Berlin. Sie ist eine Mischung aus Talkshow, Podcast und halbprivatem Chatroom: Wie die Handy-Audio-App Clubhouse die Kreativszene erobert.

Wer glaubte, dass es im Internet schon alles gibt, wird zum Jahresstart widerlegt. Eine Chat-App namens Clubhouse geht derzeit unter iPhone-Nutzern steil, und wie! Innerhalb weniger Tage hat das neue Audio-Angebot aus Kalifornien die deutsche Kreativszene erobert. Schon bald könnte das noch exklusive Clubhouse für alle öffnen – und die Welt der Podcasts und Social Networks revolutionieren.

Mitten im Lockdown mal schnell ins Clubhouse? Was für viele eher nach einem schlechten Witz klingt, ist unter den digitalen Vorreitern der erste große Hype des Jahres. Denn tatsächlich ist Clubhouse eine Smartphone-App, die – ähnlich wie eine echte Szenebar – ihre Anziehungskraft durch gezielte Verknappung verstärkt. Hier kommt nicht jeder rein, ohne Einladung läuft nichts. Und auch, wer kein iPhone hat, muss vorerst draußen bleiben.

Auch Digital-Bundesministerin Dorothee Bär zog im Clubhouse ein

Das aus der Gastronomie bewährte Konzept steigert die Neugier wie das Verlangen, Teil der Party zu sein – und scheint bei den sogenannten First Movern der Internet-Community voll aufzugehen. Clubhouse entwickelt sich in diesen Tagen zu etwas wie einer digitalen Pandemie. Gründer, Investoren, CEOs, Unternehmensberater, Politiker Medienleute oder Profisportler – der Run auf die App ist seit dem vergangenen Wochenende gigantisch.

Selbst die Bundesbeauftragte für Digitalisierung, Dorothee Bär (CSU), warf offenbar sämtliche Datenschutzbedenken über Bord und zog in das Clubhouse ein. Wie alle Nutzer wurde sie bei der Registrierung freundlich gebeten, der App eines Start-ups aus San Francisco ihre Telefonnummer mitzuteilen und Zugriff auf ihre Handy-Kontakte zu gewähren – einer der Gründe, warum sich das neue Angebot so rasant in der Republik verbreitet.

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Zur Clubhouse-Community zählen inzwischen Promis wie Moderator Joko Winterscheidt, „Höhle der Löwen“-Pate Frank Thelen, die Fußballer Mario Götze und André Schürle, "Jung von Matt"-Chef Peter Figge, oder "About You-Gründer" Tarek Müller und viele, viele mehr.

Kalifornisches Start-up wird schon mit mehr als 100 Millionen Euro bewertet

Wer der App das Versenden von Nachrichten erlaubt, erhält im Minutentakt Meldungen über Neuzugänge. Der virtuelle Treffpunkt ist eine ebenso skurrile wie logische Innovation in der Corona-Ära, indem sie in Zeiten der erzwungenen Vereinzelung und Kontaktverbote ein verlockendes Angebot schafft, neue Leute kennenzulernen und sich mit ihnen relativ barrierefrei auszutauschen.

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Alles, was es braucht, ist ein Klick in eines der Séparéés – willkommen im Club. Mit der intuitiven Nutzeroberfläche hat die App einen gigantischen Erfolg und wird schon vor dem breit angelegten internationalen „Roll-out“ mit mehr als 100 Millionen Dollar bewertet.

Das Funktionsprinzip ähnelt dem eines guten Radioprogramms: Das Clubhouse bietet sich Nutzern als Begleiter durch den Tag an. Es gibt einen „Good Morning Club“, eine „All Day Dreaming“-Gruppe oder auch die charmante Einladung zu einem „gemeinsamen Mittagsspazierung“, bei dem innerhalb kürzester Zeit 50 in ganz Deutschland verstreute Digitalexperten im Chatroom zusammenkamen.

