Zwischen Schildern über Christian Drosten und Angela Merkel war auf den Anti-Corona-Maßnahmen-Demos der letzten Monate immer wieder ein Buchstabe zu sehen: Q. Manchmal auch als Wortspiel: Thank Q – Danke, Q.
Q ist nicht nur der Anfangsbuchstabe der sogenannten Querdenker, sondern bezieht sich auch auf die Verschwörungserzählung von QAnon aus den USA. Ein anonymer Regierungsmitarbeiter Q, so der Mythos, informiere mit kryptischen Nachrichten im Netz über einen Kampf von Präsident Donald Trump gegen einen geheimen globalen Ring von Kinderhändlern. Das ergibt keinen Sinn. Es sei denn, man glaubt an eine geheime Elitenclique, die auf der ganzen Welt im Hintergrund die Fäden zieht.
Solche Verschwörungserzählungen gibt es seit langem. Um die Ermordung John F. Kennedys rankten sie sich ebenso wie um die Anschläge am 11. September 2001 oder die Mondlandung. Doch mit Corona sind krude Versuche der Welterklärung prominent in die Öffentlichkeit gerückt. Plötzlich scheinen auch Menschen, die immer an Fakten orientiert waren, die merkwürdigsten Geschichten für wahr zu halten.
In der Corona-Pandemie blühen Verschwörungserzählungen
QAnon ist nicht die einzige Erzählung, die sich im Zusammenhang mit Corona verbreitet: Das Virus sei eine Biowaffe; der Unternehmer Bill Gates wolle die Impfung nutzen, um Menschen Mikrochips zu implantieren; der Mobilfunkstandard 5G sei der eigentliche Grund für die Toten der Pandemie. Für keine dieser Behauptungen, die kursieren, gibt es irgendwelche Belege. Trotzdem sind viele Menschen davon überzeugt.
Was Verschwörungserzählungen verbindet, ist die Annahme, dass „als mächtig wahrgenommene Einzelpersonen oder eine Gruppe von Menschen wichtige Ereignisse in der Welt beeinflussen und damit der Bevölkerung gezielt schaden, während sie diese über ihre Ziele im Dunkeln lassen“. So definieren die Autorinnen Katharina Nocun und Pia Lamberty in ihrem Buch „Fake Facts“ derartige Erzählungen.
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38 Prozent der Menschen in Deutschland haben eine Verschwörungsmentalität
Die Grundlage bildet das, was die Autorinnen Verschwörungsmentalität nennen – eine misstrauische Grundhaltung gegenüber der Welt und eine Bereitschaft, an finstere Mächte im Hintergrund zu glauben. Langzeitstudien hätten eine solche Grundeinstellung bei 38 Prozent der Menschen in Deutschland gezeigt, sagt Nocun im Gespräch mit unserer Redaktion. „Aber es war vorher eher ein Tabu-Thema . Ich denke, die Pandemie hat vieles sichtbarer gemacht.“
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Denn die Erschütterungen durch die Pandemie können leicht das Gefühl verursachen, nicht mehr die Kontrolle über das eigene Leben zu haben. Ein solcher gefühlter Kontrollverlust mache anfälliger für den Glauben, dass geheime Mächte das Geschehen lenkten, so die Expertin.
„ Verschwörungsmythen geben da ein Gefühl von Struktur und Halt“, so Nocun. „Sie bieten nicht zwingend eine schönere Parallelrealität, aber eine Art inneres Geländer.“ Es muss dabei nicht immer eine globale Pandemie sein – auch Trennungen oder ein plötzlicher Jobverlust können ausreichend erschüttern, dass Menschen nach solchen vermeintlichen Erklärungen greifen.
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Seit Corona häufen sich die Anfragen bei Beratungsstellen
Auf Außenstehende wirken die Positionen häufig wirr, zum Teil auch lächerlich. Doch für Anhänger von Verschwörungserzählungen und die Menschen in ihrem Umfeld ergeben sich daraus reale Probleme. In den USA, wo die QAnon-Bewegung mittlerweile sogar im Kongress Vertreter hat, berichten Menschen, dass sie keinen Zugang mehr zu ihren verschwörungsgläubigen Familienmitgliedern finden. Und auch in Deutschland suchen immer mehr Angehörige Hilfe.
