Essen. . Die Bundesliga wird die Pandemie überstehen, glaubt Handball-Geschäftsführer Frank Bohmann. Doch um viele Fans wird man kämpfen müssen.

Es geht spannend zu in der Handball-Bundesliga (HBL). Sportlich, weil sich der THW Kiel und die SG Flensburg-Handewitt einen Zweikampf an der Spitze liefern und es im Tabellenkeller gleich vier Teams in die 2. Liga reißen wird. Aber auch grundsätzlich: 42 Spiele mussten wegen Corona bereits verschoben werden, bei weiteren Team-Quarantänen wird die Spielzeit nicht rechtzeitig vor den Olympischen Spielen beendet werden können. HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann (56) beobachtet das Geschehen mit Sorge.

Herr Bohmann, macht Ihnen der Job des Geschäftsführers der Handball-Bundesliga in diesen Krisenzeiten noch Spaß?


Bohmann: Sagen wir so: Als sportbegeisterter Mensch betrachte ich es nach wie vor als Privileg, für die Handball-Bundesliga beruflich tätig sein zu können, es macht mir immer noch große Freude. Aber die Arbeitsinhalte sind seit März 2020 schon ganz andere als davor. Das Krisenmanagement, das auch von mir verlangt wird, beinhaltet Dinge, mit denen man sich vorher nicht oder zumindest wesentlich weniger auseinandersetzen musste: die Entwicklung und Umsetzung von Hygiene- und Sicherheitskonzepten, Präventionsmaßnahmen in allen relevanten Bereichen, die Überprüfung staatlicher Angebote, wie beispielsweise das Kurzarbeitergeld und viele andere Überlegungen, die in Gänze dazu beitragen, den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten.

Sie lernen also stets Neues dazu?

Ganz bestimmt, wie die Mangerinnen und Manager der einzelnen Klubs auch. In dieser Saison ging es um mehr, als Deutscher Meister zu werden oder nicht abzusteigen. Oberstes Ziel ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es uns erlauben, diese außergewöhnliche Saison sportlich und wirtschaftlich zu Ende spielen zu können.

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Wie steht es derzeit um die Handball-Bundesliga?

Ich bin ganz optimistisch. Um ehrlich zu sein, habe ich Anfang der Saison damit gerechnet, dass wir Klubs aufgrund Corona bedingter wirtschaftlicher Schwierigkeiten verlieren werden. Dank einer Vielzahl von Maßnahmen konnten wir das vermeiden: Sei es das hervorragende Krisenmanagement der Klubmanagements, sei es der Verzicht von Sponsoren, Medienpartnern und Fans auf vereinbarte Leistungen, sei es der Gehaltsverzicht unserer Spieler – all das hat dazu geführt, dass wir aller Voraussicht nach bis zum Saisonende am 30. Juni mit einem blauen Auge davonkommen werden. Wir als Wirtschaftsbetrieb Handball-Bundesliga GmbH und auch die einzelnen Klubs der 1. und 2. Bundesliga.

Bis zum 30. Juni müssen noch viele Spiele gespielt, vor allem viele wegen Quarantäne-Absagen nachgeholt werden. Läuft der Liga mit Blick auf den Terminplan die Zeit davon?

Es wird mit dem Fortlaufen der Saison immer schwieriger, Spiele nachzuholen. Vor allem, wenn es in den letzten 14 Tagen zu Ausfällen weiterer Spiele kommen sollte. Wenn Teams zu einem so späten Zeitpunkt in Quarantäne müssten, wäre das quasi nicht mehr aufholbar, weil in dieser verbleibenden Zeit ohnehin schon vier Partien pro Team angesetzt werden mussten. Da passt praktisch nichts mehr rein. Stand heute wird es uns gelingen, alle 38 Spieltage durchzubringen. Garantieren können wir es aber nicht. Sollten wir nicht zu Ende spielen können, werden wir diese Saison wie im vergangenen Jahr durch die Quotientenregel werten. Das ist aus unserer Sicht die gerechteste unter den ungerechten Lösungen.

Garantieren kann auch keiner, dass sich die wirtschaftliche Situation wirklich verbessern wird, dass kommende Saison wieder Zuschauer erlaubt sein werden.

Wir halten es für realistisch und verantwortungsvoll, wieder mit einem moderaten Zugang von Zuschauerinnen und Zuschauern zu rechnen. Es bleibt aber eine Ungewissheit, wie die Pandemielage im Spätsommer tatsächlich ist. Ich persönlich glaube aber, dass die umfassenden Maßnahmen, die der Handball selbst getroffen hat, im Zusammenwirken mit der jetzt schnell wachsenden Durchimpfung der Bevölkerung es uns möglich machen werden, im Laufe der kommenden Saison zu einer Vollauslastung unserer Hallen zurückzukommen.


