Berlin. CSU-Chef Markus Söder spricht über Wünsche an den neuen CDU-Chef, bayerisches Selbstverständnis und die Corona-Krise. Das Interview.

Die CDU wählt ihren neuen Chef selbst – aber in der Frage der Kanzlerkandidatur hat einer gewaltig mitzureden: Markus Söder, CSU-Chef und Bayerns Ministerpräsident. Kurz vor dem Parteitag trafen wir ihn im Videocall mit der bayerischen Staatskanzlei.

Was erwartet die CSU als Schwesterpartei vom neuen CDU-Chef?

Markus Söder: Es war eine der großen Leistungen von Annegret Kramp-Karrenbauer, mit uns gemeinsam die Streitigkeiten zwischen CDU und CSU zu beenden. Wir beide haben die Union wieder zusammengeführt und gestärkt. Das soll auch so bleiben. Deshalb erhoffe ich vom neuen CDU-Vorsitzenden eine sehr gute Zusammenarbeit. Das heißt nicht, dass beide Parteien nicht unterschiedliche Akzente setzen können. Aber im Grundsatz müssen wir zusammenhalten.

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Das klingt aber sehr bescheiden ...

Söder: Wir stehen vor zwei wichtigen Wahlen. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hat die Union eine echte Chance auf den Regierungswechsel. Umso wichtiger, dass die CDU sich hinter ihrem neuen Vorsitzenden versammelt und sich auf die Landtagswahlen konzen­triert. Danach ist genügend Zeit, dass wir uns gemeinsam inhaltlich und personell für die Bundestagswahl aufstellen.

Was müsste passieren, damit die CSU dem gewählten CDU-Chef die Kanzlerkandidatur verweigert?

Söder: Klar ist: Die CDU hat als größere Schwester das Initiativrecht. Am Ende entscheiden wir aber gemeinsam. Denn aus Bayern kommen viele Stimmen bei der Bundestagswahl. Der CSU-Vorsitzende spielt immer eine wichtige Rolle für den Gesamterfolg der CDU. Deshalb müssen wir auch gemeinsam über die Kanzlerkandidatur entscheiden.

Bis wann?

Söder: So spät wie möglich. Die überstürzte Nominierung von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten hat der SPD bisher keinen nennenswerten Ertrag gebracht.

Aber noch mal: Unter welchen Umständen könnte der Kanzlerkandidat von der CSU kommen?

Söder: Selbst in der CDU wird diskutiert, dass es bislang keinen geborenen Kandidaten gibt. Wer der Richtige ist, hängt auch vom inhaltlichen Profil ab, mit dem wir in die Bundestagswahl gehen wollen. Bei den drei CDU-Kandidaten gibt es auch unterschiedliche Akzente, wie man mit dem Erbe von Angela Merkel umgehen will.

Wünschen Sie sich eine Kontinuität in der Politik von Angela Merkel für die Union?

Söder: Jeder, der glaubt, durch einen Bruch mit Angela Merkel die Bundestagswahl gewinnen zu können, irrt fundamental. Sie gehört zu den ganz großen Kanzlern der bundesrepublikanischen Geschichte und steht in einer Reihe mit Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Zudem gibt es für ihre Person und ihre Politik eine enorm hohe Zustimmung in Deutschland. Außerdem dominiert das Corona-Management auch die kommenden Monate und damit bleibt die Kanzlerin die zentrale Persönlichkeit der deutschen Politik. Ihr Erbe muss bewahrt und gleichzeitig mit neuen Ideen für die nächste Etappe der deutschen Politik angereichert werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Michael Müller (SPD, rechts) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU, links).
Bundeskanzlerin Angela Merkel, Michael Müller (SPD, rechts) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU, links). © Michael Kappeler/dpa-pool/dpa | Michael Kappeler/dpa-pool/dpa

Sie haben einmal gesagt, ein künftiger Kanzler müsse sich in der Krise bewährt haben. Damit scheiden Friedrich Merz und Norbert Röttgen schon mal aus.

