Berlin. Der Militäreinsatz hat Afghanistan wenig Stabilität gebracht. Der Rückzug ist konsequent. Nun braucht das Krisenland zivile Hilfe.

Es ist bitter, schmerzhaft und voller politischer Symbolik: Bis zum 11. September – 20 Jahre nach den Terroranschlägen in New York und Washington – will US-Präsident Joe Biden den Militäreinsatz seines Landes in Afghanistan beenden. Damit geht auch die internationale Mission, an der derzeit noch rund 1100 Bundeswehrsoldaten beteiligt sind, zu Ende.

Das desillusionierende Fazit: Auch die größte Intervention kann ein Land nicht auf einen Pfad zu Demokratie und wirtschaftlichem Wohlstand zwingen, wenn der Reformschub nicht von innen kommt. Afghanistan hat heute eine schwache, von inneren Kämpfen zerrissene Regierung. Die radikalislamischen Taliban und die Terrormilizen des „Islamischen Staats“ (IS) haben beträchtliche Teile des Landes unter ihrer Kontrolle.

Und am Mittwochabend wurde bekannt: Auch die Nato leitet nach der Rückzugsentscheidung der USA das Ende ihres Einsatzes in Afghanistan ein. Die Alliierten hätten entschieden, mit dem Abzug aus dem Land zu beginnen, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Mittwochabend nach einer Videokonferenz der Außen- und Verteidigungsminister der 30 Bündnisstaaten von Diplomaten.

„Die Bundesregierung konnte sich dem Solidaritätsdruck der Amerikaner nicht entziehen“

Hat der Westen kapituliert? Wenn man die ganz große Messlatte anlegt, ist die Frage mit Ja zu beantworten. Das geschundene zentralasiatische Land konnte nicht stabilisiert werden. Ein hochrangiger deutscher Diplomat brachte es unter dem Siegel der Anonymität auf folgende Formel: „Der internationale Einsatz in Afghanistan brachte de facto keinen Durchbruch. Aber die Bundesregierung konnte sich dem Solidaritätsdruck der Amerikaner und der Nato-Verbündeten nicht entziehen.“

In der historischen Rückschau ist die Afghanistan-Mission nachvollziehbar. Die Supermacht Amerika war durch die Terrorattacken am 11. September 2001 tief verwundet. Der Kampfeinsatz gegen das dahinterstehende Netzwerk Al Qaida und seinen Kopf Osama bin Laden galt damals als Gebot der Stunde.

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US-Präsident Joe Biden geht es um die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gegen China

Angesichts der weltweiten Gefahr von Anschlägen formulierte der damalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD): „Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Am Anti-Terror-Krieg von US-Präsident George W. Bush beteiligten sich die Bundeswehr und viele Nato-Partner.

Heute ist man in Washington zutiefst ernüchtert. Die USA hatten zeitweise rund 100.000 Kräfte stationiert. 2400 Soldaten wurden in Afghanistan getötet. Die Kosten innerhalb von fast 20 Jahren beliefen sich auf zwei Billionen Dollar. Präsident Biden hat nun neue außenpolitische Prioritäten. Ihm geht es um die Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit gegen den Wirtschafts-Giganten China. Er braucht Geld für Investitionen in den Breitband-Ausbau, die 5G-Technologie oder Künstliche Intelligenz. Es ist ein „America-First“-Ansatz, den Biden aber völlig anders definiert als sein Vorgänger Donald Trump.

Afghanistan stehen Turbulenzen, Chaos und ein Rückfall ins islamische Mittelalter bevor

Afghanistan wurde nicht ohne Grund als „Friedhof der Imperien“ bezeichnet. Die Briten bliesen 1842 zum Rückzug. Die Sowjetunion, die das Land zehn Jahre besetzt hatte, musste 1989 ihre Truppen nach Hause schicken.

Kritiker weisen zu Recht darauf hin, dass das Ende der aktuellen Militärmission für Afghanistan viele Risiken birgt. Die Taliban dürften noch stärker werden. Zu befürchten ist, dass sich der IS weiter ausbreitet. Die Regierung ist nicht robust genug, um die Warlords und die Stammesfürsten in Schach zu halten. Dem Land stehen daher Turbulenzen, Chaos und möglicherweise ein Rückfall ins islamische Mittelalter bevor.

Durch zivile Hilfe lassen sich zumindest winzige Inseln eines begrenzten Friedens geschaffen

Dennoch ist der Rückzug aus Afghanistan notwendig. Eine höchst brüchige Stabilisierung mit einem extrem hohen personellen und finanziellen Aufwand von außen bringt das Krisenland nicht weiter. Man kann den Fortschritt nicht herbeibomben. Doch Deutschland und die westlichen Länder sollten zivile Hilfe anbieten.

Die Bundeswehr hat nicht nur afghanische Soldaten und Sicherheitskräfte ausgebildet, sondern auch Brunnen angelegt und Schulen gebaut. Das ist der richtige Weg – zusammen mit der Offerte von Knowhow und Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen. Auf diese Weise lassen sich zumindest winzige Inseln eines begrenzten Friedens geschaffen. Das ist wenig genug und mühsam – aber mehr als nichts.