Washington. Eine neue Biografie über Kamala Harris flößt Respekt ein: Als erste schwarze US-Vizepräsidentin wird sie Mittwoch Geschichte schreiben.

Im Hinduismus ist Kali die Göttin der Zerstörung. Drei rote Augen. Herausgestreckte Zunge. Vier Arme, von denen einer einen abgeschlagenen Kopf hält. Dazu eine Kette mit 50 menschlichen Schädeln um den Hals. Auf Abbildungen nicht wirklich ein Augenschmaus. Aber sie beschützt auch die Unschuldigen und steht für Erneuerung. Eine etwas andere Mutterfigur.

Dass Kamala Harris bei der Bewerbung für einen Justiz-Posten in ihrer kalifornischen Heimat in einem TV-Interview ausführlich ihre Bewunderung für die mythologische Figur zum Ausdruck brachte, unterlegt mit ihrem unnachahmlichen Lächeln, kommt in Dan Morains unbedingt lesenswerter Biografie (Heyne-Verlag, ab 25. Januar) über die Frau, die am Mittwoch Geschichte in Amerika schreiben und Zigtausende Frauen und Mädchen inspirieren wird, nicht zufällig vor.

Lesen Sie alle Neuigkeiten zur US-Wahl in unserem Newsblog.

Kamala Harris wird US-Vizepräsidentin - und schreibt Geschichte

Harris hat als Staatsanwältin, Bezirks-Staatsanwältin, Justizministerin in Kalifornien und zuletzt Senatorin in den über 25 Jahren, die der Reporter von „Los Angeles Times” und „Sacramento Bee” sie beruflich beobachtete, so manches Mal die Kali-Keule herausgeholt. Meist, um männliche Widersacher politisch einen Kopf kürzer zu machen.

Sie blieb dabei trotzdem charmant und nahbar. Gute Voraussetzungen, um als erste schwarze Vize-Präsidentin mit indisch-jamaikanischen Wurzeln als Nr. 2. ins Weiße Haus zu kommen. Lesen Sie hier: Kamala Harris - Eine Vizepräsidentin, die Geschichte schreibt

Kamala Harris: Neue Biografie flößt Respekt ein

Morains Urteil zwischen den Zeilen der 320 dicht geschriebenen Seiten flößt Respekt ein. Der gewählte Präsident Joe Biden hat sich eine ebenso emotional warme wie eiskalt machtorientierte Frau an die Seite geholt, die es mit Tatkraft, Zielstrebigkeit, Können, Begeisterungsfähigkeit, strategischem Vorausdenken, Fleiß und einem Quäntchen Glück aus der „versumpften, hinterhältigen politischen Kultur San Franciscos” nach oben geschafft hat.

So weit nach oben, dass sie in vier Jahren, falls Biden, der dann 82 wäre, nicht mehr für eine zweite Amtszeit antreten würde, die erste schwarze Präsidentin der Vereinigten Staaten werden könnte. Auch dank blendender Verbindungen.

Kamala Harris wird die erste Frau im Vizepräsidenten-Amt und die erste Schwarze.
Kamala Harris wird die erste Frau im Vizepräsidenten-Amt und die erste Schwarze. © Joshua Roberts/Getty Images/AFP | Joshua Roberts/Getty Images/AFP

Kamala Harris unterstützte Barack Obama - der revanchierte sich

Bereits 2006, als sich viele Demokraten noch bedeckt hielten, war Kamala Harris die prominenteste Politikerin an der Westküste, die einen gewissen Barack Obama unterstützte (in einem Bundesstaat, der bei der Wahl 2008 eigentlich Hillary Clinton „gehören” sollte).

Der Sohn einer weißen Mutter aus Kansas und eines schwarzen Vaters aus Kenia und die Tochter einer tamilischen Krebsforscherin und eines Wirtschaftsprofessors aus der Karibik verspürten eine Wesensverwandtschaft. Später als Präsident und danach hob Obama Harris mehrfach auf den Sockel, was Bekanntheitsgrad und Beliebtheitswerte enorm steigern sollte.

Harris pflegte engen Kontakt zu Bidens Sohn Beau

Auch der enge Kontakt zu Beau Biden zahlte massiv auf ihr Konto ein. Der 2015 an einem Gehirntumor gestorbene Sohn Joe Bidens war in Delaware Justizminister, als Harris den Posten in Sacramento innehatte. Man stimmte sich ab, lernte sich kennen und schätzen.

Biden Jr., erzählte Biden Senior später voller Stolz, war beeindruckt vom kühnen Verhandlungsgeschick der leidenschaftlichen Köchin. Harris, die als Chefin des Justizministeriums in Kalifornien 5000 Angestellten vorstand und ein Jahresbudget von 730 Millionen Dollar verantwortete, hatte den Banken im Nachgang der Weltfinanzkrise von 2008 rund 20 Milliarden Dollar zur Linderung der Immobilienkrise abgetrotzt. Geben wollen die Kreditinstitute nicht mal ein Viertel.

