Berlin. Die Demoskopen sahen bei der US-Wahl wie schon 2016 die Demokraten vorne – und lagen erneut deutlich daneben. Wie konnte das passieren?

Über den Sieger der US-Wahl wird noch gestritten, aber ein Verlierer steht bereits fest: die Demoskopen. Die sahen Präsident Donald Trump klar hinter seinem Herausforderer. Aber wie schon vor vier Jahren entwickelte sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Vielen Fernseh-Zuschauern dürfte es in der Wahlnacht so ergangen sein wie SPD-Vize Kevin Kühnert, der bei RTL festhielt: „Für die Demoskopie in den USA ist es auf jeden Fall schon mal kein guter Abend“. Wie verlässlich ist die Meinungsforschung noch?

Biden sah für viele Wahlforscher wie der sichere Sieger aus

Rückblick: Econnomist/YouGov sah den Demokraten Joe Biden um zehn Prozentpunkte vorn. Er stand auch für Reuters/Ipsos (plus 7), für Quinnipiac (plus 11), für SurveyUSA (plus 8) und NBC News /Wall Street Journal (plus 10) als Sieger fest. Allesamt Prognosen aus der Woche vor dem Urnengang.

In den politischen Analysen in Deutschland ging es mitunter nur noch um die Frage, ob Trump eine Niederlage akzeptieren würde. Dass er siegen könnte, schien unrealistisch. „Wir sind darauf nicht vorbereitet“, räumt der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen ein. Der Staatsminister im Auswärtigen, Niels Annen (SPD), erkannte, dass Wahlforscher und Beobachter die Mobilisierungsfähigkeit des Präsidenten unterschätzt hätten. Wie konnte das passieren? Was haben die Wahlforscher übersehen?

Bei der US-Wahl 2020 hab es viele Unbekannte bei den Wählern

Gewöhnlich werden die Bürger direkt nach Stimmabgabe befragt, nach Verlassen des Wahllokals. Das Verhalten der Briefwähler haben die Demoskopen schon bisher schätzen müssen. Da sie in normalen Zeiten eine Minderheit waren, war die Fehlerquote überschaubar. Damit konnte man umgehen. Zudem konnte man auf Erfahrungswerte zurückgreifen. Man weiß zum Beispiel, dass die schätzungsweise 200.000 im Ausland stationierten US-Soldaten – alternativlose Briefwähler – tendenziell für die Republikaner sind.

In diesem Jahr haben – auch Corona-bedingt – zwei von drei Wählern ihre Stimme per Brief abgegeben. Sie haben die Wahllokale gemieden. Als der Wahlkampf auf die Zielgerade ging, hatten 100 Millionen Amerikaner längst abgestimmt, darunter bis zu einem Viertel Erstwähler. Darunter fallen nicht nur Jungwähler, sondern auch Menschen, die vorher nicht gewählt hatten – auch sie sind schwer einzuschätzen. Das gleiche Phänomen wie bei der hohen Zahl von Briefwählern: Es fehlen Erfahrungswerte.

US-Wahl- Deutsche Politik kritisiert Trump

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    Trump-Anhänger verschweigen eher ihre politische Präferenz

    Ein älteres Problem – schon von 2016 – glaubten die Demoskopen diesmal besser in den Griff zu bekommen. Damals hatte man festgestellt, dass gebildete Menschen tendenziell eher bereit waren, sich an Telefonumfragen zu beteiligen; und dass sie unter Demokraten überdurchschnittlichen vertreten waren. Trump sprach gezielt die bildungsfernen Schichten an, und die kamen in den Umfragen zu kurz. Das konnte man 2020 eigentlich schon einkalkulieren.

    In vielen Dokumentationen über Trump-Wähler – in Interviews – gaben die Anhänger des Präsidenten als Antwort an, dass sie zur schweigenden Mehrheit“ gehörten. Es war die Standardreaktion auf die guten Umfrageergebnisse der Demokraten. Es könnte sein, dass sich viele Trump-Wähler in Befragungen nicht outen. Das Phänomen ist den Demoskopen aus Deutschland aus Befragungen von Anhängern rechter Parteien bekannt. Nicht alle, die für sie stimmen, wollen sich in einem Interview zu ihnen bekennen. Gibt es einen Schamfaktor?

    Hinzu kommt, dass Trump vier Jahre lang den Medien Fälschung unterstellt hat: „Fake News“. Und wer gibt oft Umfragen in Auftrag? Eben, Medienunternehmen. Da stellt sich die Frage, ob Demokraten eher bereit sind, sich an Umfragen zu beteiligen als Trump-Anhänger, die vielfach wie ihr Präsident der veröffentlichten Meinung misstrauen.

    US-Wahl 2020 - Alles zum Duell Trump vs. Biden

    Brexit und US-Wahlen beschädigen Glaubwürdigkeit einer ganzen Branche

    Fakt ist, dass die Zustimmungswerte zu Trumps Amtsführung seit langem über seinen nationalen Umfrageergebnissen liegen. Gut möglich, dass in der Wahlkabine letztlich die Aufregung über den letzten rassistischen Tweet weniger zählt als die allgemeine Meinung über seine Amtsführung, zum Beispiel zur Wirtschaftspolitik, die – Vorsicht, Umfragen! – angeblich das wichtigste Anliegen der Wähler war.

    Unter den Wahlforschern wird überlegt, künftig stärker Meinungen in den sozialen Netzwerken abzufragen. Das Internet als Alternative zum Telefon-Interview? Der Nachteil: Man bekommt keine repräsentative Stichprobe zusammen. Die Auswahl ergibt sich per Zufall. Der Vorteil: Man spricht Gruppen an, die man nach traditioneller Art vielleicht nicht mehr erreicht hätte.

    Am Ende zählt alles, was den Demoskopen hilft, Stimmungen verlässlicher abzubilden. Davon hängt die Glaubwürdigkeit einer ganzen Branche ab, die nach der US-Wahl 2016 und dem Brexit-Referendum in Großbritannien nun schon zum dritten Mal spektakulär daneben lag.