Berlin. Acht Milliarden Menschen gibt es nun vermutlich. Ein Ende Bevölkerungswachstums kündigt sich an – aber bis dahin dauert es noch lange.

Es wird weder einen Blumenstrauß für die Mutter geben noch ein Paar Söckchen fürs Kind. Die Eltern werden nie erfahren, dass die Geburt ihres Babys eine drastische Umwälzung markiert. Doch obwohl keiner gratuliert – wahrscheinlich kommt am Dienstag (15.11.) der achtmilliardste Mensch zur Welt. Die Erdbevölkerung wächst und wächst. Ein Ende des Anstiegs ist erst mal nicht in Sicht.

Die Acht-Milliarden-Marke ist eine Schätzung. Da es unmöglich ist, den Überblick über Hunderttausende Geburten und Todesfälle pro Tag zu behalten, haben die Vereinten Nationen die Monatsmitte für diesen Meilenstein ausgewählt.

Er verdeutlicht das rasante Bevölkerungswachstum: Zu der Zeit, als die spätere Queen Elizabeth II. vor knapp 100 Jahren geboren wurde, gab es global erstmals zwei Milliarden Menschen. 2037 werden es neun Milliarden sein, schätzen die UN. Da stellt sich die Frage: Wie werden wir in Zukunft leben, wenn in den Städten immer weniger Platz bleibt? Mehr zum Thema:Klima-Studie: Warum Babys die größten Klima-Killer sind

Weltbevölkerung wächst – das sind die Folgen

Der Brite Richard Horton, Chefredakteur der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“, erwartet einschneidende Veränderungen in den kommenden Jahrzehnten. „Das 21. Jahrhundert wird eine Revolution in der Geschichte unserer menschlichen Zivilisation erleben“, mutmaßt der 60-Jährige. „Afrika und die arabische Welt werden unsere Zukunft gestalten, während Europa und Asien in ihrem Einfluss zurücktreten werden.“

In seiner Zeitschrift erschien kürzlich eine Analyse von Medizinern der Universität im US-Staat Washington, wonach das Wachstum gravierende soziale und wirtschaftliche Folgen haben wird. „Dies wird wirklich eine neue Welt sein, auf die wir uns heute vorbereiten sollten“, mahnt Horton.

Mitte November überschreitet die Weltbevölkerung nach Berechnungen der Vereinten Nationen die Marke von acht Milliarden.
Mitte November überschreitet die Weltbevölkerung nach Berechnungen der Vereinten Nationen die Marke von acht Milliarden. © picture-alliance / dpa | Waltraud Grubitzsch

In keinem Erdteil wird die Bevölkerung absehbar so zunehmen wie in Afrika südlich der Sahara. Rund 1,4 Milliarden Menschen leben derzeit auf dem Kontinent. Bis 2050 wird die Population UN-Experten zufolge auf 2,5 Milliarden steigen. Bis Ende des Jahrhunderts könnten sogar dreimal so viele Menschen in Afrika leben wie heute, weit mehr als vier Milliarden – das wären 40 Prozent der Weltbevölkerung.

In Nigeria etwa, wo jeder zweite Einwohner jünger ist als 18 Jahre, bekommen Frauen durchschnittlich sieben Kinder. „Ein Großteil des künftigen Wachstums der Weltbevölkerung wird in dieser Region und in einigen Ländern in Asien stattfinden“, sagt Frank Swiaczny vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung.

In China hingegen – heute das bevölkerungsreichste Land der Erde – ist die Geburtenrate infolge der jahrzehntelang verordneten Ein-Kind-Politik so niedrig, dass das Riesenreich wohl schon im kommenden Jahr von Indien überholt wird. Bis 2100 werde sich die Bevölkerungszahl fast halbieren, prophezeien Forscher.

Bevölkerungswachstum: Architekten entwerfen Hochhäuser der Zukunft

Damit Großstädte nicht unter dem Ansturm von immer mehr Menschen kollabieren, experimentieren Architekten und Stadtplaner bereits jetzt mit neuen Wohnformen. Das Ideal sind Multifunktionshäuser, deren Bewohner nie nach draußen müssen, weil sie alles Lebensnotwendige unter ihrem Dach finden.

Einer der Vorreiter ist der belgische Stararchitekt Vincent Callebaut (45), der in der chinesischen Metropole Shenzhen ein Ensemble aus ökologischen Hochhäusern plant. Mit Windrädern und Solarpaneelen, Parks in luftiger Höhe, Gemüsebeeten, Fischbecken und sogar Kuhwiesen.

Er wolle „die Landwirtschaft in das Herz der Städte bringen“, so Callebaut, der an einer weiteren Hochhausutopie arbeitet: Im East River vor Manhattan möchte er zwei 700 Meter hohe Wolkenkratzer errichten, in denen genügend Obst und Pilze angebaut sowie Hühner gezüchtet werden sollen, um 150.000 New Yorker satt zu bekommen.

Er verweist auf Schätzungen von Wissenschaftlern, wonach in 35 Jahren doppelt so viel Reis, Mais und Weizen geerntet werden müsse, um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können.

Bevölkerung in Europa wird schrumpfen

Wobei die Vereinten Nationen von einer drohenden Überbevölkerung nichts wissen wollen. „Die reine Zahl an Menschenleben ist kein Grund zur Angst“, stellt Natalia Kanem klar, die Chefin des UN-Bevölkerungsfonds. Nach ihrer Einschätzung gibt es ausreichend Ressourcen – es komme auf die richtige und gerechte Verteilung an.

Das glaubt auch Bevölkerungsforscher Swiaczny: Mehr Menschen bedeuteten „nicht zwangsläufig auch einen größeren ökologischen Fußabdruck“. Fast die Hälfte der globalen CO₂-Emissionen werde von den zehn Prozent der Weltbevölkerung mit dem höchsten Einkommen verursacht, während der Beitrag der armen Hälfte zu vernachlässigen sei, so Swiaczny.

Das in diesen Tagen geborene Jubiläumsbaby dürfte im Rentenalter ein Ende des Anstiegs miterleben. Ab den 2080er-Jahren soll die Menschheit den UN-Prognosen zufolge nicht weiterwachsen, bei dann 10,4 Milliarden Männern, Frauen und Kindern. Entscheidend dafür seien der verbesserte Zugang zu moderner Empfängnisverhütung in bisher unterversorgten Teilen der Welt und zunehmende Bildungschancen für Mädchen und Frauen, heißt es in der Analyse in „The Lancet“.

Und Deutschland? Hier werde die Bevölkerung von aktuell etwa 83 Millionen infolge einer stetig abflachenden Geburtenrate auf nur noch 66 Millionen im Jahr 2100 sinken. In Spanien und Italien werde sich die Bevölkerung sogar halbieren. Die UN raten den Ländern daher, „eine geordnete, sichere, reguläre und verantwortungsvolle Mi­gration zu erleichtern“.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.