Berlin. Erst Mohring, dann Özdemir, nun Roth – Todesdrohungen gegen Politiker häufen sich. Die Betroffenen setzen sich zur Wehr.

Die widerlichen Mails für Claudia Roth und Cem Özdemir kommen am selben Tag. Es ist der 27. Oktober, Wahlsonntag in Thüringen. Um 14.40 Uhr ist Roths Büro nicht besetzt. Ihre Mitarbeiter werden die Morddrohung von der „Atomdivision Deutschland“ erst anderntags dem Bundeskriminalamt (BKA) melden.

Obwohl Özdemir im Schreiben erwähnt wird und es über Roth heißt, „Sie sind zurzeit Platz zwei auf unserer Abschussliste“, behält sie die Todesdrohung eine Woche lang für sich.

Nazis drohen Roth: Gang an Öffentlichkeit eine schwierige Abwägung

Es ist nicht die erste Todesdrohung an die Adresse der Bundestags-Vizepräsidentin. In mehreren Jahrzehnten hat Roth lernen müssen, mit Anfeindungen umzugehen. Ohnedies ist der Gang an die Öffentlichkeit eine schwierige und persönliche Abwägung.

Die Autoren solcher Schreiben wollen einschüchtern – und Publizität. In der Mail an Roth heißt es zum Beispiel, „wir sind die Atomwaffen Division Deutschland und führen das weiter was in Amerika begonnen hat“.

Roth will eine Reaktion, mehr „als Symbolpolitik“

Özdemir wie schließlich auch Roth nehmen die Aufmerksamkeit in Kauf. „Mehr denn je müssen wir Gesicht zeigen und die Stimme erheben gegen die Stichwortgeber und Brandbeschleuniger, auch in unseren Parlamenten“, erläutert die Grünen-Frau unserer Redaktion.

Einschüchterungsversuchen von Extremisten müsse „der Rechtsstaat seine vollste Härte entgegensetzen“, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) unserer Redaktion. Sein nordrhein-westfälischer Kollege Herbert Reul (CDU) will heute in Düsseldorf mit Experten über die rechtsextremistische Gefahr diskutieren.

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Seit Sommer 2018 immer wieder Drohschreiben

Einer der Referenten: Andreas Hollstein, Bürgermeister von Altena, der von einem Mann mit einem Messer verletzt wurde. Seit den Angriffen auf ihn und Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos), erst recht nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni ist die Politik sensibilisiert.

Seit Spätsommer 2018 häufen sich die Drohschreiben von „NSU 2.0“, „Cyber-Reichswehr“, „Staatsstreichorchester“. Es dürften längst an die 100 Schreiben sein, die an Politiker wie Robert Habeck (Grüne), Bodo Ramelow (Linke) oder Mike Mohring (CDU) ebenso ergehen wie an viele andere Menschen, die sich für mehr Toleranz engagieren.

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Vom Ableger der amerikanischen Atomdivision waren zwar Flugblätter aufgetaucht, aber als Adressat von Morddrohungen taucht die Gruppe erstmals auf. „Wir halten sie für gefährlich“, erklärte der NRW-Verfassungsschutz unserer Redaktion, „wir ermitteln, ob wir Personen identifizieren können.“

Zwei Erklärungsversuche für jüngste Mails

Für die jüngsten Mails gibt es in Ermittlerkreisen zwei Erklärungsversuche: Entweder die Atomdivision steckt tatsächlich hinter den Drohmails an Özdemir und Roth oder aber jemand benutzt sie als Absender. Für die zweite Deutung spricht, dass Wortlaut und Aufbau des Schreibens an andere Mails vom „Staatsstreichorchester“ oder der „Cyber-Reichswehr“ erinnern.

Wie Mohring wird ihr eine Frist gesetzt („bis Ende nächster Woche“), um sich von ihrer Partei zu distanzieren „ansonsten werde sie „hingerichtet“. Zurzeit sei man bei der Planung, „wie und wann wir Sie hinrichten werden, bei der nächsten öffentlichen Kundgebung? Oder werden sie von uns vor ihrem Wohnort abfangen?“ Auch das Schreiben an Mohring enthält solche detaillierte Schreckensszenarien.

• Kommentar: Drohungen wie die gegen Cem Özdemir gehen uns alle an

Roth sagt, „die Drohung mag diesmal gegen Cem und mich gerichtet sein, doch sie reiht sich ein in eine lange Liste versuchter Einschüchterungen – gegen Kommunalpolitikerinnen und die Zivilgesellschaft, gegen Jüdinnen und Muslime, gegen Künstlerinnen und Menschen mit Migrationshintergrund.“ Jedes Jahr zählten die Behörden rund 20000 politisch motivierte Straf- und Gewalttaten von rechts. Seit der Wiedervereinigung habe es mindestens 169 Todesopfer rechtsextremer Angriffe gegeben.

Als Bundestags-Präsidenten genießt sie Schutz. Auch Özdemir kann sich auf den Begleitschutz durch das BKA verlassen. „Doch was ist mit all den Kommunalpolitikerinnen und den ehrenamtlich Engagierten, die angefeindet werden und keinen Personenschutz haben?“, fragt er.

Roth meint, die Warnungen seien lange ignoriert worden

Beide haben genug von Symbolpolitik. „Viel zu lange wurden Warnungen vor der Salonfähigkeit rassistischen Gedankenguts ignoriert, wurden Hinweise auf Vernetzung und Radikalisierung kleingeredet, wurden Forderungen nach einer Intensivierung antirassistischer Arbeit weggewischt. Das muss sich dringend ändern“, meint Roth. Man müsse die Aufklärungs- und Präventionsarbeit ausbauen, nicht nur an den Schulen.

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Es brauche Schwerpunktstaatsanwaltschaften im Bereich der Hasskriminalität, damit Hetze nicht länger folgenlos bleibe – offline wie in digitaler Form. Es geht nicht nur darum, ob die Autoren der Drohungen zur Tat schreiten. Womöglich größer ist das Risiko, dass sie andere - selbstradikalisierte Rechte wie den Attentäter von Halle - auf den Plan rufen.

Seit Monaten nun schwillt die Hasswelle gegen Politiker, Behörden und Journalisten aus der rechtsextremen Szene an. Dem Thüringer CDU-Spitzenkandidaten Mike Mohring wird am 19. Oktober in einer E-Mail gedroht, dass er niedergestochen oder eine Autobombe gezündet werde, falls er seinen Wahlkampf nicht abbreche.