Paris. Die Präsidentschaftswahl kann in Frankreich alles verändern. Doch die Wahlversprechen von Macron und Le Pen haben auch Gemeinsamkeiten.

Die Franzosen entscheiden bei der Stichwahl am 24. April nicht nur darüber, wer ihr nächstes Staatsoberhaupt wird. Sie haben auch einen großen Einfluss darauf, in welche Richtung Frankreich in den kommenden fünf Jahren steuert. Während der amtierende Mitte-Kandidat Emmanuel Macron für ein progressives, weltoffenes und multilaterales Frankreich sowie eine Vertiefung der Europäischen Union wirbt, steht seine Herausforderin für das Gegenteil.

Die rechtsextreme Marine Le Pen plädiert für einen starken und souveränen Staat und will den Einfluss der Europäischen Union (EU) beschneiden. Wie weit die Vorstellungen der beiden auseinandergehen, lässt sich an ihren Wahlprogrammen ablesen. Was könnte Frankreich nach der Wahl erwarten?

Frankreich-Wahl: Wenige Überschneidungen – beide wollen Atomkraft

Die Vorhaben der Kontrahenten decken sich allein an zwei Punkten: Sowohl Le Pen als auch Macron haben sich für eine Reform des Wahlrechts ausgesprochen. Le Pen will die Einführung des Verhältniswahlrechts. Macron plant die Auflockerung des bestehenden Mehrheitswahlrechts durch eine stärkere Berücksichtigung der Mehrheitsverhältnisse bei der Mandatsvergabe. Lesen Sie hier, wie das französische Wahlsystem funktioniert.

Ebenso versprechen beide eine Rentenreform: Le Pen, die ursprünglich zur Rente ab 60 zurückkehren wollte, will diese mittlerweile nur noch jenen Arbeitnehmern zugestehen, die 42 Jahre lang ihre Beitragszahlungen geleistet haben. Macron wollte das legale Renteneintrittsalter zunächst von 62 auf 65 Jahre anheben. Jüngst ließ er sich aber auf einen Kompromiss ein und erklärte sich dazu bereit, über eine schrittweise Anpassung zu diskutieren, die auch bei 64 Jahren halt machen könnte.

Schlagabtausch im TV: Macron liegt in vielen Umfragen vorne. Manche sehen aber Le Pen als Siegerin der Stichwahl.
Schlagabtausch im TV: Macron liegt in vielen Umfragen vorne. Manche sehen aber Le Pen als Siegerin der Stichwahl. © Ludovic MARIN / AFP

In der Energiepolitik haben die beiden zumindest stellenweise Überschneidungen: Macron wie Le Pen setzen dort auf die Atomkraft, in die Milliarden-Investitionen fließen sollen. Doch während Macron beinahe ebenso viel Geld in den Ausbau der erneuerbaren Energien stecken will, beabsichtigt Le Pen, die Solarenergie zu fördern und den Ausbau der Windenergie sofort zu stoppen. Selbst bestehende Windräder, so verspricht sie, sollen entweder abgebaut oder nicht erneuert werden.

Frankreich-Wahl: Macrons Pläne für Sozialhilfe in der Kritik

Für viel Wirbel sorgte Macron im Wahlkampf dagegen mit der Ankündigung zur Sozialhilfe: Diese soll künftig nur noch dann voll auszahlt werden, wenn ihre Empfänger 15 bis 20 Stunden pro Woche an Fortbildungskursen teilnehmen. Wie ist die Stimmung vor der Stichwahl in Frankreich?

Dabei ging unter, dass er gleichzeitig eine "automatische Auszahlung" der Sozialhilfe an alle Berechtigten versprach. Derzeit muss die Sozialhilfe aktiv beantragt werden. Schätzungen zufolge verzichten jedoch beinahe ein Drittel der Berechtigen aus Unwissenheit oder Scham auf diesen Schritt.

Le Pen ihrerseits will im Rahmen ihres Kernprojekts der "nationalen Priorität" die Sozialhilfe nur noch jenen Ausländern – auch europäischen – zugestehen, die sich seit mindestens fünf Jahren im Land aufhalten und einer geregelten Arbeit nachgehen. Ebenso soll künftig die nationale Priorität bei der Vergabe von Jobs und Wohnungen gelten.

