Berlin. Es ist in aller Munde und bewegt von Links bis Rechts die Gemüter: Gendern. Lesen Sie hier, was sich hinter dem Begriff verbirgt.

Der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß findet: Gendern sollte in Deutschland nur, wer am Abendbrottisch sitzt. In staatlichen Einrichtungen hingegen habe "ideologisch motivierte Gendersprache" nichts verloren, sagte er dem "Spiegel".

Ob Genderstern, ob Gender-Gap: Solche Sprache sei "grammatisch falsch" und stehe für das Trennende, den Trend, Menschen immer stärker in Kollektive einzuordnen, anstatt das Gemeinsame hervorzuheben. Viele Menschen verstünden nicht mehr, was gemeint sei oder würden sich über die "Wortungetüme" ärgern, sagte Ploß unserer Redaktion dazu.

Der Konservative Ploß steht mit dieser Ansicht keineswegs alleine da. Auf der linken Seite findet zum Beispiel Sahra Wagenknecht, dass sich ihre Partei mit einer Fokussierung auf "Gendersternchen und Lifestyle-Fragen" von der Kernwählerschaft entferne, sagte sie der "Süddeutschen Zeitung".

Die Umfragen scheinen beiden Recht zu geben: "Die Mehrheit der Deutschen lehnt gendergerechte Sprache ab", meldete die Deutsche Presse-Agentur am Pfingstwochenende. 65 Prozent der Befragten hielten "nichts von einer stärkeren Berücksichtigung unterschiedlicher Geschlechter in der Sprache".

Egal ob Frauen oder Anhänger der Linken: Die Mehrheit ist gegen geschlechtergerechte Sprache, so scheint es. Also sein lassen, das Gendern?

Gendern: Worum geht es überhaupt?

Gendern beschreibt den Gebrauch geschlechtergerechter Formulierungen in Wort und Schrift. Die Idee dahinter: Das generische Maskulinum, das im Deutschen aus einem Arzt auch eine Ärztin machen soll, tut eben genau das nicht. Um sichtbar zu machen, dass keineswegs nur Männer Ärzte sind (und werden können oder dürfen), werden sprachliche Markierungen verwendet, die dies zum Ausdruck bringen.

So werden aus 99 Ärzten und einer Ärztin nicht mehr 100 Ärzte – sondern zum Beispiel 100 Ärzt*innen. Weibliche Ärzte sind dann nicht mehr einfach "mitgemeint", sondern sie werden sichtbar, gleichberechtigt in der Sprache mit ihren männlichen Kollegen.

Die Idee lässt sich noch weiterdenken, wenn man akzeptiert, dass das binäre Geschlechtersystem ein Konstrukt ist, das Geschlechtsidentitäten jenseits von Mann und Frau außenvor lässt. Manche Menschen identifizieren sich etwa als non-binär, fühlen sich also weder dem einen, noch dem anderen Geschlecht zugehörig: Unlängst erklärte sich etwa US-Star Demi Lovato zu einer non-binären Person.

In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht am 10. Oktober 2017 entschieden, das Grundgesetz schützt nicht nur Männer und Frauen, "sondern auch Menschen, die sich diesen beiden Kategorien nicht zuordnen".

Diese Menschen sind aber sprachlich ebenso aufgefordert, sich mitgemeint zu fühlen, wenn von 100 Ärzten die Rede ist. Sprachliche Markierungen wie das Gendersternchen sollen an dieser Stelle ausdrücken, dass unter den 100 Ärzt*innen neben Männern nicht nur Frauen sind, sein können und dürfen – sondern eben auch non-binäre Menschen.

Sie alle sind dann nicht nur "mitgemeint", sondern mit erwähnt. Beabsichtigt ist also nicht eine Trennung, wie CDU-Politiker Ploß sie empfindet, sondern sprachlicher Einschluss.

Gendern: Was sagt das Grundgesetz?

Menschen mitzudenken, sie einzuschließen, ist zentraler Bestandteil von geschlechtergerechter Sprache. Sie vermeidet es, Menschen zu ignorieren, sie auszuklammern, anzuzeigen: "Ihr" gehört nicht zu "uns".

Sprachliches Ausklammern wird von den Betroffenen oftmals als diskriminierend empfunden – und ein Blick ins Grundgesetz scheint diesen Menschen Recht zu geben: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", sagt Artikel 3, Absatz 1, "Niemand darf wegen seines Geschlechtes […] benachteiligt oder bevorzugt werden", legt Absatz 3 fest.

Das Bundesverfassungsgericht wies im letzten Jahr zwar die Beschwerde einer Frauenrechtlerin zurück, die ihre Bank dazu zwingen wollte, sie in Formularen als "Kontoinhaberin" anzusprechen (und nicht mehr generisch maskulin als "Kontoinhaber"). Das Gericht entschied aber nicht Inhaltlich über die Verfassungsbeschwerde, sonder lehnte die Klage wegen Mängeln in der Begründung ab.

