Berlin. Die aktuelle Corona-Lage ist unübersichtlich. Wie hoch ist die Inzidenz wirklich? Und welche Rolle spielt Arcturus? Das sagen Experten.

Wie hoch sind die Corona-Zahlen wirklich? Glaubt man den Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland derzeit bei rund 40 Infektionen pro 100.000 Einwohner. Doch Experten sind überzeugt, dass diese Zahlen das Infektionsgeschehen überhaupt nicht mehr wiedergeben.

„Das Meldewesen von Corona ist vorbei. Aber Corona selbst ist nicht vorbei“, sagt der Saarbrücker Pharmazieprofessor Thorsten Lehr der Deutschen Presse-Agentur. Er gehe davon aus, dass die tatsächliche Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland derzeit zwischen 1000 und 2000 liegt.

Covid: Viele Infektionen, wenig Krankenhausaufenthalte

„Wir haben noch viele Infektionen. Sie sind harmloser, aber sie sind existent“, so Lehr. Seiner Prognose nach werde die aktuelle Welle im April ihren Höhepunkt haben und sich dann abschwächen. „Nicht wegen irgendwelcher Saisonalitäten, daran glaube ich nicht mehr. Sondern weil wieder eine Durchseuchungsrunde vorüber ist.“

Aussagekräftiger sind die Zahlen aus den Krankenhäusern. Im aktuellen RKI-Lagebericht werden 3,4 Hospitalisierungen pro 100.000 Einwohner aufgrund von Corona angegeben. Das entspricht einer Gesamtzahl von etwa 2.800 neuen Krankenhausaufnahmen innerhalb einer Woche. Damit befindet sich die Hospitalisierungsrate sogar unter dem Niveau, das üblicherweise in den vorpandemischen Jahren um diese Jahreszeit beobachtet wurde. Zuletzt wurden außerdem 1238 Personen mit einer Corona-Diagnose auf einer Intensivstation behandelt, so das RKI. Nach wie vor sind Personen ab 80 Jahren am stärksten von schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen durch Covid betroffen.

Corona-Variante „Arcturus“ in Deutschland angekommen

Viel diskutiert wird die neue Corona-Variante XBB.1.16 , die zuerst in Indien auftrat und nun auch in Deutschland angekommen ist. Wie das RKI in seinem wöchentlichen Corona-Bericht mitteilt, wurde die unter dem Namen „Arcturus“ bekannte Sublinie des Virus zwischen dem 30. Januar und dem 12. März in der Bundesrepublik bisher sechs mal nachgewiesen. Allerdings werden in Deutschland auch nur wenige Proben überhaupt auf Varianten untersucht. Mehr zum Thema: "Arcturus" - Neue Corona-Variante bereitet WHO-Experte Sorgen

Nach Einschätzung des Virologen Hendrik Streeck wird die neue Variante, die bereits in Baden-Württemberg und Bayern registriert wurde, „jetzt kein Game-Changer sein“. Es werde nicht bedeuten, dass wir wieder eine neue Pandemie haben, sondern es ist einer dieser Wellen, die vielleicht kommen kann, vielleicht auch wegbleiben kann, die wir in den nächsten Jahren einfach erwarten müssten, so der Experte in der RTL-Sendung „Punkt12“.

Ulf Dittmer, Virologe an der Uniklinik Essen, glaubt nicht, dass es durch Arcturus zu vielen schweren Verläufen kommen werde. „Besonders Menschen, die erst geimpft wurden und dann leicht oder mittelschwer erkrankt sind, haben eine ganz breite Immunität. Nicht nur durch Antikörper, sondern auch durch T-Zellen und das sind sehr viele in Europa“, sagte der Mediziner im Gespräch mit Focus Online. Diese Kombination schütze die Menschen sehr gut vor schwerer Erkrankung.

Atemwegserkrankungen: Influenza- und Rhinoviren häufiger als Corona

Auch Thorsten Lehr geht davon aus, dass es mit rund 40 Millionen gemeldeten Infektionen seit Pandemiebeginn plus Dunkelziffer bundesweit eine „relativ große“ Immunität gebe. „Mehr oder weniger die komplette Bevölkerung dürfte einmal Kontakt mit dem Virus gehabt haben“, sagte der Professor für Klinische Pharmazie an der Universität des Saarlandes.

Allerdings plagen sich in Deutschland zurzeit viele Menschen mit anderen Atemwegserkrankungen herum. Nur bei sieben Prozent der Patientinnen und Patienten, die mit entsprechenden Symptomen zum Arzt gehen, sei der Auslöser Sars-CoV-2. Eine wesentlich größere Rolle spielten Influenza- und Rhinoviren, so das RKI.

(amw/dpa)