Söder: Man kann niemandem zum Vorwurf machen, dass er noch kein Amt innehat. Ein neuer Vorsitzender muss die Chance haben, seine Ideen zu präsentieren und sich weiterzuentwickeln.

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Rechnen Sie damit, dass bei der Kanzlerkandidatur noch ein anderer Name ins Spiel kommen könnte?

Söder: Eher nicht. Aber warten wir es einfach ab. Am Ende werden die beiden Parteivorsitzenden einen gemeinsamen Vorschlag machen.

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Viele reden ein schwarz-grünes Bündnis herbei. Was kann Schwarz-Grün besser als Schwarz-Rot?

Söder: Die Grünen müssen erst mal klären, in welche Richtung sie wirklich gehen wollen: Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün. Sich da nicht festzulegen, ist nicht ehrlich und weckt auch kein Vertrauen bei den Wählern. Da kann man keine halben Sachen machen, die Grünen müssen sich selbst die Frage stellen: bürgerlich oder links? Beides zusammen geht nicht. Die Wähler wollen wissen, was sie nach einer Wahl erwartet. Es gibt in Deutschland eine große Sehnsucht nach frischen Ideen, Veränderung und Modernität. Und nicht nach einer Rückkehr in die 70er-Jahre, wie es das Modell Rot-Rot-Grün bedeuten würde.

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Corona bleibt die größte Herausforderung. Wie gefährlich werden die nächsten zwei Monate?

Söder: Wir müssen sehr vorsichtig bleiben. Die Infektionszahlen sinken zwar, aber wenn sich das mutierte Virus aus Großbritannien bei uns ausbreitet, kommt eine sehr schwierige Zeit auf uns zu. Das würde uns vor eine völlig neue Bewährungsprobe stellen.

Was kann dagegen getan werden?

Söder: Wir brauchen mehr Teststellen, die die Mutation erkennen können. Außerdem helfen FFP2-Masken und eine konsequente Umsetzung des jetzigen Lockdowns. Jedes Schlupfloch ist ein Einfallstor für die Verbreitung der neuen Virusvariante. Wichtig wäre auch, dass die Regeln für alle in Deutschland gleich sind. Was für alle gilt, ist gerecht. Und wir brauchen mehr Impfstoff, deshalb müssen wir mehr Produktionsstandorte schaffen und nutzen.

Was ist bei der Impfstoffbeschaffung schiefgelaufen?

Söder: Es bleibt der Eindruck, dass in Europa am Anfang zu wenig Impfdosen bestellt wurden. Das trübt die Freude darüber, dass der erste Impfstoff aus Deutschland kam. Wenn wir beim Impfen ins Hintertreffen geraten, gefährdet das nicht nur die Gesundheit, sondern wird auch unsere Wirtschaft zurückwerfen.

Sie wollen eine Impfpflicht für Pflegekräfte. Reicht es, auf ein Votum vom Ethikrat zu warten?

Söder: Ich will eine Debatte. Wir müssen uns doch der Realität stellen. Niemand will eine allgemeine Impfpflicht. Aber der Ethikrat sollte der Politik in dieser wichtigen Frage eine Empfehlung geben.

Muss der harte Lockdown bis Ostern verlängert werden, wie Merkel es angedeutet hat?

Söder: Niemand kann eine genaue Prognose abgeben, wie lange der Lockdown dauern muss. Die Einschätzungen der Kanzlerin haben sich aber nicht selten als richtig erwiesen. Auch ich bleibe im Team Vorsicht. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die optimistischen Prognosen leider seltener eintraten als die skeptischen.

