Berlin. Immer mehr Männer lassen mit minimalinvasiven Schönheitsbehandlungen nachhelfen. Experten erklären, wie es zu dieser Entwicklung kommt.

Je älter wir werden, desto faltiger sehen wir aus. Ein Naturgesetz – das aber immer mehr Menschen herauszögern wollen. Allein in Deutschland wurden 2022 laut der Internationalen Gesellschaft für ästhetisch-plastische Chirurgie (ISAPS) rund 500.000 Mal minimalinvasive Unterspritzungen mit Botox, Hyaluronsäure und Co. vorgenommen, weltweit 14 Millionen Mal, fast 40 Prozent mehr als im Jahr 2018.

Auch immer mehr Männer lassen inzwischen „nachhelfen“. Etwa 14 Prozent aller nicht-chirurgischen Schönheitseingriffe wurden vergangenes Jahr an Männern vorgenommen, Tendenz steigend. Woran liegt das?

Schönheitsbehandlungen bei Männern haben seit Corona stark zugenommen

Die Plastische Chirurgin Dr. Julia Berkei aus Frankfurt am Main beobachtet ebenfalls seit mehreren Jahren eine Zunahme an männlichen Patienten. Die Corona-Pandemie habe diese Entwicklung stark angetrieben. „Seit der Pandemie sind Männer in Online-Meetings intensiver mit ihrem Spiegelbild konfrontiert. Einige sind unzufrieden, mit dem was sie im Bildschirm sehr deutlich sehen. Sie denken zum Beispiel, dass ihre Augen müde aussehen. Dann kommen sie zu mir in die Praxis und fragen, was man dagegen tun kann“.

Besonders die Verlangsamung der Hautalterung („Anti Aging“) – ist laut Julia Berkei ein Thema bei ihren Patienten: Minimalinvasive Behandlungen wie Unterspritzungen mit Botox und Hyaluronsäure sind bei Männern besonders beliebt. „Viele Männer wünschen sich Behandlungen, bei denen man nicht sieht, dass etwas gemacht wurde“, sagt sie. „Ein Paradebeispiel hierfür ist Tom Cruise, das ist ein Mann, der für sein Alter noch sehr gut aussieht. Er lässt vermutlich regelmäßige Behandlungen an seinem Gesicht durchführen, sieht aber nicht geliftet oder künstlich aus“.

Hyaloronsäure: „Viele Männer wünschen sich eine markante Kinnlinie“

Auch Schönheitstrends gehen an Männer nicht vorbei, so die Expertin. Während Frauen volle Lippen anstreben, stünde bei Männern aktuell das Kinn im Fokus. „Seit vier bis fünf Jahren wünschen sich immer mehr Männer eine markante Kinnlinie. Sie steht für Erfolg und Durchsetzungsvermögen. Um das zu erreichen, lassen sie sich das Kinn oder den Kinnwinkel mit Hyaluronsäure auffülle oder den Hals absaugen. Dadurch sieht das Gesicht markanter und maskuliner aus“.

Einem Mann wird Botox in die Stirn injiziert.
Einem Mann wird Botox in die Stirn injiziert. © iStock | AaronAmat

500 bis 2000 Euro ließen sich die Männer eine Behandlung mit Botox und/oder Hyaluronsäure bei Julia Berkei kosten. Auch für Schlupfliederoperationen, das Absaugen von Doppelkinn und Bauchfett sowie Nasenkorrekturen suchen männliche Patienten ihre Praxis auf, sagt die Fachärztin für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie.

