Berlin. Frauen leiden und doppelt so oft an Alzheimer als Männer. Eine Expertin erklärt, warum und wie sie vorbeugen können.

Frauen leiden häufiger als Männer an Migräne, Depressionen, Schlaganfällen und doppelt so oft an Alzheimer. Woran liegt das? Und wie unterscheidet sich das weibliche vom männlichen Gehirn? Die renommierte Neurowissenschaftlerin Lisa Mosconi kritisiert, wie wenig Frauengesundheit bislang erforscht wurde.

In ihrem kürzlich erschienenen Buch „Das weibliche Gehirn – Länger leben, besser schlafen, Demenz vorbeugen“ erklärt sie deshalb die drastischen Unterschiede zwischen dem weiblichen und männlichen Hirnstoffwechsel und wie Frauen schweren Erkrankungen vorbeugen können.

Frau Professor Mosconi, Sie konzentrieren sich auf die Erforschung des weiblichen Gehirns. Warum?

Lisa Mosconi: Zuerst einmal bin ich selbst eine Frau und fühle mich als Wissenschaftlerin sozusagen zum weiblichen Gehirn hingezogen. Ich habe außerdem eine Familiengeschichte, was Alzheimer angeht. Meine Großmutter hatte vier Geschwister, drei Schwestern und einen Bruder. Alle Schwestern erkrankten an Alzheimer und starben daran. Ihr Bruder hingegen blieb gesund. Während meine Studiums begann ich, mich zu fragen, ob Frauen womöglich häufiger an Alzheimer erkranken als Männer? Oder ob das nur in meiner Familie passiert. Sollte ich mir Sorgen machen? Damals lautete die Antwort: Wir wissen es nicht.

Heute wissen wir, dass mehr Frauen als Männer an Alzheimer erkranken.

Mosconi: Fast zwei Drittel aller Betroffenen sind Frauen. Viele Jahre lautete die Erklärung dafür einfach, dass Frauen eben länger leben. Und mit höherem Alter auch die Gefahr steigt, an Alzheimer zu erkranken. Ich empfand diese Antwort als unbefriedigend. Also habe ich sie verändert. Lesen Sie auch: Studie: Medien-Multitasking wohl schlecht für das Gedächtnis

Inwiefern?

Mosconi: Bis heute glauben viele Menschen, dass der Grund dafür, warum manche erkranken und andere nicht, in der jeweiligen DNA, dem Alterungsprozess, oder beidem zu finden ist. Das wäre eine ziemlich hoffnungslose Ausgangslage. Ich und auch andere Forschende konnten jedoch zeigen, dass Alzheimer nicht erst im hohen Alter entsteht. Sogenannte Alzheimer Plaques, also Ablagerungen in der Gehirnsubstanz, die Hauptmerkmal der Krankheit sind, entstehen bereits im Alter von 50 bis 60 Jahren. Wohingegen Alzheimer-Patientinnen und Patienten die Symptome ihrer Krankheit oft erst mit 70 oder 80 erleben.

Das erklärt noch nicht, warum Frauen häufiger an Alzheimer erkranken als Männer.

Mosconi: Im Gegensatz zu Männern, durchleben Frauen in der Mitte ihres Lebens, also der Phase, in der sich auch Alzheimer-Plaques bilden, starke körperliche Veränderungen. Wir stießen auf die Menopause als eine mögliche Erklärung. Und das war verblüffend. Denn das würde bedeuten, dass Eierstöcke die Arbeit und Funktion des Gehirns entscheidend beeinflussen. In verschiedenen Studien konnten wir diese These schließlich belegen.

Sind also Hormone daran schuld, dass Frauen öfter an Alzheimer erkranken als Männer?

Mosconi: Ja. Und eigentlich dürfte uns das nicht überraschen. Frauen berichten seit hunderten von Jahren, wie Hormone ihr Gehirn beeinflussen: Von Hitzewallungen, Nachtschweiß, Schlafstörungen, Depression, Angstzuständen und sogar Gedächtnisstörungen, sobald sie in die Wechseljahre kommen. Diese Symptome beginnen nicht in den Eierstöcken, sondern im Gehirn. Sexualhormone, wie Östrogen, beeinflussen längst nicht nur die Fortpflanzung. Auch interessant: Corona: Frauen nehmen Covid-19 ernster - und erkranken seltener

Können Sie das genauer erklären?

Mosconi: Östrogen ist sozusagen der Dirigent des Gehirns. Es treibt die Neuronen an, mehr Energie zu liefern. Was passiert also während der Menopause, wenn dieses Hormon plötzlich in Rente geht? Das Gehirn muss sich erst einmal auf diese neue Situation einstellen. Und das kann dauern. Wenn es seine Balance wiedergefunden hat, verschwinden Hitzewallungen und Schlafstörungen zumeist wieder.

