Paris. Regierung und Gesundheitsbehörden schlagen Alarm, weil das Land derzeit gleichzeitig von drei Epidemien heimgesucht wird.

Der Appell, den die französische Premierministerin Elisabeth Borne am Mittwoch an ihre Mitbürger richtete, klang beinahe flehentlich: „Schützen Sie sich und schützen Sie die anderen, die Corona-Infektionen nehmen erneut bedenklich zu!“

Tatsächlich ist das Coronavirus links des Rheins wieder auf dem Vormarsch. Von einer neunten Welle sprechen die Experten, während die achte noch nicht völlig abgeebbt sei. Derzeit zirkulieren in Frankreich gleich zwei Omikron-Varianten, von der die jüngste zwar nicht gefährlicher, wohl aber ansteckender sein soll als ihre direkte Vorgängerin.

Corona-Inzidenz in Frankreich um 40 Prozent gestiegen

Innerhalb von nur einer Woche ist die Inzidenz im Nachbarland um 40 Prozent auf 496 nach oben geschnellt, täglich werden bis zu 46.000 Neuinfektionen registriert. Ebenso alarmierend ist die im gleichen Zeitraum verzeichnete, rund 10-prozentige Zunahme der Corona-Patienten. 20.000 sind es mittlerweile, von denen 1000 auf den Intensivstationen liegen.

Die Gesundheitsbehörden befürchten bereits eine Überlastung der Kliniken, wo die Lage in diesen Wochen wegen einer die übliche Grippe-Epidemie flankierende Bronchiolitis-Epidemie ohnehin „sehr angespannt“ ist.

Ungewöhnlich wenig Grippe-Impfungen

Große Sorge bereitet Regierung wie Gesundheitsbehörden die Nonchalance der Franzosen, welche der Coronavirus ganz offensichtlich nicht mehr besonders beunruhigt. Denn selbst wenn die Impfquote mit 80 Prozent auf einem hohen Stand liegt und bei den über Zwölfjährigen sogar 92 Prozent erreicht, verdüstert sich das Bild nachhaltig, wenn es um die zweite Booster-Impfung geht.

Nur knapp 10 Prozent der besonders Gefährdeten und der über 60-Jährigen, der sie empfohlen wird, haben sich bislang zum vierten Mal impfen lassen. Ähnlich sieht es übrigens bei der Grippe-Impfung aus, auf welche dieses Jahr ungewöhnlich wenige Franzosen zurückgreifen mochten.

Corona-Beschränkungen vorerst nicht vorgesehen

Trotzdem gilt, dass Einschränkungen vorerst nicht ins Auge gefasst werden. Schon die allgemeine Impfmüdigkeit, so heißt es in Regierungskreisen, sei ein deutlicher Hinweis darauf, dass Sensibilisierung vor Zwangsmaßnahmen gehen müsse.

Hinter dieser Einstellung verbirgt sich die Überzeugung, dass unsere Nachbarn erneut verhängte Einschränkungen „weder akzeptieren noch befolgen“ würden. Stattdessen setzt Paris auf Kampagnen, die zur zweiten Booster-Impfung aufrufen oder ins Gedächtnis rufen, dass der Virus noch keineswegs besiegt ist und es darum gehe, den Großeltern eine sorgenfreie Weihnacht zu bescheren.

Maske wird in Verkehrsmitteln empfohlen

Virologen, die sich „zumindest“ für eine Wiedereinführung der Maskenpflicht aussprechen, stoßen auf taube Ohren. Doch immerhin empfahl Regierungschefin Borne den Bürgern jetzt nachdrücklich, zur Maske zu greifen, „wenn Sie mit Senioren zusammenkommen oder an stark frequentierten Orten und in den öffentlichen Verkehrsmitteln“. „Vergessen Sie nicht“, so schloss sie ihren Appell an die Vernunft, „dass das Coronavirus nicht nur weiter präsent ist, sondern auch weiterhin tötet.“

Für die Medien, die in den letzten Monaten auf die Veröffentlichung der zuvor täglich erstellten Epidemie-Bilanz verzichtet haben, war das der Anlass, am Donnerstag jene Zahlen nachzuliefern, die Borne nicht nannte: Innerhalb der letzten sieben Tage sind dem Virus in Frankreich 412 Menschen zum Opfer gefallen und insgesamt hat er links des Rheins bisher 158.994 Tote gefordert.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.