Berlin. Für eine Schutzwirkung in der Gesellschaft sind Impfquoten von 95 Prozent nötig. Die Immunisierungsraten liegen jedoch weit darunter.

Eine Studie der Barmer Krankenkasse kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland noch immer zu wenige Kinder geimpft werden. Die Kasse hat die Abrechnungsdaten von rund 45.700 Schulanfängern geprüft und festgestellt: Die Impflücken sind größer als bisher angenommen.

Dem am Donnerstag veröffentlichten Arzneimittelreport zufolge lagen die Impfquoten bei wichtigen Infektionskrankheiten wie Masern, Mumps oder Röteln im Jahr 2017 durchweg unter 90 Prozent.

Demnach waren nur 88,8 Prozent der sechsjährigen Kinder ausreichend gegen Masern geimpft. Bei Zweijährigen war der Schutz mit 78,9 Prozent noch geringer. Hochgerechnet fehlte 2017 damit bundesweit 166.000 Zweijährigen der Masernschutz.

Impfungen bei Kindern: Barmer-Chef spricht von alarmierenden Quoten

Diese Quoten seien alarmierend, sagte Barmer-Vorstandschef Christoph Straub. Denn für eine Schutzwirkung in der Gesellschaft seien Immunisierungsraten von mindestens 95 Prozent nötig.

Nach den offiziellen Daten der Schuleingangsuntersuchungen beim Robert Koch-Institut (RKI) lag die Impfquote bei der ersten Masernimpfung 2017 bei rund 97 Prozent. Bei der zweiten Masernimpfung waren es fast 93 Prozent. Allerdings hatten rund neun Prozent der Schulanfänger keinen Impfausweis.

Das RKI habe in seiner Methodik deshalb bereits beschrieben, dass die von ihm angegebenen Impfquoten möglicherweise etwas zu hoch seien, hieß es am Donnerstag von der Bundesbehörde. Würde man alle Kinder ohne Impfpass als ungeimpft ansehen, ergäbe sich mit Blick auf den Masernschutz am Schulanfang nur eine Impfquote von nur 81,4 Prozent.

Große Impflücken auch bei Mumps und Röteln

Die Barmer-Daten mit 88,8 Prozent lägen zwischen dieser ungünstigsten Annahme und der günstigsten von fast 93 Prozent. Auch das RKI habe bereits auf Defizite beim Impfschutz hingewiesen, hieß es weiter. Die Auswertung der Barmer sei gründlich.

„Mit den Daten werden jedoch nur rund elf Prozent der gesetzlich Versicherten in Deutschland abgebildet und es bleibt offen, wie repräsentativ dieses Versichertenklientel für Deutschland ist“, teilte das RKI weiter mit. Die Barmer-Analyse zeige das Bild der tatsächlichen Impfquoten, betonen die Autoren der Studie.

Neben Masern gebe es weitere Impflücken. So waren unter den Barmer-Versicherten 2017 nur 88,7 Prozent der Sechsjährigen gegen Mumps und Röteln geimpft. Dies sei äußerst bedenklich, weil Kinder und Jugendliche ihre Impflücken auch im Erwachsenenalter behalten würden, sagte Straub.

Große regionale Unterschiede bei Masern-Impfquoten

Die Krankenkassen AOK oder TK haben solche aufwenigen Erhebungen für ihre Versicherten nach eigenen Angaben noch nicht durchgeführt. Es gibt aber die Impfsurveillance der Kassenärztlichen Vereinigung, die auch mit Abrechnungsdaten von gesetzlich Versicherten arbeitet.

Die jüngsten Daten für 2014 geben bei Zweijährigen für Masern bundesweit eine Impfquote von 73,9 Prozent an – allerdings mit großen regionalen Unterschieden von 68,9 Prozent in Baden-Württemberg bis 80,5 Prozent in Hamburg.

Die Barmer hat bei ihren Versicherten auch geschaut, wie viele Kinder in den ersten beiden Lebensjahren überhaupt keine der 13 empfohlenen Impfungen erhalten hatten: Das waren 1855 Kinder, die 2015 zur Welt kamen – rund drei Prozent.

Impfquoten sind seit 2010 gestiegen

Die Barmer-Statistik zeigt aber auch einen erfreulichen Trend: Bei Masern wuchsen die Impfquoten an – von 73,8 beim Jahrgang 2010 auf 78,9 Prozent beim Jahrgang 2015.

Einen Zuwachs beobachtete auch die Impfsurveillance der Kassenärztlichen Vereinigung. Die jüngsten Daten für 2014 ermitteln bundesweit eine Quote von 73,9 Prozent, rund drei Prozentpunkte mehr als 2010.

Das Bundeskabinett hat Mitte Juli ein Gesetz für eine Masern-Impfpflicht auf den Weg gebracht. Ab März 2020 müssen Eltern vor der Aufnahme ihrer Kinder in eine Kita oder Schule nachweisen, dass diese geimpft sind. Der Bundestag muss noch zustimmen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte Mitte Juli mitgeteilt, dass 2018 fast 20 Millionen Kinder weltweit lebensrettende Impfungen wie gegen Masern, Diphtherie oder Tetanus nicht erhalten haben. (mbr/epd/dpa)