Nun können Frauen ihre Menopause aber weder hinauszögern noch aufhalten.

Mosconi: Nein, aber mein Buch enthält unter anderem Fragebögen, die dabei helfen, das individuelle Alzheimer-Risiko einzuschätzen. Und natürlich Tipps, wie man vorbeugen kann. Was hilft, ist eine Kombination aus Diät, Bewegung, Stressreduktion und ausreichend Schlaf. Ernährung ist die einfachste Möglichkeit, eine gute Entscheidung für Hirn und Hormone zu treffen. Zum Beispiel, indem wir Nährstoffe zu uns nehmen, die unser Gehirn schützen. Mediterrane Ernährung ist dafür ideal, denn sie reduziert das Risiko an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfällen, Depression und Demenz zu erkranken und mindert gleichzeitig Hitzewellen.

Wie funktioniert mediterrane Ernährung?

Mosconi: Sie besteht vor allem aus pflanzlicher Kost wie Gemüse und Obst, Vollkorngetreide, Samen und Nüssen. Statt Fleisch empfehle ich mehr Fisch. Hin und wieder ein Gläschen Wein, oder ein Espresso sind auch völlig in Ordnung. Das tolle ist, dass man kaum verzichten muss. Lesen Sie auch: Demenz: So schützen Sie sich am besten gegen die Erkrankung

Warum wirkt mediterrane Ernährung positiv auf den weiblichen Körper?

Mosconi: Viele der empfohlenen Lebensmittel enthalten pflanzliches Phytoöstrogen. Das kann ähnlich einer sehr milden Hormonersatzkur wirken. Ich empfehle Soja und Sojaprodukte, Sesam- und Leinsamen, Kichererbsen, frische und getrocknete Früchte wie Blaubeeren, Mango, Ananas.

Sie sprachen außerdem von Schlaf und Stressreduktion.

Mosconi: Beides beeinflusst unsere Kognition und unseren Fokus. Aktuelle Studien zeigen gar, dass sich chronischer Stress bereits ab der Lebensmitte negativ auf unser Gehirn auswirken kann. Und mit Lebensmitte meine ich jedes Alter zwischen 35 und 65. Wer dauerndem Stress ausgesetzt ist, produziert viel des Hormons Cortisol. Das wiederum kann sich negativ auf unsere Gedächtnisleistung auswirken und sogar das Gehirn schrumpfen lassen. Aber nur bei Frauen, nicht bei Männern.

Weil das weibliche Gehirn empfindlicher auf hormonelle Schwankungen reagiert?

Mosconi: Genau. Wenn der weibliche Körper damit beschäftigt ist, viel Cortisol zu produzieren, findet er weniger Zeit für andere Hormone. Zum Beispiel Östrogen. Aber: Wenn wir den Stress reduzieren, beginnt unser Körper wieder mit der Östrogenproduktion. Das sollten wir uns gerade jetzt in der Pandemie immer mal wieder vor Augen führen. Es ist okay, gestresst zu sein, aber Stress schadet Körper und Gehirn.

Was hilft, Stress wirksam und vergleichsweise schnell reduzieren?

Mosconi: Zum Beispiel Sport. Aber auch zu priorisieren: Was ist gerade wirklich wichtig, welche Aufgaben können warten? Viele Frauen schwören außerdem auf Meditation. Und das ergibt Sinn, denn im Gegensatz zu Männern, zeigen Frauen häufig eine sogenannte Tend-and-Befriend-Stressreaktion. Auch interessant: RKI: Deutsche haben durch Corona-Lockdown zugenommen

Können Sie das genauer erklären?

Mosconi: Typischerweise reagieren Menschen auf Gefahr indem sie kämpfen, oder aber fliehen. Forscherinnen und Forscher nennen das Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Wenn wir uns bedroht fühlen, schlagen wir entweder zu, oder rennen weg. Das weibliche Gehirn schüttet in Stresssituationen aber auch das Kuschelhormon Oxytocin aus. Dadurch werden sie mitfühlender, sozialer, zärtlicher und mutiger. Sie verspüren das Bedürfnis, sich um andere zu kümmern.

Für andere Sorge zu tragen, hilft ihnen dabei, Stress abzubauen?

Mosconi: Genau! Sie brauchen die Unterstützung anderer, statt Türen zu knallen, oder wütend zu werden. Ich denke, das ist etwas, was wir uns in der aktuellen Pandemie immer wieder klarmachen sollten: Sich nacheinander zu erkundigen, Hilfe anzubieten und anzunehmen, Familie und Freunde zu unterstützen, das baut Stress ab. Zumindest bei Frauen.