Leipzig. Nach kaum fünf Monaten muss Trainer Jesse Marsch bei RB Leipzig wieder gehen. Der Klub ist nach Jahren des Erfolgs tief in der Krise.

Es ist passiert. Nach Jahren des Aufstiegs, der keine Grenzen zu kennen schien, hat es auch RB Leipzig erwischt. Der Vizemeister der Vorsaison wird von einer Krise geschüttelt, die gestern die allseits bekannten Therapie-Maßnahmen der Branche aktiviert hat. Sonntagvormittag einigten sich der sächsische Bundesligist und sein Trainer Jesse Marsch darauf, die Zusammenarbeit zu beenden.

Wunschlösung Masch sollte Nagelsmann ersetzen

Natürlich „einvernehmlich“, wie der Klub die Trennung verschönte und Marsch-Assistent Achim Beierlorzer als Interimschef präsentierte. „Zeitnah“ wolle man dann "eine Lösung verkünden“, hieß es weiter, wobei die Übereinkunft zur Trennung in diesem Fall keine Floskel zu sein scheint. Der US-Amerikaner war die Wunschlösung der Vereinsspitze im Sommer gewesen, um den zum FC Bayern abgängigen Julian Nagelsmann zu ersetzen.

Man versprach sich nach zwei Jahren Wunderkind-Fußball mit viel Ballbesitz und Formationsänderungen in der Endlosschleife die Rückkehr zu den guten alten Wurzeln des RB-Stils: Ballräuberei und Überfallfußball, wie sie Marsch erst in New York, dann als Assistent am Leipziger Cottaweg und anschließend als Cheftrainer in Salzburg gelernt und gelehrt hatte. Das Vorhaben ging nach hinten los.

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Seit Gründung des Klubs 2009 hat keine RB-Elf einen so schlechten Saisonstart hingelegt, wie das Personal des 47-Jährigen, das mit einem Kaderwert von knapp 500 Millionen Euro zur Creme de la Creme der Bundesliga gehört. Nur die Bayern und Dortmund leisten sich wertvollere Spieler.

Kritik an Jesse Marsch: Naive Matchpläne

Diesen Kader aber bekam Marsch von seinen Ansätzen nie überzeugt. Er ließ sich auch nicht von American Spirit, allseitigem "Börreit-sein" und viel Eigenverantwortung locken. Zuletzt bat man den Coach sogar, Englisch zu sprechen, damit man ihn besser verstehe.

Die Folge war ein nervenaufreibendes Auf und Ab an Vorstellungen und Ergebnissen. Auf Topspiele wie in der Champions League beim 5:0 gegen Brügge oder dem 2:2 gegen Paris Saint-Germain sowie dem Sieg gegen den BVB (2:1) in der Liga folgten Partien, die an Arbeitsverweigerung grenzten, in erster Linie aber naiven Matchplänen entsprangen: ein 1:4 gegen die Bayern, ein 3:6 gegen Manchester City sowie zuletzt drei Liga-Pleiten in Serie – gegen Hoffenheim (0:2), Leverkusen (1:3), Union Berlin (1:2). Zu viel des Schlechten.

RB steht mit sechs Pleiten und nur 18 Punkten so schlecht wie noch nie seit dem Aufstieg in die Bundesliga Sommer 2016 da. Tabellenplatz elf, polterte Vereinschef Oliver Mintzlaff nach der Pleite in der Alten Försterei, „ist zu wenig für diesen überragenden Kader. So werden wir unsere Saisonziele nicht erreichen.“ Platz eins bis vier, darunter macht es der Red-Bull-Klub nun mal nicht mehr, nachdem er in den vergangenen fünf Spielzeiten nur einmal schlechter als Platz vier gewesen ist.

Ralf Rangnick war Leipziger Baumeister

Das war im zweiten Erstligajahr. Damals schmiss Trainer Ralph Hasenhüttl das Handtuch, weil man ihm den Vertrag nicht verlängern wollte. Nach einem Rauswurf in der Geschichte des Klubs muss man deshalb noch weiter zurückgehen: Februar 2015 wurde Alexander Zorninger entlassen.

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Die Zügel hatte damals noch Ralf Rangnick in der Hand. Der Leipziger Baumeister ist mittlerweile Interimstrainer und Berater von Manchester United. Seit seinem Abgang aus dem operativen Geschäft vor zweieinhalb Jahren verantworten Mintzlaff, Florian Scholz und Christopher Vivell die sportlichen Belange bei RB: ein Experte für Strukturen und Geschäfte, ein früherer Sportreporter sowie ein 34 Jahre junger Scoutingexperte.

Viele Spekulationen - Zsolt Löw hat gute Aktien

Dieses Trio, das immer noch auf der Suche nach einem Sportdirektor ist, der in ihren Augen vor allem in die Menge und Kameras grüßen soll, weil man sich ausreichend gut aufgestellt wähnt, muss jetzt die erste echte Krise seit RB-Gedenken meistern. Mit welchem Trainer, darüber gibt es nur Spekulationen. Ex-Schalke-Coach Domenico Tedesco taucht als Name auf, Dortmunds Technischer Direktor Edin Terzic auch - und Zsolt Löw, der die wohl besten Aktien für die Marsch-Nachfolge hält.

Der Co-Trainer von Thomas Tuchel beim FC Chelsea und zuvor bei PSG hat Stallgeruch wie sein Vorgänger. Der Ungar war Assistent der „Roten Bullen“ unter Rangnick und Hasenhüttl. Doch wie man an Marsch gesehen hat: Das allein macht noch keinen passenden Trainer.