Berlin. Spahns Ministerium soll versucht haben, Masken mit vergleichsweise schmaler Prüf-Sicherheit für benachteiligte Menschen einzusetzen.

Obdachlose gehören in der Pandemie zu den am meisten gefährdeten Menschen. Sie leben in engen Gemeinschaftsunterkünften, das Leben auf der Straße macht krank. Und ausgerechnet an diese vulnerable Gruppe wollte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun unzureichend geprüfte Schutzmasken verteilen?

Nach Medienberichten über Pläne des Gesundheitsministeriums, Masken ohne EU-Zertifikat an Obdachlose, Hartz-IV-Empfänger und Menschen mit Behinderungen zu verteilen, ist die Empörung maximal: Sozialverbände reagierten entsetzt, die SPD drängt auf einen Rücktritt des Ministers. Der wies die Vorwürfe am Sonntag als „wahltaktisches Kalkül“ zurück.

Werena Rosenke sieht das anders: „Wohnungslose Menschen sind und waren in der Pandemie besonders gefährdet“, sagte die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) dieser Redaktion. „Diese Menschen hätten schnell mit sicheren Masken ausgestattet werden müssen“, so Rosenke. Mit der Verteilung unzureichend geprüfter Masken wäre das Gegenteil passiert: „Man hätte wohnungslose Menschen und mit ihnen haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende in Hilfeangeboten wissentlich zusätzlich gefährdet. Denn mit diesen schadhaften Masken wäre ihnen eine falsche Sicherheit vorgegaukelt worden.“

Am Ende kam es nicht dazu. Laut Gesundheitsministerium wurden schließlich zertifizierte Masken aus deutscher Produktion an bedürftige Gruppen ausgeteilt. Masken aus dem umstrittenen Bestand sollen nun bis zum Ablauf des Verfallsdatums in der Nationalen Reserve für Katastrophenfälle eingelagert werden. Doch der Vorgang schlägt hohe Wellen.

CDU-Minister weist Vorwürfe zurück: Masken seien geprüft

Auslöser ist ein „Spiegel“-Bericht nachdem das Gesundheitsministerium im Frühjahr 2020, als Masken Mangelware waren, für rund eine Milliarde Euro Schutzmasken aus chinesischer Produktion eingekauft habe, die nicht nach den üblichen hohen EU-Standards geprüft worden seien. Das Gesundheitsministerium habe mit dem für Arbeitsschutz zuständigen Arbeitsministerium über die Verwendung dieser Masken verhandelt, so der „Spiegel“ unter Berufung auf einen Schriftwechsel zwischen den beiden Ministerien.

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Das Arbeitsministerium bestätigte das: Es habe im Gesundheitsministerium Pläne gegeben, nicht zertifizierte Masken an Obdachlose, Hartz-IV-Empfänger und Menschen mit Behinderungen abzugeben.
Spahn weist die Vorwürfe zurück. Die Schutzmasken seien intensiv geprüft worden, gemeinsam mit TÜV Nord und Dekra.

Auch ohne EU-Zertifikat hätten sie nachweislich alle Eigenschaften, die für den Infektionsschutz nötig seien. „Dass einige nun bewusst Obdachlose und Menschen mit Behinderung verunsicherten, um Stimmung zu machen, sage mehr über den Zustand der SPD als über die Qualität der Masken aus. „Es ist empörend, dass aus wahltaktischem Kalkül ernsthaft aus einer Regierungspartei der Vorwurf erhoben wird, dass die Regierung so mit den vulnerablen Gruppen unserer Gesellschaft umginge.“

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Walter-Borjans fordert Rücktritt

Seine Kritiker sehen das komplett anders: Geschmacklos, unverfroren, menschenverachtend, unanständig – so die Reaktionen aus Opposition und Sozialverbänden auf die Berichte, die SPD-Spitze forderte sogar indirekt Spahns Rücktritt: Er erwarte von CDU-Chef Armin Laschet eine Erklärung, ob Spahn als Minister noch tragbar sei, sagte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans der „Bild am Sonntag“.

„Es ist unwürdig und menschenverachtend, wenn ein Gesundheitsminister Menschen in zwei Klassen einteilt, nämlich die mit Anspruch auf qualitätsgeprüfte Masken und die, für die absolut untaugliche Masken gut genug sind, um ihr Leben eben nicht zu schützen.“ Der SPD-Chef forderte Laschet auf, zu überdenken, ob dieses „skandalöse Vorgehen von Jens Spahn für eine Partei mit einem christlichen Etikett noch tragbar ist“.

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Auch die Opposition reagierte empört. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch forderte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf Stellung zu beziehen. „In der kommenden Woche erwarte ich eine Regierungserklärung zu diesem unfassbaren Vorgang und umgehend eine Positionierung der Bundeskanzlerin“, sagte Bartsch dieser Redaktion. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer erklärte: „Das ist zutiefst unanständig“, eine Entschuldigung von Spahn sei das allermindeste, sollte sich dieser „ungeheuerliche Fehltritt“ bewahrheiten.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sagte, der Vorgang zeuge „von einem inakzeptablen Menschenbild“.