Glasgow. Ihre Heimat droht unterzugehen: Auf der Klimakonferenz in Glasgow kämpfen Aktivisten aus pazifischen Inselstaaten um ihr Überleben.

Brianna Fruean ist müde. Seit fast zwei Wochen ist sie jetzt schon auf der Weltklimakonferenz in Glasgow, sie hat in dieser Zeit an Protestaktionen teilgenommen, Interviews gegeben, den Verhandlern pazifischer Inselstaaten den Rücken gestärkt. Sie hat dafür gekämpft, dass ihre Heimat, die Inselnation Samoa im Pazifik, eine Chance hat zu überleben.

Fruean ist 23 und schon jetzt eine Veteranin dieses Kampfs. Mehr als die Hälfte ihres Lebens ist sie aktiv in der Klimabewegung, gründete als Elfjährige einen Ableger der Organisation 350 in Samoa. Glasgow ist die vierte Weltklimakonferenz, an der sie teilnimmt. Jedes Mal, wenn man auf eine solche Konferenz komme, sei es, als würde man sich in die Höhle des Löwen begeben, sagt sie. „Und wenn ich wieder rauskomme, hat er meinen Optimismus gefressen.“

Lavetanalagi Seru auf dem Gipfel in Glasgow.
Lavetanalagi Seru auf dem Gipfel in Glasgow. © Theresa Martus | Theresa Martus

Dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt und dass der die kleine Inselnation Samoa bedroht, davon hörte Fruean zum ersten Mal in der Grundschule. Was sie lernte, machte ihr Angst. „Wenn man Angst hat, gibt es zwei Optionen“, sagt sie – Flucht oder Angriff. Fliehen wollte sie nicht.

Kämpfen oder untergehen, das sind die Aussichten, vor denen zahlreiche niedrig gelegene Inselstaaten im Pazifik stehen. Denn in Samoa, Tuvalu, Vanuatu, den Marshall-Insel, Fidschi und anderen Ländern sind die Auswirkungen der Erderwärmung kein bedrohliches Szenario der nahen Zukunft mehr. Sie sind längst Alltag.

Dörfer werden umgesiedelt, weil das Wasser zu nahe kommt

Mit dem steigenden Meeresspiegel frisst sich das Wasser des pazifischen Ozeans von den tropischen Stränden dort in küstennahe Siedlungen, Fluten setzen Felder und Gebäude unter Wasser, Tropenstürme nehmen über dem warmen Wasser mehr Energie auf als je zuvor und treffen mit zerstörerischer Wucht das Land.

Was das für die Menschen vor Ort bedeutet, weiß Lavetanalagi Seru genau. Der 29-Jährige stammt aus Fidschi, einer Nation von 300 Inseln etwa 1100 Kilometer westlich von Samoa und 2800 Kilometer von der Ostküste Australiens entfernt. Seru ist Referent für Klimagerechtigkeit beim Pacific Islands Climate Action Network, einer Dachorganisation von Klimaschutzorganisationen in der Region.

Seine Heimat wurde 2016 von Sturm Winston getroffen, dem stärksten Zyklon in der südlichen Hemisphäre seit Beginn der Aufzeichnungen. 40.000 Häuser wurden damals zerstört, die Schäden in Höhe von 1,4 Milliarden US-Dollar entsprachen einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts.

Doch es sind nicht nur die offensichtlichen Zerstörungen, die das Leben der Menschen verändern, sagt Seru. „Es berührt jede Faser der Gesellschaft.“ Ganze Dörfer werden umgesiedelt, weil das Wasser zu nahe kommt. Frauen, hauptsächlich zuständig für die Ernährung der Gemeinschaften, haben längere Wege zu Gärten, die das Wasser nicht erreicht, und müssen tiefer ins Meer gehen, um fischen zu können, weil den Fischen das seichte Wasser zu warm wird.

In Fällen, wo die Ernährungssituation einer Familie kritisch wird, würden manche von ihnen Opfer häuslicher Gewalt, sagt Seru. Weil die Regierung nach dem Zyklon nicht genug Geld hatte, den Menschen nach dem Sturm beim Wiederaufbau zu helfen, erlaubte sie es, Geld aus der Rentenkasse zu holen. Selbst die nationale Sicherheit sei betroffen, sagt Seru: Die Sorge um knapper werdende Ressourcen verstärke bestehende Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen im Land.

Der große Nachbar baut weiter Kohle ab

Es ist eine Katastrophe, zu der die Inselstaaten selbst kaum beigetragen haben. Pro Kopf sind die Bewohner von Fidschi im Schnitt für 2,2 Tonnen CO2-Emissionen im Jahr verantwortlich, in Deutschland liegt der Schnitt bei etwa elf Tonnen. Zusammen würden die 22 pazifischen Inselstaaten und Territorien gerade einmal 0,03 Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes stellen, sagt Seru.

Währenddessen baue Australien eine Kohlemine, deren Produkt für dreimal so viele Emissionen verantwortlich sein werde – jedes Jahr. Laufzeit des Projekts: 60 Jahre. „Das ist ein Todesurteil“, sagt der Aktivist. „Sie legen uns die Schlinge um den Hals.“ Er sagt das im selben Tonfall, in dem er zuvor Fakten über seine Heimat vorgetragen hat.

Es ist die fundamentale Ungerechtigkeit im Kern der Klimakrise: Diejenigen, die das Feuer gelegt haben, sind die einzigen, die es löschen können. Doch auf dem Weg zum Feuerlöscher sind sie nicht annähernd schnell genug.

„Zwei Grad Erwärmung würden das Ende bedeuten“

Mit zunehmender Verzweiflung und Wut appellieren die Inselstaaten und andere besonders betroffene Länder deshalb an die Industriestaaten, von deren Kurs ihr Schicksal abhängt. Denn die Zeit wird knapp. Kurz bevor das Treffen am Freitag eigentlich zu Ende gehen soll, ist wenig Fortschritt sicher.

Fruean hatte zur Eröffnung der Konferenz zu den Staatschefs gesprochen. Zwei Grad Erwärmung, sagte sie Joe Biden, Boris Johnson und anderen, würden das Ende bedeuten. 1,5 Grad Erwärmung – das Ziel, das die Nationen nach dem Pariser Abkommen anstreben – wären eine Überlebenschance.

Daran, was passiert, wenn ihre Heimat diese Chance nicht bekommt, will sie nicht denken. „Ich kann mir eine Zukunft, in der wir das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen, nicht vorstellen“, sagt sie. „Ich bin immer noch hier, ich kämpfe immer noch weiter. Ich glaube immer noch, dass wir das schaffen können.“