Grays. Im Fall der 39 toten in einem Lkw-Container bei London gibt es neue Erkenntnisse. Die Route der Schlepper führte offenbar über Berlin.

Einen Monat nach dem Fund von 39 Leichen in einem Lkw-Anhänger bei London kommen immer mehr Details zu dem Fall an die Öffentlichkeit. Wie der rbb berichtet, hatten sich mehrere der Opfer zuvor in Berlin aufgehalten. Das hätte eine gemeinsame Recherche von der niederländischen Investigativ-Redaktion Argos und von rbb24 ergeben.

Demnach sei eine 19-Jährige, die zu den Opfern gehörte, nur knapp vier Wochen vor ihrem Tod in der Hauptstadt gewesen. Die Auswertung ihres Facebook-Profils habe zudem ergeben, dass sie ihre vietnamesische Heimat bereits im August verlassen hätte.

Wie der rbb weiter berichtet, hätten die Schlepper eine Route von Vietnam über China über bislang unbekannten Weg nach Berlin und von dort weiter über das belgische Zeebrugge nach Großbritannien gewählt.

Bei den Mordermittlungen zum Fund der 39 Leichen hatte die britische Polizei vor vier Wochen zuerst den Fahrer des Lastwagens und anschließend drei weitere Menschen festgenommen – einen 38 Jahre alten Mann und eine Frau gleichen Alters, später dann noch einen 48 Jahre alten Mann aus Nordirland. Ihnen würden Menschenhandel in 39 Fällen sowie Totschlag in 39 Fällen vorgeworfen, teilte die Polizei seinerzeit mit. Gegen den Lkw-Fahrer war wegen Mordverdacht Haftbefehl erlassen worden.

Die Opfer – 31 Männer und acht Frauen, darunter auch Minderjährige – waren obduziert worden. Zunächst hatte es geheißen, sie stammen aus China. Später stellte sich heraus, dass es sich bei den Toten um Vietnamesen handelte.

Ermittlungen nach Leichen-Fund in Großbritannien

weitere Videos

    Die Leichen waren Ende Oktober gefunden worden. Ein Ambulanzfahrer hatte die Polizei zu einem Gewerbegebiet in Grays gerufen, einer Stadt rund 30 Kilometer von London entfernt. Dort, im Waterglade Industrial Park, stand der rote Lkw mit bulgarischen Kennzeichen. Der Ort liegt an der Themse und in der Nähe von Fährverbindungen.

    „Wir glauben, dass der Lastwagen aus Bulgarien kommt“, teilte ein Polizeisprecher seinerzeit mit. Das Fahrzeug sei mit der Fähre über den Hafen Holyhead in Wales nach Großbritannien gekommen.

    Großbritannien: Leichen in Lkw-Container gefunden – Das Wichtigste in Kürze:

    • In England sind 39 Tote in einem Lkw-Container gefunden worden
    • Vermutlich handelt es sich um Flüchtlinge, die ins Land eingeschleust wurden
    • Der 25-jährige Fahrer, ein 48-jähriger Mann sowie eine Frau und ein weiterer Mann (beide 38) wurden festgenommen
    • In Nordirland, dem Heimatland des Lkw-Fahrers, gab es Durchsuchungen
    • In einem weiteren Transporter fand die Polizei wohl neun Migranten, die noch lebten

    Nur wenige Stunden nach dem grausigen Fund entdeckte die britische Polizei in der Nähe von London einen weiteren Lkw. In dem gekühlten Transporter befanden sich laut Sky News neun Migranten – alle am Leben, wie die Polizei mitteilte.

    Merkel spricht Angehörigen Beileid aus

    Premierminister Boris Johnson schrieb auf Twitter, er sei „entsetzt“. Innenministerin Priti Patel teilte mit: „Ich bin geschockt und traurig über diesen äußerst tragischen Vorfall in Grays.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich tief erschüttert. „Unsere Entschlossenheit muss sich gegen diejenigen richten, die solche Transporte organisieren und durchführen“, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert.

    Der Lkw war in einem Industriepark abgestellt.
    Der Lkw war in einem Industriepark abgestellt. © dpa | Stefan Rousseau

    In dem aktuellen Fall deutet vieles auf Schlepperkriminalität hin. Zahlreiche Flüchtlinge versuchen seit Jahren, heimlich nach Großbritannien zu kommen. Oft verstecken sie sich dabei in Lkw.

    Immer wieder gibt es spektakuläre Fälle von Menschenschmuggel mit dem Ziel Europa. Im Februar 2017 waren 69 Migranten in Libyen vier Tage lang in einem Container eingepfercht. 13 von ihnen kamen ums Leben, unter ihnen ein 13 Jahre altes Mädchen und ein 14-jähriger Junge.

    Im Juni 2000 wurde ein Lastwagen im Fährhafen Dover gestellt, der über das belgische Zeebrugge eingereist war. Im Frachtraum fand die Polizei die Leichen von 58 chinesischen Immigranten. Der niederländische Fahrer des Fahrzeugs wurde im darauffolgenden Jahr wegen Totschlag zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt.

    Für internationales Aufsehen sorgte eine Entdeckung im August 2015 in Österreich. 71 tote Flüchtlinge, darunter vier Kinder, wurden in einem Kühllaster aus Ungarn 50 Kilometer südlich von Wien gefunden.

    Im Juni 2017 wurde dem Schlepper der Prozess gemacht. Er war offenbar nicht nur für diese Taten verantwortlich: Nach dem Fund von Leichen im Lkw in Österreich hatte die Schlepperbande wohl noch weitere Flüchtlinge durch Europa geschleust.

    Sprunghaft gestiegen ist die Zahl der Migranten, die versuchen, in Schiffen oder kleinen Booten über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu gelangen.

    • Im Jahr 2018 haben dem Innenministerium zufolge 539 Menschen probiert, die Meeresenge illegal zu überqueren.
    • Von November bis Sommer dieses Jahres waren es schon mehr als 1000.

    Ein Mann hatte sogar versucht, den Ärmelkanal mit Taucherflossen zu durchschwimmen.

    (wit/jkali/dpa)