Berlin. Spanien gewann den ESC 1968 und 1969 gleich zwei Mal in Folge – und seither nie wieder. Kann Chanel das mit ihrer Tanznummer ändern?

  • 2022 wird die Sängerin Chanel Spanien beim Eurovision Song Contest vertreten
  • Anfangs eher ein Underdog, gehört sie inzwischen zu den Favoriten
  • Auf der Bühne überzeugt sie mit ihrer Stimme und einer besonderen Choreo

Spanien hält gleich zwei besondere Eurovision Song Contest-Titel inne: 1968 und 1969 war das Land im Süden Europas das erste, das den Gesangswettbewerb gleich zwei Mal in Folge gewann. Doch weil es seither nie wieder den Sieg holte, ist Spanien heute eine Art Verlierer – nämlich das Land, das seit dem ersten Platz vor über 50 Jahren am längsten auf einen weiteren Sieg warten muss. Kann die spanische ESC-Kandidatin Chanel die Wartezeit 2022 mit ihrer schnellen Tanznummer beenden?

Am 14. Mai wird die kubanisch-spanische Sängerin Chanel für Spanien beim Finale des ESC im italienischen Turin auftreten. Spanien gehört mit Italien, Deutschland, Frankreich und Großbritannien zu den "Big Five", den wichtigsten Geldgebern des Wettbewerbs, und qualifiziert sich somit jedes Jahr automatisch für das Finale. Eine Fachjury hatte Chanel zuvor beim spanischen Benidorm-Festival als offizielle Kandidatin für Spanien ausgewählt.

Mit der rhythmischen Latin-Pop-Nummer "SloMo" bringt die 30-jährige Künstlerin zweifellos einen der schnelleren Songs in den etwas folklastigen Musikwettbewerb. Chanel singt darin zumeist auf Spanisch über den Körper einer Frau und wie diese mit ihrem Hinterteil beim Tanzen die Zuschauenden hypnotisiert. Passend dazu liefert Chanel eine ausgeprägte Choreografie, bei der sie in einem engen Kostüm mit ihren Tänzern und Tänzerinnen über die Bühne wirbelt.

ESC-Kandidatin für Spanien: Chanel hat Musicalerfahrung

Doch wer ist Chanel? Chanel Terrero Martínez wurde am 28. Juli 1991 in der kubanischen Stadt Havanna geboren und zog mit drei nach Katalonien, wo der spanische Teil ihrer Familie ursprünglich herkommt. Schon in ihrer frühen Jugend besuchte Chanel Ballett-, Gesangs- und Schauspielunterricht, später performte sie in Madrid in mehreren Musicals, unter anderem Mamma Mia! und Tarzan. Auch in Fernseh- und Filmproduktionen hatte Chanel mehrere Rollen und Auftritte.

Der ESC-Titel "SloMo" ist Chanels erste Single – dabei war der Song ursprünglich eigentlich einer anderen Sängerin gewidmet, wie einer der Produzenten verriet: Einer niederländischen Zeitung erklärte Songwriter Arjen Thonen, er habe beim Schreiben des Liedes an Jennifer Lopez gedacht. Die habe sich allerdings nie auf die Anfrage zurückgemeldet.

Zum Glück verwandelt Chanel die tanzbare Latin-Pop-Nummer mit Reggaeton-Einflüssen ebenfalls in eine unterhaltsame Bühnenshow. Das dürfte weniger an den Tanzmoves und dem optisch entertainenden Bühnenpersonal liegen als an dem etwas austauschbaren Beach-Bar-Song selbst.

Spanien beim ESC: Niemand ist seiner Landessprache so treu

Als Spanien den ESC 1968 und 1969 zwei Mal in Folge gewann, sorgte die Ausrichtung der Show in Madrid Kontroversen und Proteste. Der Hintergrund: Spanien stand zu dem Zeitpunkt noch unter der faschistischen Diktatur Francisco Francos. Österreich sagte seine Teilnahme damals ab.

Obwohl Spanien den ESC nie wieder gewann, ist es bis auf eine Ausnahme zumindest seiner Sprache treu. Bis auf den Beitrag 2016 sangen alle spanischen Acts ihre Lieder ganz oder zumindest größtenteils auf Spanisch. Barei, die 2016 als erste spanische Interpretin komplett auf Englisch sang, musste sich für diese Entscheidung der Kritik der spanischen Kunstszene stellen.

Insgesamt blickt Spanien auf eine wilde Auf- und Abfahrt der musikalischen Erfolge beim ESC zurück: Nach den Siegen Ende der 60er-Jahre schafften es die spanischen Acts noch mehrere Male ganz nah an den Pokal – unter anderem 1995 und 1979, wo sie jeweils den zweiten Platz holten. Seit 2014 durchläuft das Land aber eine musikalische Dürrezeit und erreichte bei der Endplatzierung nicht mehr die Top Ten. Unklar, ob Chanel das ESC-Publikum mit ihrem nischigen Sound überzeugen kann.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de