Berlin. Annegret Kramp-Karrenbauer will eine Sicherheitszone in Nordsyrien errichten. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Vorschlag.

Verteidigungsministerin Annegret-Kramp-Karrenbauer (CDU) will eine Sicherheitszone in Nordsyrien. Europa – auch Deutschland – sollen mitmachen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Idee am Dienstag als „sehr vielversprechend, auch wenn noch viele Fragen offen sind“. Am Mittwoch konkretisierte AKK ihre Pläne für einen internationalen Stabilisierungseinsatz im Verteidigungsausschuss.

Der Koalitionspartner SPD hatte am Dienstag von mangelnder Abstimmung gesprochen und sich verärgert gegeben. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Was genau fordert Kramp-Karrenbauer?

Die Ministerin setzt sich für die Schaffung einer „international kontrollierten Sicherheitszone“ in Nordsyrien ein. Dabei will sie auch Russland und die Türkei miteinbeziehen. Die Sicherheitszone hat zwei Ziele: Zum einen soll die Kampagne gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) wieder aufgenommen werden.

Zum anderen soll die Region so stabilisiert werden, dass ein ziviler Aufbau und eine freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen möglich ist. Kramp-Karrenbauer hat jedoch nicht erläutert, wer die Sicherheitszone errichten soll: die UN, die Nato, die EU oder eine europäische Koalition der Willigen.

Ideal wäre aus Sicht Kramp-Karrenbauers eine Mission auf Basis des bestehenden UN-Sicherheitsrats-Beschlusses zu Syrien unter UN-Führung analog zum UN-Stabilisierungseinsatz Minusma in Mali, sagte sie nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur von Teilnehmern des Verteidigungsausschusses am Mittwoch. Die Aufgaben der Mission sollten die Trennung der Konfliktparteien, die Überwachung einer Waffenruhe sowie die Erstellung von Lagebildern sein.

Kramp-Karrenbauer nannte als Aufgaben die Überwachung der Gebiete sowie Maßnahmen bei Verstößen gegen die dort geltenden Regeln. Dazu seien Führungsfähigkeit, Aufklärung, Mobilität in der Luft und am Boden, eine Rettungskette für Verletzte sowie Logistik nötig.

Die Sicherheitszone könne in Sektoren eingeteilt werden, von denen Deutschland einen übernehmen könne. Mögliche Beiträge der Bundeswehr seien noch unklar. Diese würden sich nach dem UN-Mandat sowie einem notwendigen Beschluss des Bundestages richten.

Was würde das für die Bundeswehr bedeuten?

Gleich nach Amtseinführung trat Kramp-Karrenbauer dafür ein, den Einsatz der Bundeswehr in der Region zu verlängern, auch damals im Sommer zunächst gegen den Widerstand der SPD. Ihr erster Truppenbesuch führte sie in den Irak. Mehrfach betonte die Ministerin vor Ort, dass die Terrormiliz IS noch nicht besiegt sei. Am Ende setzte sie sich durch. Ihre heutige Argumentation baut darauf auf.

Die Bundeswehr ist schon mit 445 Soldaten in der Region. Sie bilden irakische Soldaten und die kurdischen Peschmerga im Kampf gegen den IS aus. Von Jordanien aus fliegen deutsche Tornados Aufklärungsflüge – sie liefern den alliierten Streitkräften die Bilder für Angriffe. Gleichzeitig hilft die Bundeswehr mit einem Tankflugzeug.

Es spricht viel dafür, dass die internationalen Partner bei einem Einsatz in Syrien mehr verlangen würden. Zum Beispiel Kampfeinheiten, mindestens aber ein robustes Mandat. Die Bundeswehr wäre dazu fähig, sie hat es in Afghanistan unter Beweis gestellt. Das g eheimnisumwitterte Kommando Spezialkräfte hat im Raum Kundus zuletzt im Jahr 2008 Terroristen gejagt und festgesetzt. Für ein robustes Mandat müsste das deutsche Kontingent erhöht und verstärkt werden.

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Welche Länder könnten sich an der internationalen Sicherheitszone beteiligen?

Hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Bei einem UN-Mandat könnte die Zahl der teilnehmenden Länder ziemlich groß sein – dies ist aber eher unwahrscheinlich. Die Nato hat immerhin 29 Mitglieder. Doch der größte Allianzpartner mit der höchsten militärischen Schlagkraft, die USA, zieht sich gerade aus Syrien zurück.

