gemeinsam trauere, dass die Toten und das Leid der Hinterbliebenen nicht vergessen würden. „Die Toten der Corona-Pandemie sind für uns keine bloße Statistik. Auch wenn wir ihre Namen, ihre Familien nicht kennen – wir wissen: Jede Zahl steht für einen geliebten Menschen, der uns unendlich fehlt.“

Lichtermeer-Initiative erinnert an Balkon-Applaus für Corona-Helden

Steinmeier hofft, dass in den kommenden Tagen und Wochen möglichst viele Bürger, Einrichtungen, Organisationen und Firmen sich der Aktion anschließen und so eine Art Lichtermeer des Gedenkens quer durch das vom Lockdown gezeichnete Land entsteht – vergleichbar mit dem Applaus von den Balkonen in Italien, Spanien, Griechenland und später auch in Deutschland für die Helden der Pandemie. Ärztinnen, Pflegerinnen, Kassiererinnen.

Seit geraumer Zeit waren Rufe nach einem zentralen Corona-Gedenken lauter geworden. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hatte einen bundesweiten Gedenktag angeregt: "Es wäre ein Tag für das Gedenken an die vielen Corona-Toten. Aber vor allem ein Zeichen der Zuversicht dafür, dass wir die Pandemie und andere Krisen mit vereinten Kräften überwinden können", sagte der Limburger Bischof Ende November unserer Redaktion.

Klartext vom Staatsoberhaupt: "Corona ist ein Arschloch"

Steinmeier hat sich seit Ausbruch der Pandemie immer wieder mit Ärzten, Pflegekräften, Corona-Erkrankten und Angehörigen ausgetauscht. Dazu gab es Video-Formate, aber auch persönliche Treffen im Schloss Bellevue. Bei einer Gesprächsrunde im November mit inzwischen genesenen Covid-Patienten hatte Steinmeier unverblümt die Gefährlichkeit des Virus auf den Punkt gebracht: „Corona ist ein Arschloch.“