Berlin. Nächste Woche findet der Nato-Gipfel statt: Was aus dem Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan wird, ist zum aktuellen Zeitpunkt unklar.

Auf Camp Marmal ist wieder Auktionstag. Von Mal zu Mal kommen mehr Bieter ins Feldlager in Masar-e-Scharif. Mobile Duschen, Bürocontainer, Werkzeug, Näh­maschinen, Unterhaltungselektronik – alles fällt unter den Hammer. Was nicht verkauft, verschenkt oder vor Ort verwertet werden soll, wird mit Antonov-Maschinen aus Afghanistan nach Deutschland verlegt, an die 500 Fahrzeuge und auch Waffen. Die Hälfte des Materials – über fast 20 Jahre am Hindukusch angehäuft – wird zurückgebracht.

Abzug? Nicht doch. Sie nennen es „aggressive Housekeeping“. Auf gut Deutsch: Es wird ausgemistet. Das Feldlager in Kundus – nicht mehr besetzt. Das Studio von Radio Andernach – aufgegeben. Von 1300 Soldaten sind noch 1000 in Masar und 100 in Kabul stationiert, derweil ein Kontingentwechsel vorbereitet wird. Die Bundeswehr plant zweigleisig: Rückzug wie Verbleib.

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Afghanistan: Unklarheit über Abzugspläne

Die Militärs wissen nicht, woran sie sind. Der „Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt“ ergeht es nicht besser. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat auch nach einem Telefonat mit ihrem US-Kollegen Lloyd Austin keine Klarheit. Ende März läuft das Mandat des Bundestages aus. Einen Monat später sollten die letzten alliierten Kräfte das Land verlassen haben. Das sieht ein Abkommen der USA mit den Taliban vor.

Die Zahl der Soldaten der Nato-Mission ist nach Informationen unserer Redaktion auf 10.000 gesunken, darunter 2500 G. I.s. „Erstmals sind jetzt mehr Europäer im Afghanistan-Einsatz als Amerikaner“, sagen Nato-Diplomaten. „Die Gewichte haben sich verschoben.“

Das letzte Mal wurde die Bundeswehr Ende März 2020 beschossen. Die Taliban stellten die Angriffe auf fremde Streitkräfte ein. Aber von einem innerafghanischen Frieden kann keine Rede sein. Aus Sicht der Amerikaner (siehe Bericht unten) halten sie das Abkommen nur bedingt ein.

Es ist Amerikas längster Krieg, er hat fast eine Billion Dollar gekostet – Präsident Joe Biden will ihn beenden, aber verantwortungsvoll. Viel spricht dafür, dass die USA die Schutzmacht der Regierung in Kabul bleiben wollen. Sie spielen die Option durch, im Land zu bleiben.

Joe Biden, Präsident der USA, will den Krieg verantwortungsvoll beenden.
Joe Biden, Präsident der USA, will den Krieg verantwortungsvoll beenden. © dpa | Evan Vucci

„Wir haben eine sehr schwierige Entscheidung zu treffen“, bemerkt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit Blick auf die Beratungen der Verteidigungsminister nächste Woche. „Wenn wir bleiben, riskieren wir natürlich, weiter in einer schwierigen Militäroperation verwickelt zu bleiben. Wenn wir zu früh gehen, riskieren wir, dass Afghanistan wieder ein sicherer Hafen für Terroristen wird und dass der ‚Islamische Staat‘ versucht, sein in Syrien und Irak zerstörtes Kalifat in Afghanistan wieder zu errichten“, sagt er.

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Bundeswehr: Bleibt sie über den April hinaus in Afghanistan?

Es ist ein Dilemma, das sich erledigt, wenn die Taliban und die Kabuler Regierung Frieden schließen würden. Damit rechnet Außenminister Heiko Maas (SPD) nicht bis März. „Deshalb müssen wir auch mit einem neuen Bundestagsmandat auf unterschiedliche Szenarien vorbereitet sein“, sagte er unserer Redaktion. Die Bundeswehr bleibt über den April hinaus. Wofür? Für einen geordneten Abzug, der mindestes acht Wochen in Anspruch nimmt? Oder gar länger?

Aus Solidarität mit den USA hat sich die Bundesregierung nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 der Intervention angeschlossen. Anfangs stand der Anti-Terror-Kampf im Vordergrund, inzwischen geht es um die Ertüchtigung der afghanischen Armee. Die Amerikaner sind die stärkste Militärmacht. Die Bundeswehr ist auf sie angewiesen – auf sie wiederum 15 weitere Staaten, die auch im Norden Afghanistans operieren und für die Deutschland die Rahmennation ist, Holländer, Schweden, Mongolen.

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Angesichts der Kette von Abhängigkeiten macht sich AKK die Formel „Gemeinsam rein, gemeinsam raus“ zu eigen. Unter Biden sei mit der US-Regierung „ein partnerschaftliches Vorgehen wieder möglich“, glaubt Maas. „Wir sind uns einig, dass wir den Einsatz als Bündnispartner gemeinsam zu Ende führen wollen – auf verantwortungsvolle Weise und so, dass der Friedensprozess nicht gefährdet wird.“

Deutsche Soldaten in Kundus. Hätten alleine die Generäle das Sagen, wären die deutschen Truppen längst wieder in der Heimat.
Deutsche Soldaten in Kundus. Hätten alleine die Generäle das Sagen, wären die deutschen Truppen längst wieder in der Heimat. © dpa | Can Merey

Linke-Fraktionschef fordert Exitstrategie für die Bundeswehr

Gut möglich, dass eine Entscheidung erst im März im Kreis der EU-Außenminister fällt. Eine Möglichkeit, die hinter den Kulissen durchgespielt wird, läuft auf einen kleinen Einsatz hinaus, „der dem Bündnis eine Basis bieten würde, im Notfall schnell wieder eingreifen zu können“, wie ein Nato-Diplomat den Ansatz skizziert.

„Natürlich hängen wir in Afghanistan von den Amerikanern ab, aber die Bundesregierung muss sich eine eigene Meinung bilden“, meint Grünen-Wehrexperte Tobias Lindner. Der Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch fordert: „Frau Kramp-Karrenbauer muss endlich eine Exitstrategie für die Bundeswehr vorlegen.“

Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke.
Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke. © dpa | Kay Nietfeld

Wenn die Bundeswehr am Hindukusch bleiben soll, verlangt FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine Begründung. „Wir warten seit Langem auf eine Evaluation des Einsatzes durch Außenminister Maas. Eine ehrliche Analyse von 20 Jahren Afghanistan sind wir schon den gefallenen Soldaten schuldig.“

Neue Terrorcamps, mehr Flüchtlinge

Es ist schwer, Bartsch zu widersprechen. „Bombenanschläge kennzeichnen bis heute denn Alltag“, sagt er. Die Taliban würden wieder weite Teile des Landes kontrollieren. „Wenn Afghanistan total wegdriftet, kriegen wir ein Problem“, gibt der Vorsitzende des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg (CDU), zu bedenken: Terrorcamps, neue Flüchtlingsströme. Für ihn ist der Einsatz ein Beispiel dafür, dass man Interventionen langfristiger angehen und es auch sagen sollte: „Wir gehen da rein und bleiben.“