Berlin. Wegen der Zinswende werden lang ignorierte Finanzprodukte plötzlich wieder beliebter. Warum sich ein Einstieg jetzt lohnen könnte.

Wer in den vergangenen Jahren Geld am Finanzmarkt verdienen wollte, für den führte an Aktien kaum ein Weg vorbei. Die Zinsen auf Tages- oder Festgeld lagen bei nahezu Null und deutsche Staatsanleihen wurden teilweise sogar mit einem Negativzins ausgegeben. Trotzdem hatten Anleihen in vielen klassischen Portfolios von Kleinanlegern ihren Platz – meist in Form von Anleihen-ETFs. Deren Kurse rauschten nach den ersten Leitzinserhöhungen im vergangen Jahr ab, trotzdem könnte sich gerade jetzt ein Einstieg lohnen.

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Um zu verstehen, warum das so ist, muss man sich zunächst ansehen, wie Anleihen funktionieren. Anders als Aktien sind Anleihen festverzinsliche Wertpapiere. Das heißt, wer eine Anleihe kauft, leiht einem Staat oder Unternehmen für eine bestimmte Zeit Geld zu einem vorab festgelegten Zinssatz.

Eine Anleihe kann zum Beispiel eine Laufzeit von fünf Jahren haben und zwei Prozent Zinsen im Jahr einbringen. In der Regel ist der Zinssatz bei längerlaufenden Anleihen höher, da das Risiko mit der Laufzeit steigt und sich künftige Zinsentwicklungen schwerer abschätzen lassen.

Anleihen: Darum schwankt der Kurs der Papiere

Anleihen, die noch aus Zeiten der Null-Zins-Phase stammen, bringen in der Regel keine oder nur sehr geringe Zinsen ein. Das heißt, verglichen mit neuen Anleihen, Festgeld- oder Tagesgeldangeboten verloren sie seit Anhebung der Leitzinsen an Attraktivität. Entsprechend fielen nach der Zinswende die Kurse alter Anleihen und Anleihen-ETFs, die solche Papiere enthalten.

Doch jetzt kommt der Knackpunkt: Sollte der Leitzins wieder fallen, wären Anleihen, die heute mit relativ hohen Zinsen ausgegeben werden, in Zukunft besonders attraktiv.

Das heißt, ihr Kurswert könnte in einigen Jahren steigen und sie könnten somit neben dem Zins eine zusätzliche Rendite abwerfen. Wer heute also in Anleihen mit relativ hohem Zins und mittlerer bis langer Laufzeit investiert, könnte der Inflation ein Schnippchen schlagen. Es gibt allerdings Einschränkungen.

Anleihen zeichnen: Darauf sollten Sie achten

Ob Kleinanleger mit Hilfe von Anleihen in den nächsten Jahren eine Realrendite erwirtschaften, hängt damit auch stark von deren Verzinsung ab. Mit welchen Anleihen ist eine Realrendite also möglich?

Christoph Kutt, Analyst und Head of Fixed Income Research bei der DZ Bank, meint: "Mit hochsicheren deutschen Staatsanleihen wahrscheinlich nicht, weil die Renditen dafür zu niedrig sind. Geht man in den niedriger 'gerateten' Bereich und in mittlere bis längere Laufzeiten, erhöht also das Kredit- und Zinsrisiko, dann kann man möglicherweise die Inflation schlagen."

Voraussetzung dafür sei, dass sich die Inflation so entwickle, wie von der EZB erwartet und 2025 wieder nahe zwei Prozent liegt. Dafür müsse bei der Rendite mindestens eine vier vor dem Komma stehen.

Anleihen oder Aktien: Anleger schichten bereits um

Doch wie wahrscheinlich sind ein Rückgang der Inflation und baldige Zinssenkungen? Kutt sagt: "Bei der Fed (US-Notenbank Anm. Red.) gehen wir davon aus, dass zur Mitte 2024 die Leitzinsen erstmalig gesenkt werden. Für die EZB erwarten wir das zum Jahresende 2024." In beiden Fällen gehe man davon aus, dass das "gierige Biest", wie Christine Lagarde die Inflation nenne, dann so weit gesunken sei, dass man den Fuß etwas von der Bremse nehmen könne.

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Und tatsächlich zeigen Analysen, dass Investoren bereits auf diese Entwicklung setzen. Das US-Ratingunternehmen Morningstar meldet, dass Anleger in Europa im ersten Halbjahr 2023 102 Milliarden Euro in Anleihen pumpten – das meiste Geld floss dabei in Fonds, die in Anleihen mit fester Laufzeit investieren. Zum Vergleich: Bei Aktienfonds waren es laut Morningstar im gleichen Zeitraum lediglich 18,3 Milliarden Euro.

Klar ist aber auch: Eine Garantie dafür, dass die Leitzinsen bald sinken und die Anleihenkurse damit wieder steigen, gibt es nicht. Nach einer kurzen Pause erhöhte die US-Notenbank Federal Reserve den Leitzins zuletzt auf eine Spanne von 5,25 bis 5,50 Prozent. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) erhöhte den Leitzins im Juli erneut um 0,25 Prozentpunkte. EZB-Präsidentin Christine Lagarde gab keine Hinweise darauf, ob im September eine weitere Erhöhung folgt.