Berlin. In der SPD-Fraktion rumort es, weil ihr Chef Mützenich nach dem Amt greifen wollte. Nicht nur Männer sollten den Staat repräsentieren.

Seinen Präsidenten stellt der Bundestag auf der Homepage so vor: „Zweiter Mann im Staat“. Wenn es nach dem Willen vieler Frauen in der SPD-Fraktion geht, dann wäre jetzt eine von ihnen dran: als Nummer zwei im Staat.

Die Frage ist nur, ob und wie sie es ihrem Vorsitzenden Rolf Mützenich beibringen würden. Der lief sich längst für das Amt warm und wurde von Parteichef Norbert Walter-Borjans vorgeschlagen.

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Bislang nur zwei Bundestagspräsidentinnen seit 1949

Eigentlich ein Affront. Hatten sich die Sozialdemokraten nicht ein Jahrzehnt der Gleichstellung zum Ziel gesetzt? Kanzlerkandidat Olaf Scholz versprach, den SPD-Teil eines Ampel-Kabinetts zur Hälfte mit Frauen zu besetzen.

Seit 1949 standen dem Bundestag 13 Präsidenten vor, zumeist tatsächlich: Präsidenten. Männer. In der Ahnengalerie findet man nur zwei Frauen, die Sozialdemokratin Annemarie Renger von 1972 bis 1976 und die Christdemokratin Rita Süssmuth von 1988 bis 1998.

Ampel-Koalitionsverhandlungen sollen kommen

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    Das Vorschlagsrecht fällt der stärksten Fraktion zu – schon elf Mal waren das die Unionsparteien. Der bisherige Präsident Wolfgang Schäuble scheidet aus, weil CDU und CSU nur noch zweite Kraft im Hohen Haus sind. Mützenich, seit 30 Jahren in der Politik, sah die Aufgabe auf sich zukommen. Für Fragen legte er sich die Standardantwort zurecht, es sei eine Ehre, „für das Amt des Bundestagspräsidenten gehandelt zu werden“.

    In der Fraktion rumort es. Einerseits genießt der Kölner höchsten Respekt, weil er nach dem Rücktritt von Andrea Nahles die Führung im September 2019 in schwierigen Zeiten übernommen hat. Seither herrscht Ruhe in den eigenen Reihen, zweifellos eine Integrationsleistung von „Mütze“, wie er genannt wird.

    SPD-Co-Chef Norbert Walter-Borjans (r) und Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, in Köln.
    SPD-Co-Chef Norbert Walter-Borjans (r) und Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, in Köln. © dpa

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    Bundestagspräsidentin: Kein Job für Neulinge, dazu gehört Erfahrung

    Mehrere weibliche Abgeordnete, mit denen unsere Redaktion geredet hat, beteuerten „Niemand möchte Mützenich schaden“ oder „Wenn er nach diesem Amt greift, wird ihm niemand Steine in den Weg legen“. Gleichwohl erwartet frau von ihm ein anderes Signal, eher nach Scholz-Art. Der hatte zum Frauentag erklärt: „Für mich war immer klar: Frauen gehört die Hälfte der Macht.“

    Wer den Bundestag repräsentiert, wacht über die Einhaltung der parlamentarischen Regeln und ist Dienstherr der Verwaltung im Reichstag. Kein Job für Neulinge, dazu gehört Erfahrung. Früh kursierte der Name des 62-jährigen Fraktionschefs. „Mütze“ könnte das.

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      Präsidentenfrage: Kritik von Jutta Allmendinger und Peter Dabrock

      Auf jeden Fall ist er Herr des Verfahrens. Wenn heute der Fraktionsvorstand tagt, dürfte er einen Vorschlag machen. Die Entscheidung trifft die Fraktion, letztlich der Bundestag bei der konstituierenden Sitzung am 26. Oktober. Aus Respekt vor dem Fraktionschef gingen die Frauen in der Fraktion nicht an die Öffentlichkeit.

      Das übernahm die Soziologin Jutta Allmendinger. Sie schrieb mit dem Ex-Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, im „Spiegel“: „Man muss sich vor Augen halten: Käme die Ampel-Koalition, wären mit Bundespräsident, Bundestagspräsident, Bundeskanzler, Bundesratspräsident und Präsident des Bundesverfassungsgerichts alle fünf Ämter an der Staatsspitze von Männern besetzt. Es braucht eine Frau als Bundestagspräsidentin.“

      Mehrere Kandidatinnen im Gespräch

      Dass keine weibliche Abgeordnete inf­rage käme, lassen sie in der Fraktion als Ausrede nicht gelten. Im Gespräch sind viele, zum Beispiel Aydan Özuguz aus Hamburg oder aus Nordrhein-Westfalen Kerstin Griese, Bärbel Bas und Michelle Müntefering, allesamt seit vielen Jahren im Parlament. Für Griese (Jahrgang 1966) ist es die siebte Legislaturperiode.

      Falls Mützenich nicht verzichten sollte, würden die Frauen in der SPD darauf drängen, dann eben den Fraktionsvorsitz zu besetzen – politisch der einflussreichere Posten, für den prompt wieder ein Mann gehandelt wird, Matthias Miersch von der parlamentarischen Linken der SPD.

      Am Montagabend hat Mützenich über die Besetzung im kleinsten Kreis mit seinen Stellvertretern und Geschäftsführern beraten. Alle wurden dazu verdonnert, darüber zu schweigen. Aber wenn die Frauen übergangen werden, so hört man aus ihren Reihen, „wird es nicht so ruhig bleiben“ – schon weil die nächsten Postenbesetzungen anstehen, in der Fraktion, im Kabinett, in den Parteigremien. Wehret den Anfängen.

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