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Falls sich in diesen knapp eineinhalb Corona-Jahren nicht das Interesse am Handball abgekühlt hat…

Wir müssen sicherlich einen Teil der Anhänger wieder zurückgewinnen. Es ist kein Selbstläufer, dass die Fans von Anfang an wieder in dem gewohnten Umfang in die Hallen kommen werden, wie das vor der Pandemie der Fall war. Diese Pandemie und deren Auswirkungen wird uns weiterhin sehr beschäftigen. Auch die kommende Saison wird von den Klubs ein Krisenmanagement verlangen, das steht völlig außer Frage.

Die Tabelle ist derzeit noch verzehrt, Teams wie die Rhein-Neckar Löwen haben 30 Spiele, andere wie der TBV Lemgo erst 25. Zuletzt waren der Bergische HC und HSC Coburg in Quarantäne, 42 Spiele mussten wegen Corona bereits verschoben werden.

Es ist nicht mehr so verzerrt, wie es mal war, da wird gerade mächtig aufgeholt. Wir haben in der 1. Liga von 42 ausgefallenden Spielen bereits 25 nachgeholt. Für alle 17 noch ausstehenden Nachholspiele gibt es bereits Termine. Allein in der Woche vor Pfingsten konnten in Abstimmung mit den Klubs und Sky 12 Nachholspiele angesetzt werden. Aber klar: Wenn beispielsweise der TBV Lemgo noch mal ausfallen sollte, wird es schwer, dann wird dieses Team kaum noch in der Lage sein, seine 38 Spiele zu bestreiten. Aber es ist immer noch leichter für die Teams, die nicht im europäischen Wettbewerb spielen, bei denen können wir alles noch hinkriegen.

Fühlen Sie sich manchmal hilflos, wenn es trotz Hygienekonzept und regelmäßiger Tests wieder Spieler und dann ganze Teams erwischt?

Absolut, es sind ja oft Umstände, die wir nur bedingt begleiten können. Ob das Länderspielpausen sind oder Absteckungen im privaten Umfeld. Die Spieler sind auch nur Menschen, sie haben Familien, da kann immer mal was passieren.

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Wurde von den Gesundheitsämtern manchmal auch überreagiert? Wenn komplette Teams bei einem positiven Spielertest direkt in Quarantäne geschickt werden.

Im Nachhinein kann man immer schlau reden. Ja, es wurde zum Teil überreagiert, zum Teil hat es aber auch gepasst. Wir hatten in der 2. Liga einen Fall, wo nicht nur das Team des infizierten Spielers in Quarantäne musste, sondern auch noch der Gegner, obwohl eine Ansteckung im Spiel von Experten nahezu ausgeschlossen wird. Es werden von Ort zu Ort, von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Maßstäbe angesetzt, aber es stecken am Ende Menschen dahinter, und der eine ist vorsichtiger als der andere. Hinzu kommen falsche Testergebnisse, die einen blinden Alarm auslösen. Bei Wochenendspielen sind Behörden mitunter nicht zu erreichen und Mannschaften werden vorsorglich in Quarantäne geschickt, bzw. Spiele werden abgesagt. Es liegt mir aber fern, hierfür irgendjemanden Vorwürfe zu machen.

Auch im Profifußball gibt es ist Coronafälle, ganze Teams wurden allerdings nicht so häufig in Quarantäne geschickt wie beim Handball oder beim Basketball. Ist der Hallensport im Nachteil?

Die Ansteckungsgefahr wird bei Outdoor Sportarten oft niedriger eingeschätzt als im Indoorsport, der deshalb oft drastischere Einschränkungen hinnehmen musste. Allerdings sind bei Einhaltung der von uns vorgegebenen Hygiene- und Betriebsregeln auch im Hallensport Ansteckungen im Spiel sehr unwahrscheinlich. Von daher ja, mit den Entscheidungen war ich nicht immer ganz einverstanden. Aber auch das will ich keinem vorwerfen.

Handball-Bundestrainer Alfred Gislason kämpft in wenigen Wochen in Tokio um Olympia-Gold.
Handball-Bundestrainer Alfred Gislason kämpft in wenigen Wochen in Tokio um Olympia-Gold. © dpa

Man sagt ja immer: Die Nationalmannschaft ist auch das Zugpferd der Bundesliga. Auffällig war aber die Häufung der Corona-Infektionen nach Länderspielen. Da haben Sie bei jedem Spiel bestimmt besonders gezittert, oder?

