Berlin. Einerseits ist immer mehr Konsumenten Nachhaltigkeit wichtig, andererseits boomen Schnäppchenkäufe im Internet. Wie passt das zusammen?

Dieses Kleid! Und die Stiefel erst! Wenn Anna Schunck Lust auf einen Bummel hat, belässt sie es oft beim Gucken. Früher sei das anders gewesen, sagt die 38-Jährige. Da sei sie in Mittagspausen losgegangen, um ein Outfit für den Abend zu kaufen – ohne anzuprobieren.

Als Journalistin etwa für Frauenmagazine habe sie damals an der „Quelle für Inspirationen“ gesessen und sei fast jedem Trend hintergehechelt. „Aber vieles passte nicht zu mir. Am Ende habe ich doch ein schwarzes Shirt angezogen und war oft frustriert.“

Woher die Kleider der großen Modeketten kommen, warum sie so günstig sind und was später mit den nicht mehr benötigten Sachen geschehen sollte, darüber habe sie lange nicht nachgedacht, sagt Schunck. 2016 folgte ein radikaler Wandel: Die Berlinerin nahm sich vor, ein Jahr lang keine neuen Klamotten zu kaufen. Es klappte – erst nach 15 Monaten habe sie realisiert, dass die Frist abgelaufen war, erinnert sie sich.

„Den Wandel ausgemacht hat, glaube ich, ein Zu-viel-Gefühl.“ Nicht nur an Besitz, auch im Beruf – nach zwei Hörstürzen. Inzwischen bloggt Schunck über Nachhaltigkeit.

Deutsche kaufen für fast 300 Euro Weihnachtsgeschenke

So wie sie empfinden immer mehr Menschen: In der Umfrage „Wissenschaftsbarometer 2019“ stimmten 81 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Konsumeinschränkungen aller für den Erhalt der Umwelt nötig seien. Eine Berliner Bio-Supermarktkette warb mit dem Slogan „Kauf weniger“. Und in sozialen Medien zeigen viele Menschen einen konsumkritischen oder gar minimalistischen Lebensstil.

„Wir sind irgendwo in einer Gesellschaft angekommen, die schon jenseits des Massenkonsums ist“, sagte der Soziologe Heiko Schrader von der Universität Halle dem MDR. Die Leute hinterfragten, zumindest in bestimmten Schichten, „ob weiterer Konsum glücklich macht und dann eben, ob nachhaltige Produkte gehen“.

Jedoch: Gleichzeitig zeigt eine Umfrage in Hinblick auf Weihnachten, dass bei den Geschenken keine Einschnitte zu erwarten sind: Die Verbraucher beabsichtigen, fast genauso viel auszugeben wie im Rekordjahr 2018: im Schnitt 281 Euro (Vorjahr: 282 Euro). Herrscht nun also Konsumlust oder -frust?

Kauflaune gutes Omen für Einzelhändler zu Weihnachten

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    Produkte zum Prahlen: Konsumieren für die soziale Anerkennung

    Ingo Balderjahn, der an der Uni Potsdam über ethischen Konsum forscht, sagt, es gebe eine zunehmende Tendenz bei der Anzahl der freiwillig genügsamen Konsumenten – Menschen also, die trotz hohen Einkommens relativ wenig konsumieren. Etwa 15 Prozent der Deutschen zählten zu dieser Gruppe.

    Ethisch sei Konsum dann, wenn „über den eigenen, egoistischen Tellerrand“ hinaus geblickt wird. Nicht nur eigene Bedürfnisse stehen im Fokus, sondern auch die anderer Menschen – etwa in Fabriken in Fernost –, sowie die Umwelt, das Klima und das Tierwohl.

    Es gebe aber auch das entgegengesetzte Extrem: Personen mit einem signifikant überdurchschnittlich hohen Konsum, wie Balderjahn sagt. Etwa 13 Prozent der Bevölkerung geben ihr überdurchschnittliches Haushaltseinkommen nahezu komplett für Produkte und Dienstleistungen aus. Ihr Konsum sei stark vom Streben nach sozialer Anerkennung geprägt.

    Autos, hochwertige Elektronikartikel, generell „Produkte zum Angeben und Prahlen“ würden häufiger angeschafft. Hintergrund könnten auch die niedrigen Zinsen – sparen lohnt sich in den Augen mancher Konsumenten nicht – und das gestiegene Einkommen im Land sein.

    Aber wer konsumiert ethisch – und warum? Dem Wissenschaftler zufolge gibt die Werteinstellung den Ausschlag. Alter, Geschlecht und Bildung fielen heutzutage weniger ins Gewicht. „Die, die ethisch kaufen, sind Universalisten. Das sind Menschen, die sich als Teil der Menschheit und der Natur fühlen“, sagt Balderjahn. Auch sei ihnen wichtig, selbstbestimmt zu leben und sich nicht von Werbung manipulieren zu lassen – der „Black Friday“ etwa ziehe hier nicht.

