Berlin. Es wird noch Jahre dauern, bis die Digitalisierung des Gesundheitswesens für alle Patienten Wirklichkeit wird. Das hat viele Gründe.

Es könnte so schön sein. So schnell. So unkompliziert. Wann war die letzte Tetanus-Impfung? Ein paar Klicks in der digitalen Patientenakte, und die Antwort ist da. Kein langes Suchen nach dem Impfpass, kein Anruf beim Hausarzt.

Oder ein anderes Beispiel: Wer, sagen wir mal, mit komplizierten Knieproblemen von Orthopäde zu Orthopäde, von der Röntgenpraxis zur Physiotherapie und wieder zurück gewandert ist, der dürfte es zu schätzen wissen, wenn er seine digitale Patientenakte quasi immer dabei haben könnte – mit den Befunden, den Diagnosen, den erfolgreichen und erfolglosen Therapien, also mit der ganzen Krankheitsgeschichte. Wenn er also nicht jedes Mal alles wieder aufs Neue erklären müsste. Und nicht ständig neue Untersuchungen über sich ergehen lassen müsste.

Oder die Sache mit dem Routine-Check: Wann war der letzte? Wann ist der nächste? Alles das könnte einsehbar sein, vom heimischen Sofa aus. Oder noch ein letztes Beispiel: Wer freitags merkt, dass er noch ein Folgerezept braucht, freut sich doch, wenn der Arzt die Verordnung gleich an die Apotheke schickt – und fertig. Ohne Schlangestehen in der Praxis, ohne Umwege.

Verbraucherschützer warnen vor Zwei-Klassen-Gesellschaft

Das alles wäre möglich. Im Prinzip. Doch es wird noch Jahre dauern, bis die Digitalisierung des Gesundheitswesens für alle Patienten und in allen Praxen Wirklichkeit wird. Das hat viele Gründe – technische, finanzielle, aber auch Gründe, die im Bereich der persönlichen Einstellungen liegen.

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Ein älterer Arzt, dessen Patientenstamm ebenfalls schon in die Jahre gekommen ist, überlegt sich dreimal, ob er noch auf das neue System umstellt. Wer den Zusagen zur Datensicherheit nicht traut, wird ebenfalls Nein sagen. Sorge gibt es auch mit Blick auf Übertragungsprobleme und Fehleranfälligkeit – etwa wenn hochdifferenzierte Röntgenaufnahmen mehrmals digital weitergeleitet werden.

Gut möglich, dass manch skeptischer Arzt sogar in Kauf nimmt, in Zukunft mit Honorarkürzungen bestraft zu werden. Doch nicht nur bei den Ärzten gibt es Vorbehalte: Zwar würden einer Umfrage zufolge zwei Drittel der Deutschen die elektronische Akte nutzen – umgekehrt heißt das aber auch, dass jeder Dritte zögert.

Ärzte sollen Gesundheits-Apps verschreiben

Verbraucherschützer warnen zudem vor einer Zwei-Klassen-Gesellschaft bei den Patienten – hier die digital bestens ausgestatteten, souveränen Nutzer, dort die Bürger, die nur über analoge Wege zum Arzt verfügen und deshalb Nachteile haben könnten.

Es stimmt eben: Gerade im sensi­blen Bereich des Arzt-Patienten-Verhältnisses, bei der Erfassung körperlicher Daten, spielt der menschliche Faktor eine größere Rolle als zum Beispiel bei der genauso schleppenden Digitalisierung der Bürgerämter.

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Gesundheitsminister Jens Spahn versucht es nun mit erhöhtem Druck – und neuen Lockmitteln: Apotheken und Krankenhäuser sollen nun ebenfalls eine Frist bekommen, bis zu der sie sich an das System für die Digitalisierung im Gesundheitswesen anschließen müssen. Ärzte sollen von den Kassen Geld dafür bekommen, wenn sie ihren Patienten helfen, die elektronische Akte mit den Daten zu füllen. Und, quasi als Appetitanreger für die ganze Branche: Ärzte sollen Gesundheits-Apps verschreiben können, die Kassen sollen sie bezahlen.

Apps auf Rezept? Was für den einen großartig klingt, sorgt bei anderen eher für skeptisches Stirnrunzeln. Noch mehr Daten, die im Zweifelsfall nicht so sicher sind, wie sie sein sollten? Spahns forscher Vorstoß dürfte eher polarisieren als befrieden. Kluge Entwicklungen wie die digitale Patientenakte werden dadurch nicht schneller kommen.