Berlin. Die Aussicht auf Reisefreiheit beeinflusst offenbar die Impfpläne vieler Bürger. Sie wollen ihre Zweittermine vorziehen. Geht das?

Die Aussicht auf Reisefreiheit und Sommerurlaub beeinflusst offenbar die Impfpläne vieler Bürgerinnen und Bürger. In mehreren Bundesländern berichten Behörden, Ärzte und Impfzentren, dass Menschen ihre Termine für die Zweitimpfung gegen Covid-19 vorziehen wollen. Aus organisatorischer und medizinischer Sicht sei das nachteilig, warnen Experten.

Wo gibt es Wünsche zur Verschiebung von Terminen?

In Thüringen berichtet die Kassenärztliche Vereinigung von etwa 1000 Anfragen fürs Vorziehen vereinbarter Zweittermine. Weitere Meldungen gibt es aus Impfzentren, Behörden und Praxen in Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Brandenburg und Bayern.

Welche Gründe für eine Verschiebung von Impfterminen werden akzeptiert?

„Urlaubs- und Freizeitpläne sind der Impfung unterzuordnen“, sagte ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums. Nach Angaben der Behörden könnten Termine in den Impfzentren nur im Ausnahmefall, manchmal sogar gar nicht, etwa in Schleswig-Holstein, verschoben werden.

Die Ausnahmen sind streng geregelt. In manchen Städten oder Kreisen gelten sie bei Krankheit, Klinikaufenthalt, Reha oder bei einem Todesfall in der Familie.

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Wie gehen Hausärzte mit den Bitten um Verschiebung um?

Letztlich entscheiden sie selbst: „Wir empfehlen den Ärztinnen und Ärzten, sich bei den Abständen zwischen Erst- und Zweitimpung an den Herstellerangaben, die ja die Grundlage der Zulassungen bilden, zu orientieren“, sagte ein Sprecher der Kässenärztlichen Bundesvereinigung. Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte handelten in medizinischer Verantwortung. „Urlaubswünsche, so sehr diese aus Sicht der Betroffenen verständlich sein mögen, spielen dabei keine Rolle“, so der Sprecher weiter.

Der Fuldaer Internist Dr. Jörg Simon erklärte im Gespräch mit den „Osthessen News“: „Wir können die Zweitimpfungen bis auf wenige medizinische Ausnahmen nicht einfach vorziehen.“ Das ginge zulasten der Menschen, die auf ihre Erstimpfung warteten.

„Ein großes Problem der Impfkampagne liegt nach wie vor bei der mangelnden Zuverlässigkeit der Lieferungen in die Praxen“, sagte Ulrich Weigeldt, Chef des Deutschen Hausärzteverbands, dieser Redaktion. „Dies erschwert die Planung insgesamt - und speziell auch eine gewisse Flexibilität bei den Impfungen innerhalb des Zulassungsrahmens.“

Welche organisatorischen Gründe sprechen gegen eine Verlegung der Zweitimpfung?

Impfzentren und Hausärzte sind durchgetaktet, um die Impfkampagne stemmen zu können. Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, gab bei einer Online-Diskussion des Bundesgesundheitsministeriums zu bedenken. „Wenn jetzt jeder die Termine so plant, wie es ihm am besten passt, kommt es zu Buchungsproblemen.“

Internist Simon appellierte an die Menschen in Deutschland: „Bitte vermeiden Sie unnötige Diskussionen am Telefon.“ Ärzte und Mitarbeiter der Impfpraxen arbeiteten seit Wochen an der Belastungsgrenze. „Neben den Impfungen muss auch der Praxisalltag noch aufrechterhalten werden.“

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Auch Ulrich Weigeldt betonte den enormen Aufwand: „Neben den Erstimpfungen müssen die Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeiter unter anderem auch die Termine sowie die Bestellungen für die Zweitimpfungen in den Praxen organisieren.“ Die zweite Dosis werde nicht automatisch nach Ablauf des Impfabstandes in die Praxen gesandt.

Was sind die medizinischen Gründe, die gegen eine vorgezogene Impfung sprechen?

Prof. Hajo Schneck vom Impfzentrum in Ebersberg nannte im Gespräch mit dem Münchener Merkur eine Verkürzung der Abstände aufgrund von Urlaubswünschen epidemiologischen Unsinn: „So impfen wir nur um des Impfens willen. Dabei sollten wir immunisieren. Das ist unsere medizinische Aufgabe“, sagte der ehemalige Klinikchef.

Bezogen auf das Vakzin von Astrazeneca erklärte er: „Das empfohlene Impfintervall liegt aus gutem Grund bei zehn bis zwölf Wochen. Weil bei zu kurzem Impfabstand die erste Dosis gegen die zweite arbeiten kann und das Immunsystem den Adenovirus, der den Vektor transportiert, direkt abwehrt.“

Bei einem längerem Abstand zwischen den Impfdosen sei zudem die Schutzwirkung jenseits der 80 Prozent. Schneck: „Eine britische Studie mit 17.000 Teilnehmern legt nahe, dass Astrazeneca bei weniger als sechs Wochen Zweitimpfungs-Abstand nur zu 55 Prozent wirksam ist.“ Wenn 60 Prozent der Bevölkerung zwar geimpft seien, bei vielen aber nur eine schwache Immunisierung bestehe, gefährde das die Herdenimmunität.

Welche Abstände sind für die einzelnen Impfstoffe empfohlen?

Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt unter Berücksichtigung der Zulassungen und der vorliegenden Wirksamkeitsdaten für die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna einen Abstand von sechs Wochen zwischen den beiden Impfungen. Dadurch sei sowohl ein sehr guter individueller Schutz als auch ein größerer Effekt der Impfung auf Bevölkerungsebene zu erzielen. Im Klartext heißt das: Die Ausweitung des Abstands ermöglicht zügigere Erstimpfungen.

Zugelassen und oft angewendet sind aber auch andere Abstände zwischen Erst- und Zweitimpfung: Bei Biontech/Pfizer gilt dafür ein Zeitraum von drei bis sechs Wochen, bei Moderna einer von vier bis sechs.

Für das Vakzin von Hersteller Astrazeneca empfiehlt die Stiko einen Abstand von zwölf Wochen. Bei diesem Abstand steige die Wirksamkeit des Vakzins – und somit der Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus. Zugelassen ist eine Zweitimpfung bereits nach vier Wochen.

Auch für eine Kreuzimpfung von Astrazeneca mit einem mRNA-Impfstoff empfiehlt die Stiko einen Abstand von zwölf Wochen. Hier gibt es keine anderslautenden Zulassungintervalle. Der Grund dafür ist nachvollziehbar. Kreuzimpfungen waren nicht für den Einsatz getestet worden. Sie ergaben sich erst aus der Entscheidung, ob eines erhöhten Risikos für thromboembolische Ereignisse nach einer Astrazeneca-Impfung, Personen im Alter von unter 60 Jahren nicht noch einmal mit dem Vektor-Vakzin zu impfen. (mit dpa)