Ja, bei einem ein Länderspiel ist das Infektionspotenzial noch höher, es kommen Spieler aus vielen Orten und Ländern zusammen, es wird auch in andere Länder gereist, in denen mit Corona teils lockerer umgegangen wird. Wir standen der WM im Januar in Ägypten sehr kritisch gegenüber, aber da hat die Blase gehalten, da muss man dem Veranstalter ein Lob zollen. Auch von der letzten Länderspielreise ist mir kein Fall mehr bekannt. Zu Beginn gab es Durchlässigkeiten, aber es hat auch da eine Entwicklung gegeben, das muss man anerkennen.

Wäre da eine Priorisierung von Profisportlern in der Impfreihenfolge nicht sinnvoll?

Es soll keine Sonderrolle für uns geben, da sind wir uns mit den anderen Profiligen einig. Anders sieht es bei Olympia aus, und das ist ja auch schon auf den Weg gebracht: Man kann die Sportler nur nach Tokio schicken, wenn ihnen ein Impfangebot gemacht wurde. Da kommen Athleten aus über 200 Nationen zusammen, sie tragen das Virus rein, sie tragen es raus. Aber klar würde ich es bei einer Aufhebung der Impfreihenfolge begrüßen, wenn Bundesligamannschaften geimpft sind, das würde dem Betrieb helfen. Aber nach wie vor wird sich da kein Klub nach vorne drängeln.

Der Kampf um die Meisterschaft ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem THW Kiel und der SG Flensburg-Handewitt. Aber auch der Abstiegskampf ist spannend bei vier Teams, die diesmal in die Zweitklassigkeit müssen.

Vorne machen die beiden besten Teams in diesem Jahr, verdientermaßen das Rennen unter sich aus. Beide haben als Teilnehmer des Viertelfinals auch noch Ambitionen die EHF Champions League zu gewinnen. Der Abstiegskampf ist hart und spannend und es ist festzuhalten, dass die Teams da unten zwar einen kleineren Etat haben, es gleichzeitig aber keine Abstriche in Sachen Professionalität und im Hygienekonzept gibt. Und da wird eben auch sehr guter Handball gespielt.

Bereicherung für die Liga: Noah Beyer, Linksaußen des Aufsteigers Tusem Essen, zählt zu den besten zehn Torschützen der Handball-Bundesliga.
Bereicherung für die Liga: Noah Beyer, Linksaußen des Aufsteigers Tusem Essen, zählt zu den besten zehn Torschützen der Handball-Bundesliga. © dpa

Mitten im Abstiegskampf steht Tusem Essen. Tut die Rückkehr eines solchen Traditionsvereins der Liga gut?

Ja, ich war in diesem Jahr nur bei zwei oder drei Spielen live dabei, eins davon bei Tusem. Es ist bitter, dass das, was dort sportlich geleistet wird, nicht von den Zuschauern in der Halle wahrgenommen werden kann. Viele Spiele waren eng, oft wurden 45 Minuten auf Augenhöhe gespielt. Die Spielanlage des Tusem ist wirklich außergewöhnlich, Trainer Jamal Naji macht einen sehr guten Job und der Klub wird unter Geschäftsführer Niels Ellwanger hervorragend geführt. Es gibt eine klare Strategie, eine Spielphilosophie, und wirtschaftlich ist der Tusem voll auf der Höhe. Es wird sportlich eng mit dem Klassenerhalt, aber ich bin mir sicher: Falls der Tusem absteigt, kommt er wieder. Mit der Leistung und der Entwicklung der Spieler bin ich wirklich sehr zufrieden.

Welche Erwartung haben Sie an die kommende Spielzeit?

Wir wünschen uns sehr, dass wir wieder zu einer gewissen Normalität zurückkommen und damit die Gelegenheit haben, unser eigenes Geschäft betreiben zu können. Dass, was jetzt ist, ist ja wirklich ein Kraftakt für alle Beteiligten. Für uns, aber natürlich auch für Sponsoren, Medienpartner, Spieler, den Staat – von diesem Ausnahmezustand müssen wir wegkommen. Dann können wir auch wieder unsere mittel- und langfristigen Strategien weiterverfolgen. Uns steht in Deutschland mit den Ausrichtungen der EM 2024, WM 2027 und der Frauen-WM 2025 ein Jahrzehnt des Handballs bevor, die Chance, die darin für unsere Bundesligen und den Handballsport insgesamt liegt, wollen wir unbedingt nutzen. Zuletzt haben wir ja nur ums nackte Überleben gekämpft.