Berlin. Die Länderchefs wollen erst am 4. Januar über neue Corona-Maßnahmen entscheiden. Führende Wissenschaftler fordern drastische Schritte.

  • Seit November ist Deutschland wieder im Corona-Lockdown, wenn auch nur teilweise
  • Das könnte sich jedoch bald ändern: Die Corona-Zahlen liegen unverändert auf einem hohen Niveau, auch wenn sie nicht mehr so exponentiell steigen
  • Forscher der Leopoldina fordern einen härteren Lockdown, um die Corona-Zahlen zu senken
  • Bundeskanzlerin Angela Merkel befürwortet verschärfte Maßnahmen – aus der Wirtschaft kommt hingegen Protest

Es klingt dramatisch: In einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme der Leopoldina, die unter anderem vom Virologen Christian Drosten, RKI-Chef Lothar Wieler, dem Ifo-Präsidenten Clemens Fuest und der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, mitunterzeichnet wurde, wird ein harter Lockdown in zwei Schritten gefordert.

„Die aktuelle Entwicklung der Coronavirus-Pandemie gibt Anlass zu großer Sorge“, heißt es in dem siebenseitigen Papier. Die bereits ernste Situation drohe „sich weiter zu verschärfen“: „In den letzten sieben Tagen starben mehr Menschen mit dem Coronavirus als 2019 im Straßenverkehr.“ Krankenhäuser und insbesondere das medizinische Personal seien schon jetzt „an der Grenze des Leistbaren“: „Für eine Dauerbelastung auf diesem Niveau sind das Gesundheitssystem und auch die großen Kliniken nicht eingerichtet.“

Härterer Lockdown: Schulpflicht aufheben und Geschäfte schließen?

Aus diesem Grund mahnen die Forscher einen verschärften Zwei-Stufen-Plan an. Im ersten Schritt sollen ab dem 14. Dezember folgende Regeln gelten:

  • die Schulpflicht soll schon ab diesem Zeitpunkt bis zum Beginn der Ferien aufgehoben werden
  • alle sportlichen und kulturellen Gruppenaktivitäten sollen eingestellt werden
  • Arbeitgeber sollen, wo immer möglich, Homeoffice ermöglichen
  • die Kontakte im beruflichen wie privaten Kontext sollen auf „das absolut notwendige Mindestmaß“ reduziert werden
  • Ab dem 24. Dezember bis mindestens 10. Januar sollen folgende Auflagen gelten:
  • harter Lockdown mit Schließung aller Geschäfte bis auf diejenigen des täglichen Bedarfs
  • eine Verlängerung der Weihnachtsferien in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen bis zum 10. Januar
  • ein Verzicht auf Urlaubsreisen und größere Zusammenkünfte
  • eine weitere Reduzierung aller sozialen Kontakte außerhalb des Haushalts auf ein Minimum

Zu letzterem Punkt formulieren die Forscher Verhaltensregeln: Während der gesamten Feiertage einschließlich Silvester sollen Kontakte nur in einem sehr engen, auf wenige Personen begrenzten Familien- oder Freundeskreis stattfinden, der über den gesamten Zeitraum unverändert bleibt.

Antigen-Schnelltests alleine seien „keine hinreichende Absicherung für die Feiertage“, wird gewarnt. Gemeinsame Aktivitäten wie laute Gespräche oder Gesang sollen möglichst ins Freie verlagert werden. Wer Menschen aus Risikogruppen trifft, soll zuvor zehn Tage lang in Quarantäne gehen. Selbst bei leichten Erkältungssymptomen sollen Betroffene mindestens fünf Tage auf jeden Kontakt verzichten.

