Berlin. Trendforscher Matthias Horx spricht über die „Groß-Mythen“ unserer Zeit, aktuelle Trends und eine Figur mit Symbolkraft: Greta Thunberg.

Über die Zukunft kursieren viele Märchenbilder. Viele Prognosen seien Quatsch – „Future Bullshit“, sagt Trendforscher Matthias Horx. Lange seien Trends einfach in die kommende Zeit fortgeschrieben worden – ohne den Gegentrend einzukalkulieren. „Die Zukunft findet nicht getrennt von uns statt. Sie kommt nicht ,über uns‘ wie eine Lokomotive, die aus dem Tunnel rast.“ Für Horx verraten die Bilder der Zukunft viel über persönliche Befindlichkeiten. Manche Menschen seien von Angst geprägt und andere von Euphorie, glaubt er. In seinem neuen Buch „15 ½ Regeln für die Zukunft“ (erschienen im Econ-Verlag) beschreibt Horx, wie Ideen und Vorstellungen unser Handeln verändern können. Und im Interview nennt er zwei gegenläufige „Groß-Mythen“ unserer Zeit: Untergang und digitale Erlösung.

Herr Horx, was ist Zukunft, welchen Begriff verwenden Sie?

Matthias Horx: Für viele Menschen ist die Zukunft ein fixiertes Klischeebild: Im Jahr 2050 fliegen wir alle mit Flugautos, Roboter bevölkern die Straßen und alle Städte haben riesige Wolkenkratzer aus Metall. Das sind eher kindliche Bilder, die aus Science-Fiction-Filmen stammen. Man kann die Zukunft aber auch anders betrachten.

Wie denn?

Horx: Als einen offenen Raum, in dem die Gesellschaft sich über ihre Perspektiven verständigt. Wir als Einzelne, aber auch als Gesellschaft haben einen Zukunftsentwurf, an dem wir uns abarbeiten, aber auch erkennen können. An den Zukunftsbildern kann man ja immer auch etwas über innere Zustände von Menschen, von Organisationen ablesen. Menschen, aber auch Gesellschaften, die Angst haben, und mit dieser Angst nicht umgehen können, entwickeln eher eine destruktive und meistens auch apokalyptische Zukunftsvorstellung.

Wie sehen Menschen – nach Ihrer Erfahrung – Zukunft persönlich. Und wie sehen sie diese allgemein?

Horx: Ein interessantes Phänomen ist das sogenannte Angst-Cocooning: Im Privatbereich sind die Menschen meistens ziemlich optimistisch. Wenn man fragt: Wie geht es Ihnen, und wie wird es Ihrer Familie in Zukunft gehen, sind 80 bis 90 Prozent sehr positiv. Wenn Sie die Frage dann auf das Dorf erweitern oder den Stadtteil, dann herrscht immer noch Optimismus, selbst in Städten oder Regionen, in denen es Probleme gibt. Beim Land wird alles schon schwieriger.

Nach dem Motto: armes Deutschland?

Horx: Deutschland ist schon ziemlich am Untergehen. (lacht) Europa ist unter Wasser, und der Planet Erde ist dem Untergang geweiht. Aber eigentlich fühlt man sich ziemlich glücklich. Das nennt sich apokalyptisches Cocooning, und es hat einerseits etwas mit der neuen Medienwelt zu tun, die uns rund um die Uhr mit Schreckensbildern bombardiert, ohne das zu zeigen, was gelingt und sich verbessert. Man konstruiert die Welt als Untergang, aber genießt seine eigene Idylle.

Manche sagen, die Leute wollen gar nicht über Zukunft reden, sondern lieber im Hier und Jetzt leben?

Horx: Menschen sind Zukunftswesen, wir können ohne Träume, Visionen gar nicht existieren, dazu ist unser Hirn ja von der Evolution geschaffen worden. Alle Debatten, auch die politischen, sind getränkt mit Zukunftsbildern. Wenn es über Überfremdungsangst geht, um die Nationalismus-Debatte, die Öko-Katastrophe – das sind alles Zukunftsbilder.

Bilder heißt, dass es mehr als eine erwartete Zukunft gibt?

Horx: Was man sagen kann, ist: Wir leben in einer extremen Spaltung. Es gibt immer weniger konstruktive Zukunft im Sinne von „Da wollen wir hin“, sondern es gibt zwei auseinanderstrebende Zukünfte: Die eine ist der Untergang. Da herrscht gesellschaftlicher Zynismus nach dem Motto: Die Menschheit geht eh unter, die Menschen sind zu blöd zum Überleben. Die andere Zukunft ist Erlösungsdenken: Die Zukunft wird das Paradies. Das haben früher die Religionen besetzt, heute ist es Technik. Die Computer sollen alle Entscheidungen besser und klüger als die fehlbaren Menschen treffen. Das sind die beiden Groß-Mythen unserer Zeit: Untergang oder digitale Erlösung.

Wie würden Sie Greta Thunberg und die Bewegung „Fridays for Future“ ins Thema einordnen? Beide kämpfen ja schließlich für die Zukunft.

Horx: Es gibt eine Grundregel: Immer wenn eine Entwicklung reif ist, entsteht eine symbolische Figur. Der Botschafter, die Botschafterin der Zukunft. Das war in der Renaissance so, in der Aufklärung, in allen großen Wertewandeln. Greta ist diese symbolische Figur zur rechten Zeit, die uns sagt, dass die ökologische Frage jetzt ins Zentrum aller Zukunftsfragen rückt.

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Was macht die Figur Thunberg Ihrer Meinung nach aus?

Horx: Sie verbindet beide Elemente, nämlich das Konstruktive mit dem Apokalyptischen. Sie sagt einerseits: Fürchtet euch! Aber gleichzeitig ist ihre Botschaft nicht fatalistisch. Sie markiert den Punkt, an dem Zukunft wieder zu sich selbst kommt – als Perspektive des Denkens und des Handelns. Greta Thunberg verbindet die beiden Pole der Ängste und der Hoffnung.