Der Einfluss von David Beckham: „Männer orientieren sich an Sportlern“

Dass sich Männer zunehmen mit ihrem Äußeren auseinandersetzen, habe auch viel mit „Trendsettern“ zu tun. Einer, der maßgeblich zu der Entwicklung beigetragen hat, ist laut Julia Berkei Fußballer David Beckham: „Beckham war Anfang der Neunziger eine zentrale Figur für eine neue Generation des heterosexuellen Mannes, der neben seiner Fußballkarriere auch für glänzende Auftritte in Modekampagnen sorgte. Er hat den Begriff ‚metrosexuell‘ geprägt: Die Mischung aus großstädtisch und heterosexuell bzw. der Lebensstil eines heterosexuellen Mannes, der sich für ‚feminine‘ Themen wie Mode und Kosmetik interessiert.“

David Beckham habe als erster die Brücke zwischen populärem Ballsport und Glamour geschlagen, sagt Berkei. Ihm wären Sportler wie Christiano Ronaldo, Roger Federer und aktuell Alexander Zverev gefolgt. „Viele Männer orientieren sich an diesen Sportlern. Sie schauen, wie diese sich pflegen, kleiden und rasieren. Sportler haben für ihre Anhängerschaft eine große Glaubwürdigkeit. Deshalb werden Kosmetikprodukte für Männer auch mit Sportlern beworben.“

Expertin: „Bei Männern stoßen Soziale Medien den Gang zum Beauty Doc häufig an“

Dass Männer heute allgemein mehr auf ihr Äußeres achten, liegt auch an einer Aufweichung traditioneller Geschlechterzuschreibungen, erklärt Männer-Psychologe Björn Süfke: „Männer und Frauen – nicht-binäre Personen und Transmenschen sowieso – brechen zunehmend aus den einengenden, beschränkenden Rollenkorsetts von Geschlechtern aus“. Nicht immer fände damit aber eine vollständige Befreiung von Geschlechtszuschreibungen statt. Vielmehr würden sich auch Männer an „eher ungesunde Aspekte der traditionellen Weiblichkeitskonstruktion anpassen wie etwa die extreme Orientierung an Aussehen“.

Auch Social Media spielt für die Entwicklung eine zentrale Rolle. In Julia Berkeis Praxis säßen zunehmend aufgeklärte Patienten, die sich über die Sozialen Medien über Anti-Aging informieren, so die Expertin. „Auf Instagram, TikTok oder YouTube lassen sie sich die Hintergründe einer Behandlung erklären oder sehen sich an, wie man nach einem Needling, Peeling oder Botox aussieht. Das führt zu mehr Transparenz und auch die Akzeptanz gegenüber diesen Behandlungen nimmt zu“.

Bei Männern würden die Sozialen Medien den Gang zum Beauty Doc häufig erst anstoßen. „Dort sehen sie: Andere Männer machen das auch und sehen danach frischer aus. Es ist die neue Norm“. Auch Schönheitschirurgin Julia Berkei nutzt die Sozialen Medien und lädt auf YouTube, Instagram und TikTok Erklärvideos zu verschiedenen Behandlungen oder Operationen hoch.

Präsident der Ärztekammer warnt vor Bagatellisierung von Schönheitsoperationen

Dem globalen Selbstoptimierungstrend mithilfe von Schönheitsoperationen steht Rudolph Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, kritisch gegenüber. „Wir beobachten mit Sorge, dass Schönheitsoperationen, das heißt Wunschleistungen ohne medizinische Notwendigkeit, inzwischen so alltäglich geworden sind wie der Gang zum Friseur oder ins Fitnessstudio“, sagt er. Viele Menschen würden davon ausgehen, dass Schönheit käuflich ist und dabei vergessen, dass Operationen mit einem hohen gesundheitlichen Risiko verbunden sein können. Vor allem junge Erwachsen laufen laut Henke Gefahr, die Eingriffe zu bagatellisieren.

„Aufgrund der Präsenz in den Sozialen Medien sehen sie in ästhetischen Behandlungen eine schnelle Antwort auf ihre Unzufriedenheiten.” Gerade deshalb empfiehlt er, sich ausgiebig Gedanken über die Motive einer Behandlung zu machen und die Risiken abzuklären. Sonst könnte es zu unrealistischen Wünschen kommen. Henke: „Immer mehr wollen dann so aussehen wie ihr eigenes, mit Fotoprogramm bearbeitetes Selbstportrait“.