Berlin. Die Pandemie ist nicht vorbei. Doch die Corona-Infektionszahlen sind aktuell stabil, sogar leicht rückläufig. Experten erklären warum.

  • Seit einigen Wochen waren die Corona-Zahlen in Deutschland angestiegen – eine vierte Welle schien zu beginnen
  • Doch seit kurzem hat sich die Entwicklung umgekehrt und die Zahlen sinken wieder
  • Das sind vier mögliche Erklärungen für den aktuellen Abwärtstrend

Seit mittlerweile rund zwei Wochen sind die Infektionszahlen mit Blick auf Corona in Deutschland relativ stabil – zuletzt sind sie sogar etwas gesunken. Die Sieben-Tage-Inzidenz der Corona-Neuinfektionen lang nach den Angaben des Robert Koch-Instituts von Donnerstagmorgen bei 76,3. Am Mittwoch lag diese bei 77,9, am Dienstag sogar noch etwas höher bei 81,1. Vor einer Woche wurde die Inzidenz mit 83,5 beziffert.

Das scheint zunächst einmal ein gutes Zeichen zu sein, doch Experten warnen davor, sich zu früh zu freuen oder das Ende der sogenannten vierten Welle schon auszurufen. Denn für den Rückgang gibt Erklärungen – und diese zeigen auch: Dass es dauerhaft bei einer Stagnation bleibt, ist nicht zu erwarten, auch wenn es vorerst etwas ruhiger bleibt.

Erklärung Nummer 1

„Wir haben das selbe Phänomen im letzten Jahr gesehen. Die Reiseaktivität nimmt ab und die Zahlen sinken“, erklärt Viola Priesemann, Leiterin einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, gegenüber unserer Redaktion

Der Rückgang erklärt sich durch die zuvor hohen Infektionszahlen bei den Reiserückkehrerinnen und -rückkehrern. „Diese machten zum Teil 15 Prozent der gemeldeten Fälle aus“, betont auch Thorsten Lehr, Professor für Klinische Pharmazie an der Universität des Saarlandes. „Jetzt kommen wir wieder in unseren normalen Trott und alles was aus dem Urlaub mit hinein geschwemmt wurde, flacht ab.“

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Erklärung Nummer 2

Der Experte für Corona-Prognosen sieht im Ende der Sommersaison noch einen weiteren wichtigen Aspekt für den leichten Rückgang der Zahlen: „Nach den Sommerferien sind die Infektionen gerade in Schulen sprunghaft angestiegen“, erklärt Lehr. „Infektionen, die zuvor unerkannt blieben wurden durch regelmäßige Tests wieder entdeckt.“

Nun, da der Schulbetrieb in den meisten Bundesländern schon wieder einige Wochen läuft, kommt es zu mehr Stabilität. „Durch Quarantänemaßnahmen sind einige Familien aber auch nun wieder stärker isoliert“, ergänzt der Experte. Auch das trage zur Eindämmung des Virus bei – und damit zu einem Rückgang der Zahlen.

In diesen Bundesländer gilt die 2G-Regel

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    Erklärung Nummer 3

    Für Physikerin Priesemann spielen auch die Inzidenzen in unseren Nachbarländern eine Rolle, zu denen etwa durch Grenzgängerinnen und Grenzgänger oder Kurzurlauber Kontakt besteht.

    „Unsere Nachbarn wie etwa Frankreich oder die Niederlande haben aktuell wesentlich niedrigere Inzidenzen als in den letzten Wochen oder Monaten. Da war die Inzidenz dort zwei- bis dreimal höher als jetzt“, so Priesemann.

    „Und die Inzidenzen in benachbarten Ländern haben eine gewisse Tendenz, wegen Mobilität und Pendlern zu einem gemeinsamen Mittelwert zu streben.“ Sprich: Die Inzidenzen der jeweiligen Länder nähern sich an. „Dadurch gehen die Zahlen auch bei uns in Deutschland zurück“, meint die Expertin.

    Erklärung Nummer 4

    Es wird immer weiter geimpft. „Dadurch nähern wir uns einer effektiven Herdenimmunitiät zumindest an, auch wenn diese noch erreicht ist“, sagt Priesemann. Auch so werde die Ausbreitung weiter abgebremst – selbst wenn man sich natürlich schon jetzt einen stärkeren Impfeffekt wünschen würde.

    Was bedeutet diese Stagnation für die weitere Entwicklung der Zahlen?

    Prognosen-Experte Lehr betont im Gespräch mit unserer Redaktion, dass die aktuelle Entwicklung keinesfalls das Ende der vierten Welle einläute. „Das gleiche Phänomen hatten wir im letzten Jahr – nur mit Zahlen, die um den Faktor acht niedriger waren“, so Lehr. „Im ziemlich genau gleichen Zeitraum lagen wir bei einer Inzidenz von 10.“

    Danach seien die Zahlen wieder gestiegen. Und genau das erwartet Pharmazie-Professor Lehr auch in diesem Jahr – spätestens ab Ende September, wenn sich alles wieder normalisiert hat.

    Auch für Priesemann bedeuten die aktuellen Zahlen mit Blick auf die kommenden Wochen noch keine Entwarnung. „Das bedeutet überhaupt nicht, dass wir nicht noch im Herbst eine große Welle bekommen können“, sagt die Forscherin.

    „Israel mit einer ähnlichen Impfquote zeigt uns, dass man trotzdem Inzidenzen deutlich über 500 erreichen kann.“ Geimpfte Personen seien aber sehr gut geschützt. Das bestätigen auch die Zahlen des RKI: Aktuell infiziert sind vor allem die Personen, die nicht immunisiert sind.