Bei solchen Events, die für manchen wie ein Blind Date unter Kollegen anmuten, kommt es schon mal zu Überraschungen, wie bei dem Chat, an dem der FDP-Chef teilnahm. Motto: „Sag mal, war das jetzt der Christian Lindner?“ Er war es.

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Bald soll eine Android-Version folgen

Wer in die Unterhaltungen reinzappt, hört auch von sonst eher kritischen Geistern überwiegend Lob für das Angebot. Hauptgründe sind neben der intuitiven Bedienung vor allem die hochkarätigen Gäste, die dort anzutreffen sind. „Wahnsinn“, schwärmt einer, „am Sonntag habe ich einen Talk verfolgt, bei dem sich Manager von Amazon und Spotify auf Chefebene völlig zwanglos über ihr Business ausgetauscht haben.“ Viele geben an, dass sie die App nicht nur privat, sondern auch für ihren Job äußerst inspirierend und nützlich finden.

Die Chathouse-Gründer um den früheren Pinterest-Manager Pete Davison, die die App vor rund einem Jahr mit 12 Millionen Dollar Anschubfinanzierung gestartet haben, melden sich in regelmäßigen Townhall-Calls zu Wort. Dort erklären sie ihr Vorgehen und kündigen Neuerungen an.

Eine Android-App werde bald folgen und sei vor allem aus Kostengründen zunächst nicht entwickelt worden. Zugleich verweisen sie darauf, dass es auch in Zukunft keine Möglichkeiten geben werde, Text-Nachrichten zu verschicken. Clubhouse ist also Audio-Formaten vorbehalten und funktioniert ähnlich wie Snapchat: Gespräche aufzuzeichnen, verstößt gegen die Nutzer-Ettikette, sie werden auch von der App nicht gespeichert.

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Werbetreibende haben mit der App ein Problem

Kommunikation gibt es im Clubhouse zumindest im Sinne der Erfinder nur in Echtzeit, was Werbetreibende vor ein Problem stellt, aber auch alle, die auf nachles- oder nachprüfbare Aussagen Wert legen. Dies gilt zum Beispiel für Journalisten, die aus Chats zitieren, ebenso für Moderatoren von Gesprächen, die Hate Speech, falsche Behauptungen oder Beleidigungen ahnden wollen.

Die App-Entwickler haben bereits erklärt, dass sie die „Talkmaster“ mit weitreichenderen Rechten ausstatten wollen, um gegen Regelverstöße vorzugehen. Dazu soll es auch gehören, Störer auszusperren.

Anders als in Deutschland, wo sich die Nutzung der vorher nur Insidern bekannten App wie ein Flächenfeuer ausbreitet und Neugier und Begeisterung auslöst, hat in den USA bereits Ernüchterung eingesetzt. Dort gab es etwa wiederholt Beschwerden über antisemitische Äußerungen, Hasskommentare oder pornografische Inhalte. Ein Problem, das die Macher offenbar trotz aller Maßnahmen noch nicht wirklich in den Griff bekommen haben. Auch das angesagteste Clubhouse ist letztlich nur das, was die Gäste daraus machen – oder was man ihnen erlaubt.

Einladungen zur App-Nutzung werden bei Ebay für 70 Euro angeboten

Hierzulande scheint bis auf Weiteres der Suchtfaktor nach der neuen App zu überwiegen. Bei Ebay werden zum Wochenstart Einladungen ins Clubhouse für 70 Euro offeriert, teurer als in so manchem realen Szenetempel.

Für viele Nutzer anscheinend eine durchaus lohnende Investition, zumal das Angebot derzeit viele Business-to-Business-Inhalte enthält. Eine Unternehmerin sieht es so: „Nach einem Jahr Corona haben wir uns mit denen, die wir regelmäßig sehen, alles gesagt. Hier kann man auf neue Gedanken kommen.“

Die Clubhouse-Mutterfirma Alpha Exploration hat inzwischen angekündigt, dass sie die App „für alle“ anbieten wolle – nur der genaue Zeitpunkt stehe nicht fest.

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