Berlin. Olaf Scholz übernimmt nach 16 Jahren von Angela Merkel. Der Wechsel im Kanzleramt kommt zur richtigen Zeit, kommentiert Jörg Quoos.

Deutschland bekommt einen neuen Kanzler. Das ist nicht nur ein Fest für die Demokratie, die nur durch den Wechsel stabil und lebendig bleibt. Nach 16 Jahren Angela Merkel ist es auch ein besonderer Moment für junge Erwachsene, die noch nie einen anderen Menschen im wichtigsten Amt Deutschlands erlebt haben.

Aber wird Olaf Scholz ein guter Kanzler sein? Diese Frage stellen sich alle Bürgerinnen und Bürger, egal ob sie die Partei des künftigen Kanzlers gewählt haben oder nicht. Auf diese Antwort wird man noch eine Weile warten müssen. Dabei darf der neue Kanzler erwarten, dass man ihm Einarbeitungszeit gewährt und nicht jede kleine Regierungspanne beim Neustart auf die Goldwaage legt.

Ampel: Scholz hat sich auf ein Abenteuer eingelassen

Olaf Scholz hat sich mit der Ampel-Koalition allerdings auf ein Abenteuer eingelassen. Liberale und Grüne waren vor Kurzem noch wie Feuer und Wasser. Man ist jetzt zwar vertrauter durch erfolgreiche Verhandlungen und die gemeinsame Faszination vom Aufbruch. Aber die politischen Kompasse bei Grünen und Liberalen haben unterschiedliche Magnetfelder, die kein Koalitionsvertrag grundsätzlich umkehren kann.

Streit ist programmiert – wie jetzt schon vor der ersten Kabinettssitzung bei der Frage einer Entlastung der Autofahrer. In solchen Momenten wird es auf den Kanzler ankommen und ob er alle wieder an einen Tisch bringt. Die Erfahrung, die Gelassenheit und den politischen Instinkt hat er, dass es ihm gelingen kann.

Die Sozialdemokraten haben im Wahlkampf gerne den Unterschied von Olaf Scholz zu Angela Merkel herausgestellt. Aber Scholz wird nur erfolgreich, wenn er – wie alle Kanzler vor ihm – in der Mitte Politik für möglichst viele Menschen macht. Dass er vor Fotografen mit der Kanzlerinnen-Raute kokettierte, zeigte humorvoll, dass er Kontinuität nicht für ein Übel hält.

Deutschland steht vor großen Herausforderungen

Ein Kanzler Scholz wird pragmatisch das Machbare der Vision vorziehen und Erfolg haben, wenn er alle Bürgerinnen und Bürger in den nächsten vier Jahren im Blick behält. Das war nie wichtiger als in einer Zeit, in der eine Pandemie das ganze Land spaltet.

Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion.
Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion. © Dirk Bruniecki

Es ist ein großer Segen und keine Selbstverständlichkeit, dass bislang alle deutschen Kanzler und die Kanzlerin ihr Amt würdig ausfüllten und im In- und Ausland gut repräsentierten. Auch Scholz kann das gelingen, so viel Rückschluss lässt seine Zeit als Vizekanzler zu. Er hat – schon im Wahlkampf – loyal mit der Kanzlerin zu Ende regiert. Das zeigt Pflichtgefühl und den Willen, verabredete Dinge auch bis zum Ende durchzuziehen.

Das neue bunte Ampel-Kabinett – aber auch die Parteien, die hinter den führenden Köpfen stehen – sind gut beraten, einen Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner heiklen Aufgabe aufrichtig zu unterstützen. Deutschland steht mit dem Klimaschutz, dem damit verbundenen Umbau der Industrie, der Digitalisierung und dem Bewahren des vereinten Europas vor Herausforderungen, die kaum größer sein könnten.

Union ist ausgelaugt und müde

Die Union hat vieles richtig gemacht in den vergangenen vier Wahlperioden. Aber im 16. Jahr an der Macht hat sie ­erschreckend gezeigt, wie ausgelaugt und müde sie geworden ist. Deshalb kommt der Wechsel zur rechten Zeit.

„Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“, hat Olaf Scholz einmal über seinen Führungsstil gesagt. Genau das braucht Deutschland jetzt. Klare Führung, die Mehltau wegbläst, der Bürokratie Beine macht und bei allen im Land wieder Risikobereitschaft, Kreativität und Lust auf positive Veränderung weckt.