Offenbach. Der neue „Tatort“ bringt Ulrich Tukur alias Felix Murot erneut einen kuriosen Fall. Dieses Mal mutet der Krimi an wie ein Western.

Der Kugelhagel schlägt in Schreibtischen und Wänden ein – die Polizei ist umzingelt, und die ballernde Bande setzt pünktlich zur Sonnenfinsternis zur Stürmung des ehemaligen Reviers vor den Toren der Stadt an. Der Wilde Westen ist in der Offenbacher Prärie angekommen, und das „Tatort“-Stammpublikum wird womöglich zur Fernbedienung greifen, weil es glaubt, sich bei „Angriff auf Wache 08“ mit dem Sender vertan zu haben.

Wer die sieben „Tatort“-Folgen mit Ulrich Tukur als Wiesbadener LKA-Ermittler Murot über die Jahre gesehen hat, weiß allerdings, dass diese mit großer Lust die Spielregeln des Viertel-nach-acht-Krimis außer Kraft setzen. Und das hat der Reihe weiß Gott die außergewöhnlichsten „Tatorte“ überhaupt beschert, wie „Im Schmerz geboren“ vor fünf Jahren, eine irrwitzige Ballade zwischen Italo-Western und Shakespeare-Tragödie.

Filmzitate gehören zu Murots Kosmos, und Autor Clemens Meyer und Regisseur Thomas Stuber bieten diesmal gleich ein komplettes Remake an: Es ist die Hessen-Version des legendären Actionthrillers „Assault – Anschlag bei Nacht“ von 1976, der den US-Regisseur John Carpenter („Die Klapperschlange“, „Halloween“) zur Kultfigur machte.

Ein verstaubtes Kriminalmuseum im Nirgendwo wird zum Schauplatz der Belagerung, die Verbrecherkohorten ringsherum bleiben eine gesichtslose Masse, eine anonyme Bedrohung wie in einem Zombie-Streifen. Drinnen schweißt die Lage Polizisten und Gangster zusammen: Murot (Ulrich Tukur), der seinen alten Kumpel Brenner (Peter Kurth, bekannt aus „Babylon Berlin) und dessen Kollegin (Christina Große) gerade besucht, dazu ein paar Wachmänner mit Sträflingen, die mit ihrem Gefangenentransport in der Nähe einen Platten hatten. Und ein Mädchen (Paula Hartmann) auf der Flucht, weil es einen der Killer­typen erschossen hat, der ihren Vater unmittelbar zuvor getötet hatte.

„Babylon Berlin“-Star spielt im „Tatort“ hessischen John Wayne

Dass Peter Kurth den alten Haudegen Brenner mit Zigarrenstummel oder Mundharmonika im Mund als hessischen John Wayne anlegt und ihm abgesehen von der Wohlstandsplauze ähnlich sieht, passt zur Western-Genetik dieses durchaus unterhaltsamen Spektakels: Es riecht nach „Rio Bravo“ oder „El Dorado“. Kameramann Nikolai von Graevenitz findet die passend düsteren Bilder, und auch die Auswahl der Musikstücke beweist, dass hier nicht nur an Untermalung gedacht wurde.

Und doch leidet der Film daran, dass Thomas Stuber sich eine ganze Weile nicht entscheiden mag, wie ernst er die Bedrohungslage denn nehmen will, ehe die Ironie samt ein paar Albernheiten Oberhand gewinnt und mit jeder Leiche den Thrill erstickt. Ein dramaturgischer Stimmungsumschwung, den man nur mit Mühe verdaut.

Erschwerend kommt hinzu, dass Tukur und Kurth ein grandioses Gespann sind, ihre Mitspieler aber zuweilen zu Karikaturen verkommen. Besonders der kannibalistisch aufgeladene Psychopath Kermann, den Thomas Schmauser mit unfreiwilliger Komik als Provinz-Hannibal-Lecter anlegt, bei dem die Lämmer eher gelacht als geschwiegen hätten. Allerdings: Wer so kräftig zubeißen kann, ist als Mitstreiter in der Not bei der Polizei natürlich jederzeit willkommen.

Im Übrigen wurde schon Anfang des Jahres ein „Tatort“ mit Nora Tschirner als Cowgirls zum Western.

  • Sonntag, 20. Oktober, 20.15 Uhr Das Erste