Frankreich-Wahl: Le Pen will Mehrwertsteuer und Zuwanderung senken

Viele Punkte machte Le Pen mit ihrer Versicherung, die "Präsidentin der Kaufkraft" zu werden. Dem Thema nahm sie sich bereits vor der durch den Ukraine-Krieg bedingten Inflation an. Nun rückte es in den Mittelpunkt des Wahlkampfes.

Le Pens Absicht: Die Mehrwertsteuer für Strom und Gas sowie für Benzin soll von 20 auf 5 Prozent sinken, jene für die 100 wichtigsten Grundnahrungsmittel und Hygieneprodukte sogar auf null. Außerdem verspricht Le Pen, Arbeitnehmer teilweise von Abgaben zu befreien, die die Löhne erhöhen.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Beim in Frankreich stets heiß diskutierten Thema Einwanderung will Le Pen strenge Quoten für Zuwanderer festlegen, die Familienzusammenführungen beenden und nur noch Asylbewerber zulassen, die ihren Antrag bereits vor ihrer Einreise im Ausland gestellt haben. Ganz anders Macron: Er beschränkt sich auf das Versprechen, die Ausweisung abgewiesener Asylbewerber zu verbessern.

Frankreich-Wahl: Le Pen bei Klima- und EU-Politik nationalistisch

Den Klimaschutz will Macron laut einer Ankündigung zur Chefsache machen: Künftig soll der Regierungschef direkt für die "ökologische Planung" verantwortlich sein. Le Pen hingegen will "vernünftige" Maßnahmen ergreifen, die den Bürgern das Leben nicht erschweren dürften. Zum Pariser Klimaabkommen bekennt sie sich, den "Green Deal" der EU lehnt sie jedoch entschieden ab.

Für Zündstoff in der öffentlichen Debatte sorgt auch Le Pens Vorhaben, das Tragen jeglicher religiöser Merkmale in der Öffentlichkeit zu verbieten. Der Vorstoß ist in erster Linie als ein Kopftuchverbot gedacht, würde aber auch die jüdische Kippa betreffen.

Noch umstrittener sind die offen deutschen- und EU-feindlichen Töne der Rechtsextremen. Eine "Gängelung" aus Berlin oder Brüssel, so Le Pen, werde sie in keinem Fall hinnehmen. Was passiert, wenn Le Pen gewinnt?

Was das genau heißt, hat Le Pen im Laufe des Wahlkampfs präzisiert: Der Aachener Vertrag über eine Vertiefung der deutsch-französischen Freundschaft und Kooperation sei zu hinterfragen, gemeinsame Rüstungsprojekte wie das Kampflugzeug und der Panzer der Zukunft würden "umgehend" gestoppt. Außerdem will Le Pen den französischen EU-Beitrag um die Hälfte kürzen und gesetzlich festschreiben, dass europäisches Recht nicht über das nationale Recht gehen darf.

Frankreich-Wahl: Steht der EU ein Frexit bevor?

Le Pens Pläne handelten ihr den Vorwurf Macrons ein, sie würde einen Frexit ansteuern, ohne das Kind beim Namen zu nennen. Eine Befürchtung, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Regierungschefs Spaniens und Portugals, Pedro Sanchez und Antonio Costa, teilen.

Europa fürchtet den "Frexit" mit Le Pen

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    In einem von der Pariser Zeitung "Le Monde" veröffentlichen Gastbeitrag mischten sich die drei Nachbarn – ungewöhnlich genug – offen in den französischen Wahlkampf ein und riefen zur Wahl Macrons auf. Ihre Sorge galt dabei nicht nur der Zukunft der EU, "die ein starkes Frankreich an ihrer Seite" brauche.

    Auch Le Pens Nähe zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin sorgt für Beunruhigung. Die Rechtsextreme kündigte bereits an, nach dem Ende des Krieges in der Ukraine eine enge Zusammenarbeit mit Moskau suchen zu wollen. Damit drohe bei ihrer Wahl zur Präsidentin nicht nur in Frankreich eine neue Richtung: Auch die europäische Einheitsfront gegen Putin könnte mit Le Pen an der Macht zerbrechen.

    Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.