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    Hinter vielen Käufen stehe das Streben danach, etwas angeblich ganz Besonderes zu einem unglaublich günstigen Preis bekommen zu haben und sich damit im Umfeld zu brüsten, sagt der Professor. „Für Schnäppchenjäger zählt häufig nicht der Besitz eines Produkts, sondern der Kaufakt an sich.“ Dies werde als persönlicher Erfolg verbucht – auch wenn das Glück nicht lange anhalte.

    Billig gekauft und nach einer Minute weggeworfen

    Anreize zu solchen Käufen weiß längst nicht nur der stationäre Handel zu nutzen. In einer beliebten Shopping-App etwa, die ähnlich wie Instagram stark auf Bilder setzt, wird so gut wie jeder Artikel als stark reduziert angepriesen: minus 86, 91 oder 81 Prozent. Abzüglich weiterer zehn Prozent mit Rabattcode. „So etwas sagt: ,Schalte dein Gehirn aus, klicke hier rein‘“, sagt Balderjahn.

    Die Berlinerin Anna Schunck bloggt über Nachhaltigkeit und hält wegen des Klimawandels
    Die Berlinerin Anna Schunck bloggt über Nachhaltigkeit und hält wegen des Klimawandels "Verzicht für alle" für geboten. © dpa | Britta Pedersen

    Mit wenigen Klicks und Euros kann man Trendprodukte ordern: Kleidung, aber auch Produkte wie Beauty-Zubehör und Haushaltshelfer. In diesen Segmenten bewerben immer wieder auch Influencer vermeintliche Dinge, die man haben „muss“. Teils bietet die Shopping-App Dinge, von denen man nicht ahnte, dass sie existieren: neonfarbene Beleuchtung für die Toilettenschüssel oder eine Maschine für Omelette-Röllchen etwa.

    Auf anderen Online-Plattformen versprechen Produkte, verbreitete Probleme zu lösen: Schluss mit Schnarchen oder weißere Zähne. Viele dieser Produkte haben allerdings etwas gemeinsam, wenn man den Kundenrezensionen glaubt: Häufig würden Werbeversprechen nicht eingehalten.

    Nutzer schreiben zum Beispiel: „Schrottnahe Qualität“ oder „war nach ca. einer Minute kaputt“. „Das sind impulsive Entscheidungen in der aktuellen Reizsituation“, erklärt Balderjahn, warum Menschen bei Rabatt-Angeboten zuschlagen. Angesichts geringer Kosten nähmen manche das Risiko in Kauf, dass die Ware im Müll landet. Ressourceneinsatz, Aufwand für Herstellung und Transport sowie Kohlendioxidausstoß – am Ende für die Tonne.

    Viele Produkte hatten früher eine längere Lebensdauer

    Dass das große Wegwerfen nicht nur die Flut an Schnäppchen und vermeintlichen Innovationen betrifft, führt Wolfgang König in seiner „Geschichte der Wegwerfgesellschaft“ vor Augen. Selbst Produkte, die anders als Taschentücher oder Kugelschreiber nicht von Beginn an als Wegwerfware konzipiert sind, sind heute eher kurzlebig: Die Lebensdauer eines einfachen Herrenschuhs etwa werde inzwischen auf ein Jahr geschätzt, die eines Damenschuhs sei noch kürzer. Und das bei 300 Millionen Paar verkauften Schuhen in Deutschland pro Jahr.

    „Alles, was wir wegschmeißen, ist nicht weg, sondern einfach nur woanders“, sagt Bloggerin Schunck. Die dunklen Seiten des Konsums gelte es, sich immer wieder bewusst zu machen – dann vergehe die Lust von allein. „Shopping ist kein Hobby“, betont sie. Sie habe ihren Verzicht etwa mit mehr Zeit in der Natur, Yoga oder Handwerklichem kompensiert.

    Ihrer Ansicht nach müssen Leihen, Teilen („Warum braucht jeder eine eigene Bohrmaschine?“) und Secondhand noch salonfähiger werden. Gebrauchtem hafte leider oft noch ein Ramsch-Image an.

    „Nach wie vor finde ich es toll, was Schönes für sich zu kaufen“, sagt Schunck. Kürzlich sei sie nach einem frustrierenden Arbeitstag im Schuhgeschäft vorbeigegangen. „Nicht Fair Fashion, nicht billig“, seien die Schuhe gewesen. Über ihren Kauf sagt sie: „Ich habe es nach langer Zeit zum ersten Mal einfach gemacht. Aber ich habe es wenigstens bewusst gemacht.“ (dpa)