Lesen Sie auch: Warum wir zu Silvester harte Kontaktbeschränkungen brauchen

Harter Lockdown auch aus wirtschaftlicher Sicht „vernünftig“

Gefordert wird in dem Papier auch ein bundesweit einheitliches System, welche Regeln ab einer bestimmten Zahl von Infektionsfällen gelten sollen. Bei der Frage nach der Effizienz eines harten Lockdowns verweisen die Wissenschaftler auf Irland. Als erste in Europa hatte die dortige Regierung bereits am 21. Oktober einen zweiten strikten Lockdown für sechs Wochen verhängt. Dazu gehörten die Schließung der meisten Geschäfte und ein Verbot von Familien- und Freundestreffen (außer mit einem weiteren Haushalt im Freien). Mit Erfolg: Die Zahl der täglich bestätigten Covid-19-Fälle sank drastisch.

Ein harter Lockdown sei auch aus wirtschaftlicher Sicht vernünftig, argumentieren die Wissenschaftler in ihrem Statement: „Zwar erhöhen sich durch einen strengeren Lockdown kurzfristig die Wertschöpfungsverluste, aber zugleich verkürzt sich der Zeitraum, bis die Neuinfektionen so weit gesunken sind, dass Lockerungen möglich werden.“ Ohne verschärfte Regeln bestehe die Gefahr, dass der aktuelle Teil-Lockdown noch „für Monate“ aufrechterhalten werden müsse. Dies wäre nicht nur eine starke Belastung für die Wirtschaft, sondern auch die öffentlichen Haushalte. Lesen Sie auch:Namhafte Corona-Berater: Was ist eigentlich die Leopoldina?

Wirtschaft ist gegen verschärfte Maßnahmen

Aus der Wirtschaft gab es umgehenden Protest. Der Handelsverband warnte eindringlich vor einer neuerlichen Schließung der Läden. „Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ist neben der Woche vor Heiligabend die umsatzstärkste Zeit des Weihnachtsgeschäfts“, sagt der HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Bereits jetzt sei der Teil-Lockdown für einige Händler existenzgefährdend.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Leopoldina sind besorgt über die hohen Corona-Zahlen und fordern deshalb drastische Verschärfungen des Lockdowns.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Leopoldina sind besorgt über die hohen Corona-Zahlen und fordern deshalb drastische Verschärfungen des Lockdowns. © dpa | Peter Endig

„In der Corona-Krise droht das vernünftige Maß verloren zu gehen, wenn es einen Überbietungswettbewerb der Maßnahmen gibt“, sagt auch Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-nahen Wirtschaftsrats: „Besorgniserregend ist der noch immer nicht überall funktionierende Schutz von Alteneinrichtungen, wo die Sterbezahlen wieder erschreckend ansteigen. Aber was soll hier etwa ein erneutes Schließen der Schulen oder des Einzelhandels bewirken?“

Corona-Maßnahmen: Kanzlerin Merkel mit Leopoldina auf einer Linie

Bei Bundeskanzlerin Angela Merkel dürfte der Appell der Leopoldina hingegen offene Türen einrennen: Bereits am Montag hatte sie in einer internen Fraktionssitzung der Union gewarnt, die existierenden Maßnahmen reichten nicht aus.

Sachsen will bereits ab Montag einen harten Lockdown verhängen. Bis auf Geschäfte für den lebensnotwendigen Bedarf soll bis zum 10. Januar alles schließen, auch Schulen und Kindergärten.

FDP-Generalsekretär Volker Wis­sing warf der Bundesregierung unterdessen kommunikatives Versagen in der Krise vor: „Die aktuell diskutierten Maßnahmen mögen erforderlich sein, aber die Kommunikation der Bundesregierung hat viel Verwirrung und Verunsicherung geschaffen“, sagte er unserer Redaktion: „Eine einstimmige Kommunikation erfolgt nicht.“ Während der Finanzminister mit seiner Aufforderung an Konzertveranstalter, wieder Konzerte zu planen, eine Normalisierung signalisiere, warne Angela Merkel vor einer Zuspitzung der Pandemie. Wissing weiter: „Wenn die Vorgaben für ein regelkonformes Weihnachtsfest in der Adventszeit mehrfach geändert werden, können selbst verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürgern nur noch schwer nachvollziehen, welches Verhalten jetzt genau von ihnen erwartet wird.“