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Viele Bürger haben kein Verständnis für den 15-Kilometer-Radius …

Söder: In Israel, Spanien oder Frankreich wurde der Bewegungsradius auf bis zu einen Kilometer beschränkt. Wir haben im internationalen Vergleich eine der mildesten Beschränkungen. Beim Arbeitsplatz müssen wir konsequenter sein. Das heißt: Homeoffice ausweiten, im Großraumbüro Maskenpflicht und Betriebskantinen nur noch to go.

Sollte es eine gesetzliche Pflicht zum Homeoffice geben?

Söder: Wo es geht, sollten wir mehr Anreize schaffen. Statt neuer Vorschriften brauchen wir steuerliche Hilfen wie Sofortabschreibungen, damit das Einrichten eines Homeoffice-Platzes einen zusätzlichen Vorteil bringt.

Hintergrund: Diese Rolle spielt die Corona-Impfung am Arbeitsplatz

Sie warnen vor einer „Corona-RAF“. Haben Sie konkrete Hinweise oder ist das nur eine Sorge?

Söder: Die RAF ist aus einer Bewegung entstanden, die dann immer kleiner und radikaler wurde. Wenn man lange genug in einer Scheinwelt aus Lügen und Fake News lebt, fühlen sich extreme Kräfte irgendwann moralisch zum gewaltsamen „Widerstand“ berechtigt. Diese Entwicklung deutet sich bei den sogenannten Querdenkern an. Ich halte das für ex­trem gefährlich. Deshalb gilt: Wehret den Anfängen. Der Sturm aufs Kapitol in den USA sollte uns Warnung sein.

Bei den Querdenkern laufen auch ganz normale Menschen mit. Wie kann man die zurückholen?

Söder: Es ist völlig in Ordnung, einzelne Maßnahmen in der Pandemiebekämpfung zu hinterfragen und zu kritisieren. Natürlich ist nicht alles perfekt und es passieren auch immer wieder Fehler. Aber wer die Grenzen des Rechtsstaats antastet und den Kern der Demokratie gefährden will, muss die Wehrhaftigkeit der Demokratie erkennen. Ich bin auch sehr dafür, dass sich die Mediziner den einzelnen Kollegen entgegenstellen, die Corona leugnen und sich zu den sogenannten Querdenkern bekennen. Hier sollte die Ärztekammer standesrechtliche Maßnahmen diskutieren. Wenn Ärzte die Gefahr von Corona leugnen, sich grundsätzlich gegen das Tragen von Masken wenden oder gar falsche Atteste ausstellen, verstoßen sie gegen ihren hippokratischen Eid.

Werden Sie sich öffentlich impfen lassen?

Söder: Natürlich werde ich mich impfen lassen. Ich werbe dafür, dass die Spitzen des Staates sich auch wegen ihrer Vorbildfunktion impfen lassen. Das würde den Impfgegnern Wind aus den Segeln nehmen. Wenn etwas mehr Impfstoff zur Verfügung steht und die älteren Zielgruppen geimpft sind, kann eine Impfkampagne mit Vertretern aus Kultur, Sport, Gesellschaft und Politik auch die Impfbereitschaft der Bevölkerung erhöhen.

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Zur Person

Markus Söder wurde 1967 als Sohn eines Maurers und einer Bankkauffrau geboren. Mit 16 trat er in die CSU ein. Nach Einser-Abitur und Militärdienst studierte er Jura und volontierte beim Bayerischen Rundfunk. Seit 1994 ist er Abgeordneter im Bayerischen Landtag. Von 2003 bis 2007 war er CSU-Generalsekretär, ab 2007 erst Europaminister, dann Umwelt- und Gesundheitsminister und schließlich Finanz- und Heimatminister in Bayern.

Markus Söder, CSU-Chef.
Markus Söder, CSU-Chef. © Matthias Balk/dpa

Nach erbittertem Machtkampf mit Horst Seehofer wurde Söder 2018 dessen Nachfolger als Ministerpräsident, 2019 auch als CSU-Chef. Söder ist verheiratet und hat vier Kinder, eines davon aus einer früheren Beziehung.