Moskau. Russland hat nach eigenen Angaben Warnschüsse und Bomben auf einen britischen Zerstörer abgegeben. London spricht von „Schießübungen“.

Ein militärischer Zwischenfall im Schwarzen Meer hat am Mittwoch weltweit für Aufregung gesorgt. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums spielte sich der Vorgang so ab: Der britische Zerstörer „HMS Defender“ sei unweit der Halbinsel Krim drei Kilometer weit in russische Hoheitsgewässer gefahren.

Daraufhin habe ein russisches Grenzpatrouillenschiff Warnschüsse abgegeben, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf das Ministerium in Moskau. Nachdem die „Defender“ nicht reagiert habe, habe ein Militärjet „präventiv“ Bomben im Fahrtweg des britischen Schiffes abgeworfen. Danach sei die „HMS Defender“ abgebogen.

Am Montag soll ein Manöver unter Führung der USA starten

London widersprach dieser Darstellung. Es habe weder Warnschüsse noch Bombenabwürfe gegeben, erklärte das britische Verteidigungsministerium. „Wir glauben, dass die Russen Schießübungen vorgenommen haben im Schwarzen Meer“, hieß es in einer Mitteilung des Ministeriums. Diese seien vorab angekündigt worden. Die „Defender“ sei auf einer „harmlosen Durchfahrt“ durch ukrainische Gewässer im Einklang mit internationalem Recht gewesen.

Der Vorfall ereignete sich am Kap Fiolent im Südwesten der Krim, die Russland 2014 von der Ukraine annektiert hatte. International wird die Annexion nicht anerkannt. Aus Sicht der Regierung in Kiew handelt es sich bei den Gewässern vor Kap Fiolent um ukrainisches Hoheitsgebiet. Russland beansprucht die Gewässer hingegen für sich.

Drohkulisse gegen das Sea-Breeze-Manöver

Moskau vermutet, dass die „Defender“ an einer internationalen Militärübung unter Führung der USA teilnehmen wollte. Das zweiwöchige Manöver Sea Breeze (Seebrise) im Schwarzen Meer soll nach US-Angaben an diesem Montag beginnen. Mit 32 beteiligten Ländern aus sechs Kontinenten, 5000 Soldaten, 32 Schiffen, 40 Flugzeugen sowie 18 Spezialoperationen und Tauchteams soll es die bisher größte derartige Übung sein.

Auch Verbände aus Nato-Ländern sollen beteiligt sein. Die Ukraine ist Austragungsort des Manövers, das bereits seit 1997 jährlich stattfindet. Die Übung wird im Westen als Unterstützung der ukrainischen Regierung gewertet – und als Warnung gegen eventuelle russische Militäraktionen.
Moskaus Darstellung mit Blick auf die „HMS Defender“ kann als Drohkulisse gegen das Sea-Breeze-Manöver interpretiert werden.

Royal Navi auf „eigener Missionen“

Großbritannien dementierte allerdings eine Teilnahme der „Defender“ an der Übung. Die Royal Navy hatte bereits früher im Juni betont, dass sich der Zerstörer aus Nato-Operationen im Mittelmeer „losgelöst“ habe, um „eigene Missionen“ im Schwarzen Meer durchzuführen. Das Sea-Breeze-Manöver findet vor dem Hintergrund neuer Spannungen zwischen Moskau und dem Westen statt. Im Frühjahr hatten massive russische Truppenaufmärsche vor der Grenze zur Ukraine Sorge ausgelöst, dass der Konflikt zwischen Moskau und Kiew­ erneut eskalieren könnte.

Die Beziehungen zwischen den USA und Russland sind derzeit schwer belastet. Das zeigte sich auch beim Antrittsbesuch des amerikanischen Außenministers Antony Blinken am Mittwoch in Berlin. Blinken warnte, dass Russland die Gaspipeline Nord Stream 2 nicht als „politische Waffe“ gegen die Ukraine oder andere Staaten der Region einsetzen dürfe. Bislang hatte die Ukraine von Moskau Transitgebühren über zwei bis drei Milliarden Dollar für die Gasdurchleitung zwischen Russland und EU-Ländern erhalten. Kiew befürchtet, dass mit Nord Stream 2 diese Gelder wegfallen.

Der US-Außenminister richtete deutliche Worte an Moskau: „Deutschland und die Vereinigten Staaten werden weiterhin zusammenstehen gegen gefährliche und provokative Aktivitäten Russlands.“ Moskau schoss verbal zurück. Der Vizechef des Verteidigungsausschusses im russischen Parlament, Juri Schwytkin, unterstrich, alle Versuche, die Grenzen Russlands zu verletzen, würden entschieden abgewehrt. Die Schwarzmeerflotte und der für den Grenzschutz zuständige Inlandsgeheimdienst FSB hätten im Einklang mit internationalen Regeln gehandelt. Es sei alles dafür getan worden, keine Aggression zuzulassen.

Kiew: Bedrohung der Ukraine

Kiew kommentierte den Zwischenfall in scharfer Form. „Ein klarer Beweis für die Position der Ukraine: Russlands aggressive und provokative Aktivitäten im Schwarzen und im Asowschen Meer, seine Besetzung und Militarisierung der Krim stellen eine dauerhafte Bedrohung der Ukraine und ihrer Verbündeten dar“, betonte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba auf Twitter. Seit knapp sieben Jahren werden Teile der ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk entlang der russischen Grenze von moskautreuen Separatisten kontrolliert. Im Frühjahr wollten die USA Kriegsschiffe ins Schwarze Meer schicken, hatten aber nach massiver Kritik aus Russland davon Abstand genommen.