Sie landen dann etwa bei Christoph Grotepass von Sekteninfo NRW. Eigentlich ist die Beratungsstelle ein Angebote für Menschen, die aus Sekten-artigen Strukturen ausbrechen wollen, und ihre Angehörigen. Doch das Team berät auch zum Thema Verschwörungserzählungen. Und seit Corona nehme dieser Bereich immer mehr Platz in der täglichen Arbeit ein, sagt Grotepass.
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Schon nach der Hälfte des Jahres habe die Zahl der Anfragen zu diesen Themen doppelt so hoch gelegen wie 2019. Viele, die sich an Grotepass und seine Kollegen wenden, sind der Verzweiflung nahe, weil sie einen geliebten Menschen kaum wiedererkennen. „Da erodiert auf einmal das gemeinsame Wertefundament und das Paar steht vor den Scherben seiner Ehe und weiß gar nicht, was passiert ist“, erzählt Grotepass. „Dieses grundsätzliche Misstrauen stellt dann auch die Vertrauensbasis der Eheleute unter einander in Frage.“
Verschwörungserzählungen: Experten raten, früh zu intervenieren
Doch was tun, wenn man merkt, dass der eigene Partner, ein Elternteil oder Freund plötzlich mit Erklärungen für das Weltgeschehen aufwartet, die durch nichts gedeckt sind? Katharina Nocun appelliert, Verschwörungserzählungen im eigenen Umfeld nicht einfach unwidersprochen stehen zu lassen. Wenn zum Beispiel in der Kita-Whatsapp-Gruppe krude Meinungen zum Impfen gepostet würden, solle man früh intervenieren, sagt sie. „Wenn Menschen noch nicht radikalisiert sind, kann man mit Faktenchecks noch viel erreichen.“
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Auch Grotepass betont, wie wichtig es ist, früh zu reagieren und mit den Betroffenen darüber zu sprechen, woher die vermeintlichen Fakten kommen. „Am Anfang macht Quellenkritik noch Sinn. Wenn jemand tief drin steckt, sind die Erfolgsaussichten, die Person zurückzuholen, gering.“
Ist die Radikalisierung weit fortgeschritten, helfen Sachargumente nicht mehr
Habe jemand diesen Punkt erreicht, sei mit Sachargumenten nicht mehr viel zu machen, sagt der Berater. „Denn die rühren überhaupt nicht an die emotionale Grundlage“, sagte Grotepasse. Wer im Gespräch mit einem überzeugten Anhänger versuche, alles zu widerlegen, werde eher erleben, dass sein Gesprächspartner aggressiv werde, weil er sich nicht ernstgenommen fühle.
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Freunde und Familienmitglieder sollten deshalb versuchen, herauszufinden, was der tieferliegende Grund für die plötzliche Hinwendung zu Verschwörungserzählungen ist – zum Beispiel wirtschaftliche Sorgen, gesundheitliche Ängste, Einsamkeit. Die Frage müsse sein, wie man auf dieser Ebene helfen kann. „Das ist oft nicht einfach, weil die Betroffenen nicht unbedingt mithelfen“, sagt Grotepass.
Betroffene finden am ehesten zurück, wenn noch nicht alle Brücken abgebrochen sind
Nocun rät zu Geduld, auch wenn es schwer fällt. „Gerade bei Menschen, die schon tief im Kaninchenbau des Verschwörungsglaubens abgetaucht sind, sollte man nicht mit der Erwartung rangehen, sie in einem einzigen Gespräch zu überzeugen“, sagt sie.
Erreichbar sei eher, dass man kleine Risse in das Weltbild schlägt und einen Denkprozess in Gang setzt, der vielleicht erst Wochen oder Monate später Früchte trage. Nahestehende Menschen hätten noch am ehesten Zugang zu Verschwörungsgläubigen, die schon weitgehend radikalisiert seien, sagt sie. „Das sollte man nutzen.“
Auch Grotepass empfiehlt, den Kontakt zu halten, sofern sich das mit den eigenen Grenzen vereinbaren lässt. „Wenn noch nicht alle Brücken abgebrochen sind“, sagt er, „erhöht das die Chancen, dass Betroffene irgendwann zurückfinden können.“
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