Berlin. Mehr Kinder als sonst haben schon jetzt mit Atemwegserkrankungen zu kämpfen. Das könnten auch die Corona-Maßnahmen verursacht haben.

Der Herbst hat noch gar nicht richtig begonnen, trotzdem gehen an vielen Kindergärten und Grundschulen schon jetzt Erkältungskrankheiten um. Vielen Kindern trieft die Nase oder sie husten. Das ist eigentlich normal und typisch, da viele Krankheitserreger durch Aerosole übertragen werden und sich deshalb gerade unter Kindern einfach verbreiten.

Expertinnen und Experten berichten, aber dass die Zahl der Kinder mit solchen Erkrankungen der Atemwege in Deutschland aktuell stärker ansteigt als sonst zu dieser Jahreszeit. Auffallend viele Kinder würden seit einigen Wochen Atemwegsinfekte durchmachen, die eigentlich erst in den Wintermonaten zu erwarten wären. Betroffen seien vor allem unter Sechsjährige, sagte Jakob Maske, Sprecher des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte, der Deutschen Presse-Agentur.

Wegen Corona-Maßnahmen: Kinder holen Erkrankungen nach

Ein Grund dafür könnten die Corona-Maßnahmen der vergangenen Monate sein. Geschlossene Kitas, Masken, Desinfektion, Lockdown: Kinder sind in den letzten Monaten nur sehr selten mit vielen verschiedenen Menschen und damit mit Krankheitserregern in Kontakt gekommen. Dadurch konnte sich kein Immunschutz bilden. Die Infekte würden jetzt „nachgeholt“ werden, so Maske.

Nun aber treffen sich Menschen wieder häufiger. Die Viren finden wieder mehr Leute, die sie anstecken können. Und gerade Kinder sind darauf nicht so gut vorbereitet.

Lesen Sie auch: Corona bei Kindern: So gefährlich sind Virus und Long Covid

RKI: Derzeit doppelt so viele Kleinkinder wegen Atemwegserkrankungen in Kliniken

Das Robert Koch-Institut (RKI) berichtet tatsächlich von einem starken Anstieg der Krankenhaus-Einweisungen wegen Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) bei Ein- bis Vierjährigen. Eine Infektion mit diesem Virus ist für Erwachsene ungefährlich, meist bemerkt man die Erkrankung gar nicht mehr. Doch insbesondere für Frühgeborene sowie vorerkrankte Kinder kann der Infekt in den oberen Atemwegen im ersten Lebensjahr sehr bedrohlich sein.

Laut RKI wurden in den Jahren vor der Pandemie im Monat September rund 60 bis 70 Ein- bis Vierjährige pro Woche mit schweren Atemwegsinfekten in Kliniken eingewiesen, aktuell seien es doppelt so viele. Das RKI rechnet mit einem weiteren Anstieg. In einem Strategiepapier der Behörde für das Winterhalbjahr heißt es, dass mit einer „Verschiebung der saisonalen Erkrankungswellen als auch einer größeren Zahl und ggf. auch einer Zunahme schwerer Erkrankungen“ bei Kindern zu rechnen sei.

Auch interessant: Darum erkranken Kinder weniger schwer an Covid-19

Personalmangel: Versorgung von schwerkranken Kindern könnte schwierig werden

„Es gibt leider im Moment eine Zuspitzung“, sagte Maske, der in Berlin eine Kinderarztpraxis hat. „Wir haben etwas mehr kranke Kinder als sonst zu dieser Zeit und immer weniger Betten in den Kinderkrankenhäusern, weil Personal fehlt.“

Schon jetzt sorgen sich die Mediziner deshalb um die Versorgung schwerkranker Kinder im Herbst und Winter. Maske zufolge ist es schon jetzt sehr mühsam, kleine Patienten stationär unterzubringen. Hintergrund sei auch, dass zu wenige Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger ausgebildet würden.

„Die Kinderkliniken sind sehr früh zugelaufen“, sagte auch der hannoversche Kinderarzt Thomas Buck, Vorstandsmitglied der niedersächsischen Ärztekammer. Patienten von ihm hätten schon in rund 40 Kilometer entfernte Kliniken im Umland ausweichen müssen.

Lesen Sie auch: Corona: Ab wann auch Säuglinge geimpft werden könnten

Immunschutz gegen RSV fehlt Kindern – droht auch Grippewelle?

Größere RSV-Ausbrüche unter Kindern wurden bereits im Mai aus Israel und in den Sommermonaten in den USA, Australien und Japan gemeldet. Das RKI mahnte deshalb schon im Sommer an, sich auf ein ähnliches Szenario vorzubereiten. „In der Regel begegnen Kinder jedes Jahr RSV und bauen dabei einen gewissen Immunschutz auf“, erläuterten die RKI-Experten. Diese Hilfe bei der Abwehr der Erreger fehle jetzt, weil es im letzten Winter wegen der Corona-Maßnahmen fast keine RSV-Erkrankungen gab.

Dramatische Folgen könnte dies auch haben, wenn sich in den kommenden Monaten wieder ein Grippevirus verbreitet. „Wir machen uns zudem Sorgen, dass es eine Grippewelle gibt“, sagte Buck. Im letzten Pandemie-Winterhalbjahr mit vielen Hygienevorkehrungen und eingeschränkten Kontakten blieb die Grippewelle praktisch aus. Mediziner hoffen, dass die Bereitschaft zur Grippe-Impfung für die anstehende Saison nun dennoch – oder besser gerade deshalb – hoch bleibt.

(bml/ mit dpa)