Sie war Senatorin, als Vizepräsidentin wird Kamala Harris im mit 50 Demokraten und 50 Republikaner besetzten Senat das Zünglein an der Waage sein.
Sie war Senatorin, als Vizepräsidentin wird Kamala Harris im mit 50 Demokraten und 50 Republikaner besetzten Senat das Zünglein an der Waage sein. © Tasos Katopodis/Getty Images/AFP | Tasos Katopodis/Getty Images/AFP

Kamala Harris wird im Senat das Zünglein an der Waage sein

Als „Veep”, so wird die Abkürzung des Titels "vice president" gern mal ausgesprochen, kann Joe Biden eine harte Verhandlerin mit Sitzfleisch und Allround-Erfahrung gut gebrauchen. Zumal sie in ihrer Nebenfunktion als Präsidentin des Senats künftig bei der 50:50-Stimmenverteilung zwischen Demokraten und Republikanern das Zünglein an der Waage spielen wird.

Man lernt bei der in nur zwei Monaten Schreibarbeit zusammengetragenen Lektüre, dass ihre 2009 an Krebs gestorbene, alleinerziehende Mutter, Dr. Shyamala Gopalan, Kamala Harris einen Sinnspruch mitgab, den sie bis heute beherzigt: „In vielen Dingen bist du vielleicht die Erste, aber sorge dafür, dass du nie die Letzte bist.”

Man lernt, dass sie im studentenbewegten Berkeley in den 60er Jahren im Kinderwagen zu Demonstrationen kutschiert wurde und einmal auf die Frage, warum sie quengele und was sie denn wolle, nur mit einem Wort geantwortet haben soll: „Fei-heit!”.

Kamala Harris ist in ihrer Karriere oft von Männern unterschätzt worden.
Kamala Harris ist in ihrer Karriere oft von Männern unterschätzt worden. © Jessica McGowan/Getty Images/AFP | Jessica McGowan/Getty Images/AFP

Man lernt, dass sie das Motto ihrer berühmten afro-amerikanischen Hochschule, der Howard University in Washington, hochhält: „Veritas et Utilitas – Wahrheitsliebe und Handeln zum Wohle der Gemeinschaft. Man lernt, dass sie ihren bei einem „Blind Date” getroffenen Mann Doug Emhoff erst von einem Vertrauten im Grünen testen ließ. Nach dem Motto: „Man kann den Charakter eines Menschen an seinem Golfspiel erkennen.”

Und man lernt, dass sie seit ihrer vor vielen Jahren verwelkten Langzeit-Affäre mit dem damaligen „Kingmaker” der kalifornischen Demokraten, Willie Brown, abgehärtet ist, wenn es fies unter die Gürtellinie geht. Auch darum reagierte Harris cool, als Donald Trump sie im Wahlkampf ein „Monster” nannte.

Kamala Harris ist oft von Männern unterschätzt worden

Kamala Harris ist groß geworden mit Männern, die sie unterschätzten. Oder vom einnehmenden Äußeren auf eine gewisse innere Leere schlossen. Im Stahlbad der latent mafiösen Politik im Golden State lernte sie damit taktisch umzugehen: „Nimmt ein Politiker einen klaren Standpunkt ein, so riskiert er immer auch, Wähler vor den Kopf zu stoßen.”

Als Staatsanwältin hat sie Präzisions-Instrumente geschärft, die immer noch wehtun. Legendär die Szene im Senats-Anhörungsverfahren für den umstrittenen Supreme Court-Richter Brett Kavanaugh. Als der erzkonservative Jurist mehrfach Fragen zum Bestand des Rechts auf Abtreibung auswich, nagelte Harris ihn fest: „Fällt Ihnen irgendein Gesetz ein, das dem Staat die Macht gibt, Entscheidungen über den männlichen Körper zu fällen? Kavanaugh bekam rote Flecken am Hals: „Mir ist nichts bekannt – ich bin nicht – mir fällt im Augenblick keines ein.”

Als Vizepräsidentin gebietet ihr Rollenzuschnitt Bescheidenheit, Demut, Loyalität und Respekt der Nr. 1 gegenüber. Und den völligen Verzicht, sich in den Vordergrund zu drängen. Kann sie sich in der zweiten Reihe arrangieren? Ja, sagt Dan Morain und fügt hinzu: „Etwas bleibt von ihr immer in Erinnerung. So läuft das bei Kamala Harris.”

US-Politik - Mehr zum Thema