Berlin. In Großbritannien berichten Ex-Kandidaten der Kuppelshow „Love Island“ über mentale Probleme, zwei von ihnen begingen sogar Suizid.

Aleks aus Mülheim ist der Neue auf „Love Island“. Seinen Job als Maschinenbauingenieur hat er vorsorglich hingeschmissen. Er will seiner „inneren Stimme folgen“, und die lockte ihn in jene Kuppel-Show, die dem Sender RTL 2 gerade wieder täglich satte Quoten bis zu 900.000 Zuschauern beschert. Die Mehrheit davon ist jung und weiblich, eine begehrte Zielgruppe.

Der muskelstarke 28-Jährige wird es wissen: So eine Reality-TV-Show kann ein Sprungbrett sein. Wie wäre es mit einer Karriere als Instagram-Star, Fitness-Model oder Dauer-Kandidat in Flirt-Formaten?

Denn Kuppel-Shows sind derzeit die Wunderwaffe der Privatsender. „Hotel Paradise“ heißen sie oder „Temptation Island“. Namen und Konzepte ähneln sich. Bei „Love Island“ dürfen junge Menschen, die ihr Aussehen keine Sekunde dem Zufall überlassen, wochenlang in einer Villa auf Mallorca rumlümmeln. Erwartet wird von ihnen lediglich, dass sie nie viel mehr als Badesachen tragen, mal an idiotischen Spielchen teilnehmen – und miteinander anbändeln.

„Love Island“ wird Psychoterror: Suizide schockten Großbritannien

Erfunden wurde das Format in Großbritannien. Die fünfte Staffel fuhr dort gerade Rekordquoten von bis zu sechs Millionen Zuschauern ein. Doch für manche Teilnehmer wurde das Paradies zur Hölle: Denn mehrere Ex-Kandidaten früherer Staffeln berichteten, dass ihren Wochen voller Sonne, Sex und Sangria ernsthafte psychische Probleme folgten.

Auslöser für die Reihe an Offenbarungen war der Suizid zweier ehemaliger Teilnehmer. Im Frühjahr hatte sich Mike Thalassitis, ein 26-jähriger Berufsfußballer, das Leben genommen, ein Jahr davor Marketingfachfrau Sophie Gradon (32). Gradon hatte zuvor darüber geklagt, wie sehr ihr Hasskommentare im Internet zu schaffen machten: „Sie kommentieren, wie du aussiehst, wie du sprichst. Sie bilden sich eine Meinung über dich, nachdem sie dich 45 Minuten in einer Fernsehsendung gesehen haben.“

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Ex-Kandidat fühlte sich erniedrigt

Schon der Dreh selbst kann Stress bedeuten: Alex Miller (29), von Beruf Glaser, erzählt von dem Moment, in dem er als „der Neue“ auf der „Liebesinsel“ ankam und sämtliche Mitbewohnerinnen bei dem Begrüßungsritual Desinteresse signalisierten. „Ich fühlte mich elend und beschämt und wusste, dass Millionen Zuschauer Zeuge dieser Erniedrigung werden.“

Die folgenden Wochen wären die härtesten seines Lebens gewesen. Nachdem er aus der Sendung gewählt wurde, habe er an einer Depression gelitten und an Suizid gedacht, erst recht, nachdem Boulevardmagazine in seiner Vergangenheit herumgekramt hatten.

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Das „verflixte zweite Jahr“

Visagistin Malin Anderson (23) wiederum warnte vor dem „verflixten zweiten Jahr“. „Dann kühlt der Rummel ab, du fühlst dich verloren und brauchst Hilfe.“ Sie selbst habe de Leere mit Alkohol zu bekämpfen versucht. Lästerliche Internet-Kommentare hätten bei ihr eine Angststörung ausgelöst.

Sie forderte von dem Sender ITV eine längere Nachbetreuung – also für eine Zeit, wenn die Aufmerksamkeit längst bei den Kandidaten der aktuellen Staffel liegt und die alten für den Sender nicht mehr von Nutzen sind.

Schließlich nahm die Medienaufsichtsbehörde Ofcom die Sendung ins Visier. „Unsere Alarmglocken läuten“, erklärte eine Sprecherin. Die Wächter kritisierten unter anderem den Einsatz von Lügendetektoren bei „Wahrheitsspielen“, durch die die Kandidaten öffentlich als Schwindler diffamiert werden können. ITV-Chefin Angela Jain reagierte. „Wir nehmen das alles ernst. Wir sind keine Arschlöcher.“

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Sie sicherte zu, Bewerber von nun an sorgfältig von senderunabhängigen Psychologen untersuchen zu lassen. Nach seinem Ausscheiden werde jeder Kandidat zu wenigstens acht Therapiestunden verpflichtet, die psychologische Nachbetreuung soll mindestens 14 Monate dauern.

Langfristige psychologische Betreuung

Auch RTL 2 hat inzwischen einen Maßnahmen-Katalog entwickelt. „Die Islander werden darauf vorbereitet, was sie während und nach der Teilnahme an der Show erwartet. Ihnen steht ein Expertenteam zur Seite“, so ein Sendersprecher. „Ein Psychologe ist über den gesamten Zeitraum der Dreharbeiten bis hin zur langfristigen Nachsorge für die Teilnehmer da.“ Die Kandidaten würden zudem im Umgang mit sozialen Medien geschult und hinsichtlich ihres künftigen Managements beraten.

Doch Kuppelshows können nicht nur für Teilnehmer zur psychischen Belastung werden, sondern auch für Zuschauer, wie eine britische Yougov-Umfrage ergab: 24 Prozent der Unter-24-Jährigen gaben an, sich angesichts der schlanken Frauen und muskulösen Männer auf dem Bildschirm Sorgen über ihr eigenes Erscheinungsbild machen.

„Wir zeigen eine hyperreale Welt“, sagt der Sender dazu. „Wir sagen nicht, dass die Welt so aussieht oder so aussehen sollte.“

Ein Dating-Show-Dauerbrenner ist auch die Bachelorette: Die Staffel 2019 brachte vor allem wenige Highlights, aber ganz viel Elend. Trotz der ausgeprägten Freude an Kuppelshows haben junge Menschen immer weniger Lust auf Sex – warum bei der Generation Porno so wenig geht.

„Love Island“ läuft täglich auf RTL 2 und online auf tvnow.de.

Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.