Die ersten Reaktionen aus dem Bündnis-Hauptquartier in Brüssel sind ohnehin eher verhalten. Dies liegt zum Teil daran, dass offenkundig eine abgestimmte Position der Bundesregierung fehlt. Zudem besteht der Eindruck, Kramp-Karrenbauer habe bei ihrem Plan nur die europäischen Nato-Partner im Blick. Der Vorschlag sei zur Kenntnis genommen worden, hieß es. Es wird erwartet, dass Kramp-Karrenbauer das Treffen der Nato-Verteidigungsminister am Donnerstag und Freitag für die Diskussion über ihren Vorschlag nutzt. Zuvor hatte sie bereits mit Frankreich und Großbritannien über ihre Idee gesprochen.

Eine internationale Sicherheitszone macht allerdings nur Sinn, wenn auch Russland und die Türkei dabei sind. Der Kreml hat signalisiert, Kramp-Karrenbauers Vorschläge zu prüfen. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan zeigte sich zumindest offen für ein Vierer-Treffen mit den europäischen Nato-Partnern Frankreich, Deutschland und Großbritannien.

Seine Bedingungen: Die rund 440 Kilometer lange und 30 Kilometer breite Sicherheitszone wird von den Kurdenmilizen geräumt und mit bis zu zwei Millionen syrischen Flüchtlingen aus der Türkei bevölkert. Die EU soll dafür rund 26 Milliarden Dollar bezahlen. Auch Russland hat ein Interesse daran, die Europäer für den Wiederaufbau Syriens zur Kasse zu bitten.

Was hätten die Kurden davon?

Die Kurden würden eine international kontrollierte Sicherheitszone begrüßen. Sie erhoffen sich dadurch einen Abzug der türkischen Truppen und humanitären Schutz. Dieses Konzept einer Sicherheitszone unterscheidet sich diametral von dem der Türken. Erdogan dürfte seine Soldaten nicht kurzfristig aus Syrien abziehen. Auch die kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien wird der Präsident nicht tolerieren.

Wie realistisch ist ein solcher Einsatz?

Auf dem Papier klingt die Idee gut. Doch die internationale Bereitschaft, Truppen für einen Einsatz in dem Bürgerkriegsland zu stellen, dürfte sich in Grenzen halten. Das gilt vor allem auch für Deutschland.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD).
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD). © picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm

Wie reagieren die Regierungsparteien?

Kanzlerin Merkel und Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) stellten sich am Dienstag in einer Sitzung der Unionsfraktion hinter die Verteidigungsministerin und CDU-Chefin AKK. Der Gedanke, in Nordsyrien Schutzzonen zu errichten, sei sehr vielversprechend, auch wenn noch viele Fragen offen seien, so Merkel.

„Die Idee ist es allemal wert, dass man versucht, sie umzusetzen“, sagte die Kanzlerin nach Angaben von Teilnehmern. Sie kündigte an, sie werde bei einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dem britischen Premier Boris Johnson und dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan über den Vorschlag Kramp-Karrenbauers sprechen. Notwendig für eine Schutzzone wäre aber ein UN-Mandat, erklärte Merkel.

In der SPD ist das Befremden über AKK groß. Fraktionschef Rolf Mützenich rügte den Plan der Verteidigungsministerin. „Das ist keine Initiative der Bundesregierung, sondern eine persönlich gehaltene Idee eines Kabinettsmitglieds.“ Kramp-Karrenbauer müsse sich fragen lassen, ob Deutschland den von Erdogan angestrebten „Bevölkerungsaustausch“ zulasten der Kurden im türkisch-syrischen Grenzgebiet politisch akzeptieren wolle.

Mützenich und weitere SPD-Spitzen zeigten sich irritiert darüber, dass AKK am Sonntagabend beim Koalitionsgipfel kein Wort über ihre Pläne verloren hatte. Erst am Montag schickte sie Außenminister Heiko Maas eine vage SMS ohne inhaltliche Details. „Von SMS-Diplomatie halte ich wenig. Daraus wird schnell eine SOS-Diplomatie“, kritisierte Maas seine Kabinettskollegin. Um eine mögliche Koalitionskrise abzuwenden, trafen sich am Dienstagnachmittag Merkel, AKK, Maas und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) zu einem Gespräch.

Was sagt die Opposition?

Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht sprach von einem „aberwitzigen Vorschlag“. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte unserer Redaktion: „Der Vorstoß von Annegret Kramp-Karrenbauer wirft mehr Fragen auf, als er Antworten gibt.“ Nicht nur die Grünen vermuten, AKK habe ein außenpolitisches Ablenkungsmanöver gestartet, um ihre geschwächte Position in der CDU zu stärken. FDP-Chef Christian Lindner kritisierte die „Profilierungsbemühungen einzelner Kabinettsmitglieder“. In der Sache zeigte er sich offen.