Berlin. “Spiegel“-Bestseller-Autor Lars Haider erörtert Vorbilder, Techniken und Widersprüchlichkeiten von Talkshow-Moderator Markus Lanz.

Wenn man Markus Lanz fragt, wie er seine Rolle als Journalist und Talkshow-Gastgeber definiert, dann sagt er gern: "Mein Job ist im Grunde, auf jede Antwort die richtige Frage zu finden." Er hat den Satz bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises gebracht und es ist ein guter Satz, einer, den man sich merkt, weil er einen Widerhaken hat. Normalerweise heißt es, dass man auf jede Frage eine Antwort hat, Lanz dreht den Allgemeinplatz um und markiert damit einen hohen Anspruch an sich und seine Redaktion.

Denn wer in der Lage sein will, auf jede Antwort eine Frage zu haben, muss, gerade wenn er mit Politikerinnen und Politikern über komplizierte Themen wie eine Virus-Pandemie oder Krieg und Frieden spricht, sehr tief in den Themen stecken. Das versucht Lanz, er lässt sich vorbereiten wie wenige andere Journalistinnen und Journalisten im deutschen Fernsehen, er will ein Gastgeber sein, der sowohl höflich als auch hart ist, alles zu seiner Zeit.

Markus Lanz: Eine Talkshow wie ein Boxkampf

"Ein guter Talk ist wie ein Boxkampf von Ali früher, es wechseln sich leichte, tänzelnde Phasen mit harten Treffern ab. Wobei bei uns niemand k. o. gehen soll." Sagt der andere Markus, also der Heidemanns, der Muhammad Ali seit dessen Kampf gegen Joe Frazier bewundert, der als "Thrilla in Manila" in die Boxgeschichte eingehen sollte und den er mit elf Jahren vor dem Fernseher verfolgen durfte.

Markus Lanz beschreibt die Situation im Studio ähnlich. Man müsse wie beim Schach die möglichen nächsten Spielzüge des Gegenübers im Kopf haben, man dürfe sich selbst zu keinem Zeitpunkt eine Schwäche anmerken lassen, das würden erfahrene Politikerinnen und Politiker sofort ausnutzen. Und ja, die Gespräche in der Sendung hätten "etwas Tänzelndes", so Lanz. Sein Vorbild für das, was er da im Studio tut, ist aber nicht der großmäulige, laute Muhammad Ali. Es sind eher stille Zeitungs- und Magazinjournalistinnen und -journalisten, deren Interviews er immer schon bewundert hat.

Vielleicht ohne zu wissen, wie die Interviews mit Politikerinnen und Politikern in Zeitungen zum Teil inszeniert und im Nachhinein redigiert werden. Print-Journalistinnen und -Journalisten haben im Gegensatz zu ihren Kolleginnen und Kollegen aus dem Fernsehen den Vorteil, dass sie ihre Interviews in aller Ruhe führen und aufzeichnen und jede schlecht gestellte Frage, jede missglückte Pointe bei der Niederschrift verändern oder ausbessern können.

Der Nachteil ist, dass das für die Befragten auch gilt. In Deutschland ist es üblich, anders als etwa in Großbritannien oder den USA, dass Politikerinnen und Politikern die Interviews, nachdem sie geführt und abgeschrieben worden sind, noch einmal vorgelegt werden. Sie, beziehungsweise ihre Sprecherinnen und Sprecher oder Kommunikationsberaterinnen und -berater, machen dann das, was die Journalistinnen und Journalisten zuvor getan haben. Sie glätten Formulierungen, sie fügen hier eine kluge Bemerkung ein, die der Politikerin oder dem Politiker im Gespräch gar nicht eingefallen ist, vielleicht nie eingefallen wäre, und streichen dort nicht so kluge Sätze.

Lanz: TV-Moderator sucht sich Vorbilder im Print

Am Ende werden manchmal Interviews veröffentlicht, die mit dem tatsächlichen Verlauf gar nicht mehr viel zu tun haben. Dafür wirken Fragen und Antworten perfekt aufeinander abgestimmt. Das muss einen Fernsehmann beeindrucken, dem so etwas in der Hitze der Eins-zu-eins-Situation vor laufenden Kameras niemals gelingen kann.

Markus Lanz nahm sich trotzdem vor, die Print-Interviews ins TV zu übersetzen, und er orientierte sich dabei an einem Mann, von dem an anderer Stelle schon die Rede war. Arno Luik war Autor des "Stern" und als solcher bekannt für seine leidenschaftliche und anstrengende Art, Interviews zu führen. Der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel entlockte er auf eine entsprechende Frage die legendäre Antwort: "Als die Mauer fiel, war ich in der Sauna." Er trank mit dem Schriftsteller Martin Walser angeblich neun Stunden lang Wein und musste sich vom damaligen Bahnchef Hartmut Mehdorn offenbar anhören, dass der ihn gern hauen würde.

