Jerusalem. Das Parlament hat den Weg zu Neuwahlen frei gemacht. Der frühere Premier hat gute Chancen auf den Sieg, seine Umfragewerte steigen

Es war ein riskantes Experiment in Israel, und es ist gescheitert: Der Versuch, quer über alle politischen Lager hinweg eine breite Front gegen den israelischen Politik-Platzhirschen Benjamin Netanjahu zu bilden, ging nur ein Jahr lang gut. Nun will die Acht-Parteien-Regierung, die im Juni 2021 mit dem Vorsatz angetreten ist, Israel aus den Fängen Netanjahus zu befreien, sich selbst in den Ruhestand schicken.

Das Parlament hat sich aufgelöst. Es gab keine Gegenstimmen. Als Übergangspremier übernimmt Jair Lapid, er hat also den Premierminister-Bonus. Sein Vorgänger Naftali Bennett will sich zunächst aus der Politik zurückziehen. Am 1. November soll neu gewählt werden. Es ist dann die fünfte Parlamentswahl in nicht einmal vier Jahren. Und der Sieger dieser Wahl könnte Benjamin Netanjahu heißen.

Der Langzeitpolitiker steckt zwar in einem gigantischen Korruptionsprozess, ihm wird vorgeworfen, als Politiker bestechlich gewesen zu sein. Trotzdem wollen viele Israelis, dem 72-Jährigen erneut ihre Stimme geben. Umfragen sagen ihm sogar Stimmenzugewinne voraus.

Israel: Suche nach Mehrheit ist das größte Problem

Eine Wahl zu gewinnen, ist in Israel aber die geringere Herausforderung als alles, was danach kommt: die Suche nach Partnern. Denn so gern er es möchte, und so stolz Netanjahu darauf ist, Chef der größten Parlamentspartei zu sein: Von einer absoluten Mehrheit ist seine Likud-Partei weit entfernt, Netanjahu muss sich also andere Parteien davon überzeugen, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Bei den zwei ultraorthodoxen Parteien und dem rechtsextremen Wahlbündnis von Itamar Ben Gvir wird es wohl nicht viel Überzeugungsarbeit brauchen. Das reicht für eine Mehrheit aber vermutlich nicht aus. Und die meisten anderen Parteien haben erklärt, keinesfalls mit Netanjahu regieren zu wollen. Zu oft hat der gewiefte Taktiker seinen politischen Partnern Übel mitgespielt, nun glaubt man ihm nicht mehr.

Umfrageinstitute sagen eine sinkende Wahlbeteiligung voraus. Das Zünglein an der Waage könnten die große Minderheit der israelischen Araber sein. Wenn sie in hoher Zahl an der Wahl teilnehmen, dann schwächt das die Rechtsparteien. Bleiben sie am Wahldienstag zuhause, nützt es Netanjahu.

Israel: Netanjahu nennt Raam-Partei „terrorismusfördernd“

Israels Politik ist nach zwölf Jahren Netanjahu-Regierung so stark von dem rechtskonservativen Langzeitpolitiker geprägt, dass es in Wahlkämpfen heutzutage fast ausschließlich um die Frage „Mit oder gegen Bibi” geht. Und solange Netanjahu Chef der Likud-Partei, der stärksten Parlamentsfraktion in Israel, bleibt, wird sich das wohl nicht ändern.

Jüngste Aussagen Netanjahus deuten darauf hin, dass er in diesem Wahlkampf vor allem auf eine Strategie setzen wird: Hass gegen israelische Araber und Palästinenser zu schüren und diesen dann für eigene Zwecke zu nutzen. Jetzt twitterte Netanjahu über die arabische Raam-Liste, die noch in der Regierung sitzt, diese sei „eine antisemitische, antizionistische und terrorismusfördernde Partei”. Seine Partei werde „niemals zulassen, dass Raam Teil einer Regierung wird”, so Netanjahu.

Sein Ziel für die Wahl ist klar: Gemeinsam mit den anderen Rechtsparteien will er die absolute Mehrheit holen. Schafft er es nicht, braucht der weitere Unterstützung. Mehrere mögliche Bündnispartner aus dem rechten Lager haben eine Koalition mit Netanjahu ausgeschlossen. Mindestens einer von ihnen wird sein Versprechen brechen müssen.

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