Berlin. Warten, Schlange stehen, in der Telefon-Hotline hängen: Das nimmt Überhand, findet unsere Autorin. Dabei kann Warten auch schön sein.

Ich bin fast verzweifelt. Seit einer Woche habe ich eine neue Nebenbeschäftigung. Unfreiwillig habe ich sehr viel mit der Lufthansa zu tun – und dieses „zu tun“ spielt sich meist nur in Telefon-Hotlines ab, ich höre dann stundenlang mäßig produzierte Dudel-Musik und hoffe darauf, einen echten Menschen sprechen zu dürfen. Oder in – und ich übertreibe nicht – hunderte Meter langen Warteschlangen am Flughafen. Alles begann recht harmlos: Mein Flug wurde annulliert, weil der Winter in Süddeutschland ausgebrochen ist. So die Entschuldigung der Dame am Schalter. Ehrlich, der Winter?

Als ob es zum ersten Mal in München geschneit hätte? Ein Ereignis, auf das man sich Dank Wettervorhersagen personell und technisch einstellen kann, oder? Nun, gut, sei es drum. Der Winter, also.

Lufthansa, Deutsche Bahn, Impftermin, Supermarkt – überall müssen wir warten

Und auch wenn ich jetzt klage, es geht mir nicht um eine Schelte der Lufthansa. Es geht mir um das Warten. Das wir mit Beginn der Pandemie gelernt haben – und welches ich immer schlechter ertrage. Warten auf einen Impfstoff, Impftermin, Arzttermine, warten auf ein Zeitfenster im Schwimmbad, im Museum, vor dem Test-Zentrum und warten mit dem Einkaufswagen vor dem Supermarkt. Dieses Warten wird mehr und bleibt – auch wenn die Pandemie vorbei scheint. Wer gut organisiert, informiert und technisch versiert ist, kann manche Schlange abkürzen. Aber das generelle und spontane Schlangestehen – und zwar nicht mal eben fünf, zehn oder 20 Minuten – es nimmt Überhand. Es ist zu leere Zeit.

München: Eine Maschine der Lufthansa steht am Flughafen in München während ein Schneepflug daran vorbeifährt. Am 14. Dezember konnten wegen gefrierendem Regen und Glättegefahr zahlreiche Flugzeuge nicht starten und landen.
München: Eine Maschine der Lufthansa steht am Flughafen in München während ein Schneepflug daran vorbeifährt. Am 14. Dezember konnten wegen gefrierendem Regen und Glättegefahr zahlreiche Flugzeuge nicht starten und landen. © dpa | Felix Hörhager

Jetzt sagen vielleicht einige von Ihnen, Frau Zinkler ist ungeduldig. Sie muss lernen, Muße zu üben. Die Zeit des Wartens nutzen. Das mache ich gern, aber ich möchte die Zeit des Wartens selbst wählen können. Warten auf Leistungen, die ich bezahle, buche oder die mir als Kunde zustehen, finde ich unerträglich. Und ich habe die Vermutung, dass es mir damit nicht allein so geht.

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Eine Freundin versuchte, einen Arzttermin für ihre Mutter telefonisch zu vereinbaren. Nach Stunden stieg sie auf ihr Fahrrad und fuhr zur Praxis. Eine Mitarbeiterin schmiss den Betrieb allein, für das Telefon hatte sie kaum Zeit. Vielleicht ist der Notstand in der Pflege hier ein ungerechtes Beispiel. Aber die Symptome sind gleich. Eine andere Bekannte stellte sich zu später Stunde in die Schlange des Bordbistros eines ICE. Um 23.40 Uhr verkündete der Mitarbeiter der Deutschen Bahn, dass er jetzt schließe. Etwa 60 Kunden drehten sich um und mussten ohne Getränk und Essen auf ihre Plätze zurückkehren. Dabei hatten sie schon mehrere Stunden auf diesen Zug gewartet – und waren ausgelaugt. Um kurz nach zwei Uhr erreichten die meisten von ihnen schließlich Hamburg.

Ist das die Kehrseite der Digitalisierung? Wenn die Technik nicht funktioniert und es Mitarbeiter braucht, die aber eingespart wurden?

Unverfassbar: In Deutschland bleiben Menschen in der Schlange ruhig und geduldig

Der Mensch fühlt sich in solchen Situationen nur noch als Teil einer Masse. Nicht berücksichtigt, nicht wichtig. Doch wissen Sie, was noch verrückter ist? Selten wird es in einer solchen Situation in Deutschland laut oder respektlos. Höchstens, wenn sich ein anderer vordrängelt, dann wird er darauf hingewiesen, dass das nicht korrekt ist. Mehr Aufstand ist nicht.

Die Menschen stehen dann zusammen – und helfen einander. Ein Mann schenkte mir in einer solchen Situation einmal Nüsse aus Mallorca, die er seinen Enkeln versprochen hatte. Aber wir hatten nichts zu essen nach einem Zug-Chaos-Tag – deshalb nahm ich sie für meine Kinder an.

Hilfe: Ab Platz 73 in der Telefon-Hotline ging nichts mehr

Stunden verbrachte ich in den vergangenen Tagen in Hotlines der Lufthansa. Begann einmal auf Position 152, hörte von einer elektronischen Stimme, wie ich nach 83 Minuten auf Platz 73 vorgerückt bin, um dann zu bemerken, dass nichts mehr geht – niemand mehr reagiert, nicht einmal der Roboter. Ich war raus und wartete umsonst. Am Abend als ich sah, dass mein Flug annulliert worden ist, standen Hunderte Schlange vor einem Lufthansa-Stand im Sicherheitsbereich, um zu erfahren, wann sie weiterreisen könnten, wo sie übernachten sollen und wie sie dahin kommen.

Eine Mitarbeiterin des Bodenpersonals ging an der Schlange vorbei und fragte die Wartenden: „Ich weiß gar nicht, was sie sich hier versprechen? Wir können keine Flüge mehr umbuchen, buchen Sie sich ein Zimmer über eine Hotel-App.“ Über so wenig Einfühlungsvermögen und so wenig Hilfe war ich verblüfft. Und bin noch immer schockiert.

Die Kolumne von Diana Zinkler behandelt regelmäßig Themen, die Deutschland und die Gesellschaft beschäftigen.
Die Kolumne von Diana Zinkler behandelt regelmäßig Themen, die Deutschland und die Gesellschaft beschäftigen. © ZRB | ZRB

So ging es dann weiter. Am nächsten Tag folgte erneutes Warten in der Schlange zum Check-in, zur Sicherheitskontrolle, auf das neue, verspätete Flugzeug. Nachher wartete ich auf mein Gepäck – und was soll ich sagen, bis zum heutigen Tag, sechs Tage nach Abflug, ist es verschwunden. Versuche über Chats, Hotlines oder richtige Mitarbeiter der Fluggesellschaft mein Problem zu lösen, sind bisher vergeblich. Und ich bin gesund, ich kann auch mit der nur englischsprechenden Mitarbeiterin kommunizieren, ich kann Apps und Chats bedienen, und bin trotzdem keinen Schritt weiter.

Gerade in den Tagen vor Weihnachten und Silvester erleben wir die schöne Seite des Wartens. Schon der Advent beschreibt die Zeit vor der Ankunft von Jesus Christus. Die Kinder warten auf „den Weihnachtsmann“, wir erleben Vorfreude auf das Zusammensein an den Feiertagen und auf die große Party ins neue Jahr. Warten auf Position 73 meint das nicht.

Aber vielleicht passiert mit meinem Gepäck noch ein Weihnachtswunder. Denn da sind ein paar Geschenke drin.

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