"Luiks Botschaft war klar: Wir können uns hinterher immer noch sympathisch finden. Aber vorher habe ich einen Job zu tun! Seine Vorbereitung war stets grandios, seine Technik virtuos. Man konnte viel davon lernen. Luik konfrontierte einen mit Gedanken, die man sich gelegentlich auch schon mal selbst gemacht haben sollte. Ja, ich glaube sogar, der tiefere Sinn seiner Attacken war eigentlich nur die Suche nach ein bisschen Wahrhaftigkeit. Wer so hart angegangen wird, lässt irgendwann die Maske fallen. Dann wird aus Entertainment ein echtes Gespräch. Keine Floskeln mehr, kein Showgrinsen mehr. Der eine früher, der andere später: Irgendwann in einem Luik-Interview war jeder weich und bettelte um Gnade", schreibt Markus Lanz in einem Vorwort für ein Buch von Arno Luik.

Die Sätze lesen sich wie eine Blaupause, wie eine Gebrauchsanweisung für seine Sendung, die sich für den Medienwissenschaftler Bernd Gäbler "zum Öffentlichkeits-TÜV für Politikkarrieren gemausert hat. Es ist zu einer Prüfung geworden, bei Markus Lanz zu bestehen oder gar einen guten Eindruck zu hinterlassen."

Wie Markus Lanz im TV das Eis bricht

Luiks provozierende Art des Fragens ins Fernsehen zu bringen, war gefährlich, Lanz hat es gerade in der Anfangszeit gemerkt. Aggressiv geführte Interviews können einen Teil des Publikums verschrecken, gerade ältere TV-Zuschauerinnen und -Zuschauer sind da empfindlich. Sie bewerten es schon als aggressiv, wenn ein Interviewer seinen Gast nicht ausreden lässt, und finden "ihn dann so unsympathisch, dass sie gar nicht mehr darauf achten, was er eigentlich sagt", erklärt Armin Wolf, Moderator der ORF- Nachrichtensendung ZIB 2, die so etwas wie die Tagesthemen von Österreich sind. "Als Moderator musst du ein guter, höflicher Gastgeber sein, der die Gegenposition zu seinem Gast einnimmt." Das mache es so schwierig, das ist eine Gratwanderung, auf die sich Markus Lanz dreimal in der Woche begibt.

Dabei ist er wie im echten Leben, Lanz bleibt Lanz. Er lässt sich schwer ausrechnen und einschätzen, er ist nicht zu greifen. Ein Wegbegleiter erzählt, dass es sein kann, dass er monatelang von Markus Lanz nichts gehört hat und "er dann eines Morgens mit einer Tüte Brötchen vor der Tür steht, um mit mir zu frühstücken". Es kann sein, dass er Menschen, auch welche, die er nicht so gut kennt, dreimal in einer Woche anruft, um dann wochenlang auf SMS oder Rückrufbitten nicht mehr zu reagieren. Eben ist er noch charmant und zugewandt, plötzlich unnahbar. Wer glaubt, ihn zu kennen, täuscht sich.

"Markus Lanz kann freundlich sein und zupackend", sagt Medienwissenschaftler Gäbler. Das mache seine Sendung für die Zuschauerinnen und Zuschauer so interessant und für die Gäste aus der Politik so gefährlich. Die behandelt er in der Regel erst einmal nett und zuvorkommend, gerade am Anfang, "wenn jeder einen Kranz geflochten bekommt", wie es Journalist Hans-Ulrich Jörges nennt. Die Texte für die Vorstellungen seiner Gäste sind das Einzige, was Markus Lanz selbst schreibt, sie quellen über von Superlativen und kleineren oder größeren Spitzen.

Die anwesenden Journalistinnen und Journalisten sind die "profiliertesten Kenner der Berliner Politik", Politiker und Politikerinnen gern die "kommenden Männer und Frauen ihrer Partei". Über jede Einzelne und jeden Einzelnen seiner Gäste "freut sich" Markus Lanz jedes Mal "sehr" und über die ganze Runde auch. Es hat zuweilen etwas Slapstikhaftes, wie sich seine Ankündigungen Abend für Abend gleichen, aber sie sind Kalkül.

Es geht darum, das Eis zu brechen, "schnell einen Draht zu den Leuten zu haben", sie in Sicherheit zu wiegen. Und klar, es schmeichelt, wenn Lanz Sätze sagt wie diesen aus der Sendung, in der ich bei ihm zu Gast war: "Er ist der sehr erfolgreiche Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, der Journalist, der Olaf Scholz vermutlich so gut kennt wie wenige andere. An die 300-mal oder so ähnlich soll er Scholz in seinem Leben getroffen haben und er schreibt dazu in einem sehr lesenswerten Buch: Erst nach dem 50. oder 60. Mal hatte ich das Gefühl, wir fangen nicht jedes Mal wieder von vorn an."