Gendern: Sprache wandelt sich

Wie die gesamte deutsche Sprache ist auch das generische Maskulinum ist eine sprachliche Entwicklung, die Verwendung ist tradiert. Und diese Entwicklung findet laufend statt. Worte wie "googlen" hatten etwa vor noch gar nicht allzu langer Zeit überhaupt keine Bedeutung – heute stehen sie im Duden, zusammen mit "Influencer" und "transgender".

Das Argument, geschlechtergerechte Sprache sei "grammatisch falsch" und deswegen abzulehnen gilt im hier und jetzt, wo der Rat der Rechtschreibung als zwischenstaatliche Instanz festlegt, wie korrektes Deutsch geht. Es sagt aber nichts darüber aus, welche Veränderungen Sprache nehmen kann.

Dem trägt der Duden, gewissermaßen oberste Sprach- und Sprechinstanz in Deutschland, in seiner aktuellen Ausgabe Rechnung. Drei Seiten Hinweise zu geschlechtergerechter Sprache haben es in das gelbe Buch geschafft. Darunter dieser: "Bei Bezeichnungen wie die Antragsteller […] ist sprachlich nicht eindeutig, ob nur auf Männer referiert wird oder ob auch andere Personen gemeint sind."

Das Deutsche biete aber "eine Fülle an Möglichkeiten, geschlechtergerecht zu formulieren". Zwar fehle eine Norm, aber: "Es ist zu beobachten, dass sich die Variante mit Genderstern in der Schreibpraxis immer mehr durchsetzt."

Gendern: Geschlechtergerecht mit Stern

Der Duden hat Recht, es gibt keine Norm für geschlechtergerechte Sprache, lediglich verschiedene Möglichkeiten, die unterschiedliche Vor- und Nachteile haben. Die verbreitetste Variante ist die mit Genderstern, also etwa Bäcker*innen. Der Stern drückt dabei die Geschlechtervielfalt aus, er ist eine Art Platzhalter.

Der Stern findet sich manchmal auch am Ende eines Wortes, etwa bei Männer* und soll dann Transpersonen einschließen. Diese Formulierung ist umstritten, impliziert sie doch, dass Transmänner keine Männer sind (sonst bräuchte es den Stern ja nicht). Hengameh Yaghoobifarah diskutiert das Problem ausführlich in einer Kolumne beim feministischen "Missy Magazin". In dem Text erklärt Yaghoobifarah auch, warum geschlechtergerechte Sprache aus Sicht einer non-binären Person so wichtig ist.

Gendergap: Raum für die Geschlechter

An anderer Stelle lässt sich der Gendergap lesen, orthografisch sieht der so aus: Ärtz_in. Der Gap soll allen Geschlechtern in der Schriftsprache Raum geben, sich wiederzufinden und wird wegen dieser grundsätzlichen Offenheit manchmal bevorzugt, etwa vom Bezirksamt Tempelhof-Schönefeld, das auf eine Kultur gegenseitigen Respekts und gegenseitiger Wertschätzung wert legen möchte, wie es selbst die Schreibweise erläutert.

Gender-Doppelpunkt: Umstritten

Eine dritte einigermaßen verbreitete Schreibweise ist der Gender-Doppelpunkt, etwa bei Kindergärtner:in. Die Grundsätze sind dieselben, allerdings gibt es auch hier Kritik. Der Doppelpunkt kann Menschen, die Deutsch lernen, irritieren, denn er signalisiert: Hier kommt etwas Wichtiges. Bemängelt wird auch, dass Vorleseprogramme für Menschen mit Sehbehinderung den Doppelpunkt zwar nicht mitlesen, sondern eine Pause machen – die aber zu lang ist und nicht so flüssig klingt, wie andere Genderzeichen.

Gendern: Geschlechtergerechtes Sprechen

Soll Geschlechtergerechtigkeit nicht nur schriftlich zum Ausdruck kommen, dann steht im Deutschen der sogenannte Glottisschlag zur Verfügung. Der ist keine neue Erfindung, sondern Teil der Sprache – zu hören etwa immer dann, wenn ein Mensch davon spricht, ins “Theater” zu gehen oder ankündigt, sich ein “Spiegelei” zu braten. Im Endeffekt handelt es sich um eine kurze aber deutlich hörbare Pause zwischen Maschinist und in, oder Schüler und in. Zuletzt machten Klaus Kleber und Nicole Diekmann in Beiträgen für das ZDF wegen ihres gesprochenem Glottisschlag auf sich aufmerksam.

Gendern: Kommt jetzt die Sprachpolizei?

Diekmann hat denn auch unlängst erklärt, ob es einen Zwang gibt, geschlechtergerecht zu sprechen? “Das ist Quatsch”, twitterte sie. “Alles kann, nichts muss.”

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In anderen Worten: Die Eingangs gestellte Frage, ob man es denn lassen soll, mit dem Gendern, stellt sich so nicht – diese Entscheidung ist frei, ob beim Sprechen und Schreiben nur Männer, nur Frauen, Männer und Frauen oder eben alle Menschen angesprochen sind. Nur die Kritik an der individuellen Entscheidung gilt es dann auszuhalten.