Sehr erfolgreich, sehr lesenswert: Als Journalist kann man die Lanz’schen Schmeicheleien genießen und sich in seinem Stuhl zurücklehnen, als Politikerin oder Politiker muss man auf der Hut sein. Denn spätestens nach der Vorstellung ist es mit den Freundlichkeiten vorbei. "Markus Lanz greift nicht frontal an, wie es 'Anne Will' macht, und er hat nicht die Strenge einer 'Maybrit Illner'", sagte der Spiegel-Journalist Arno Frank in einem Radiointerview. "Sondern er hat eine weiche Flanke und kann damit einlullen. Und sobald sein Gegenüber sich sicher fühlt und gluckert vor Vergnügen, dann ist Lanz vorne an der Kante seines Sitzes und sagt: Und nun mal politisch."

Lanz: Gekonnter Wechsel von Plauderei zum Verhör

Der schnelle Wechsel von einer vermeintlichen Plauderei in eine Verhörsituation ist typisch für Lanz, das alte Guter-Bulle-Böser-Bulle-Spiel beherrscht er perfekt. Lanz ist beides in einer Person. Dass er in manchen Situationen auf seinem Stuhl näher an den Gast heranrückt, dass er die Finger seiner Hände vor dem Oberkörper zusammendrückt, ist dabei Ausdruck der Spannung, unter der der Moderator steht und die irgendwo hinmuss. Wenn Lanz etwas wirklich wissen will, wenn er mit einer Antwort nicht zufrieden ist, dann kann man ihm das schon ansehen, bevor er etwas sagt. Diese Spannung und diese Konzentration sind die Basis für die Präsenz, "die sich auf den Zuschauer überträgt", sagt Arno Frank.

Während die meisten anderen Talkshows vor allem auf einen Schlagabtausch zwischen den Gästen aus sind und die Sendung entsprechend planen und orchestrieren, versucht Markus Lanz das gar nicht erst. Es würde ihm auch nicht gelingen, weil er in der Regel nur eine Politikerin oder einen Politiker im Studio hat. Duelle entstehen hier nicht aus ideologischen oder programmatischen Gegensätzen, sondern aus dem Frage- und Antwortspiel zwischen dem Moderator und seinem wichtigsten Gast. Manchmal, wenn sich sein Gegenüber besonders sperrig oder bockig gibt, weist Lanz auf die entsprechenden Spielregeln hin, auf die Rollen, die jeder einzunehmen hat, "ich frage, Sie antworten, Sie wissen doch, wie das hier läuft".

Aus solchen Sätzen spricht ein Selbstbewusstsein, dass sich Markus Lanz hart, sehr hart in den vergangenen Jahren erarbeiten musste. Die Souveränität und Gelassenheit, die er heute ausstrahlt, ist mit der Zeit gekommen, er ist vielen seiner Gäste auch deshalb rhetorisch überlegen, weil er heikle und herausfordernde Gesprächssituationen dreimal in der Woche trainieren kann. Und weil er sich "mehr traut als andere: Deshalb hat die kritische Herangehensweise in Gesprächen bei uns schon länger besser funktioniert als in anderen Sendungen", sagt Markus Heidemanns. "Markus Lanz geht seinen eigenen Fragen konsequent nach und ist empört, wenn die Antworten nicht dem entsprechen, was er erwartet", sagt Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher.

Lanz beherrscht sämtliche Tricks, wenn es darum geht, eine Politikerin oder einen Politiker nicht entkommen zu lassen. Er wiederholt eine Frage zwei- oder dreimal, er formuliert sie anders, er thematisiert, dass sein Gast die Frage nicht beantwortet, er fragt, warum es ihm unangenehm ist, über diesen oder jenen Punkt zu sprechen. "Im Normalfall wird man einen Kommunikationsprofi nicht dazu bringen, etwas zu sagen, was er nicht sagen will", sagt Armin Wolf. Doch genau das ist das Ziel von Markus Lanz und er ist jedes Mal glücklich, wenn es ihm gelingt. Wenn gar nichts mehr geht, macht er etwas, was vor zwei Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern gewagt ist. Er sagt: "Das glaube ich Ihnen nicht."

Als er den Satz das erste Mal ausgesprochen habe, sei das ein besonderer Moment gewesen, erzählt Markus Heidemanns: "Man bezichtigt einen Menschen der Lüge, wenn man diesen Satz sagt. Das erfordert schon Mut. Uns ist es wichtig, Tacheles zu reden, wenn wir das Gefühl haben, dass jemand, insbesondere Politiker, nicht die Wahrheit sagen." Hat er "uns" gesagt? Was meint er damit? Dass bestimmte Fragen gar nicht im Kopf des Moderators entstehen, sondern aus dem Knopf kommen, den Markus Lanz im Ohr hat?

(fmg)

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.