Berlin. Müller-Westernhagen rebelliert gegen den Jugendwahn. Im Interview erzählt der Musiker, warum er Stars wie Madonna lächerlich findet.

Marius Müller-Westernhagen hat eine Reise in die Vergangenheit angetreten. In dem Buch-Porträt von Friedrich Dönhoff , das seinen Namen als Titel trägt, erzählt der legendäre deutsche Rockstar von den Schlüsselerfahrungen seines Lebens. Im Interview spricht „MMW“ (74) über den Jugendwahn, ein mögliches Karriereende und über das Ankleben der Klimaaktivisten.

Will sich nicht wiederholen: Marius Müller-Westernhagen,
Will sich nicht wiederholen: Marius Müller-Westernhagen, © picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Wie fühlt es sich eigentlich an, in seine eigene Biographie einzutauchen und sein Leben Revue passieren zu lassen?

Marius Müller-Westernhagen: Sich mit sich selbst zu befassen und über sich selbst zu sprechen, ist nicht immer einfach. Ich sehe meine Karriere aus einer ganz anderen Sicht als die Leute von außen. Noch schwieriger ist es, Fragen zu seiner Vergangenheit zu beantworten, denn ich bin kein Mensch, der in der Vergangenheit lebt, und überhaupt nicht nostalgisch veranlagt.

Für das Buch-Porträt haben Sie das ja dann doch getan. Gibt es Beispiele für wichtige Erkenntnisse, die Sie dabei über sich gewonnen haben?

Ich wollte nie irgendwo stehen bleiben. Ich sehe das bei Leuten, die diese Art von Popularität erreicht haben und dann auf dem Höhepunkt ihres Erfolges immer wieder das Gleiche zu reproduzieren versuchten. Mein Motiv war auch nicht, berühmt und reich zu werden. Wenn man so eine Karriere erlebt und zwischenzeitlich eine ungewöhnliche Popularität erlebt, dann muss man sich im Klaren sein, dass dieser Zustand nicht der ganzen Realität entspricht, denn irgendwann geht die Zeit über dich hinweg. Das ist so normal, wie der Tod zum Leben gehört. Und dass alles endlich ist, das musste ich schon früh begreifen. Mein Vater starb ja, als ich 14 war.

Sie sind jetzt 74 Jahre. Sehen Sie schon das Ende Ihrer Bühnenkarriere gekommen?

Ich will nicht mehr auf der Bühne stehen, wenn die Leute nur noch wegen der Erinnerung an früher kommen. Da machst du dich dann zum Clown. Aber vor ein paar Jahren habe ich Barbara Streisand gesehen, das hatte so viel Würde. Lächerlich finde ich es dagegen, wenn etwa eine Madonna so tut, als könne sie noch mit den 20-Jährigen mithalten. Das kann man natürlich nicht, denn man muss bei sich bleiben und ehrlich sein. Als Musiker wie auch als Schauspieler brauchst du jederzeit Zugriff auf deine Gefühle und musst alles authentisch empfinden – immer wieder. Das tut weh und ist anstrengend. Lesen Sie auch: Madonna und ihr Erbe - Welche Männer sie zum Teufel jagt

„Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ – damit kam MMW groß heraus.
„Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ – damit kam MMW groß heraus. © picture alliance / United Archives/Impress | United Archives/Impress

Gibt es das noch in der Musikwelt?

Leider ist das heute bei vielen Kollegen nicht mehr gang und gäbe, die machen einfach nur Show und liefern rein handwerkliche Arbeit ab. Das ist mir neulich bei den MTV Music Awards aufgefallen. Da gab es viel Inhaltsloses und mir fehlte die Energie der Künstler, die auf der Bühne standen, zum Publikum hin. Eigentlich haben die nur für die Kameras gespielt. Aber hinterher behaupteten alle, dass sie jeden im Publikum lieben.

Wie ist es bei Ihnen? Lieben Sie Ihr Publikum?

Natürlich. Man empfindet sehr viel Liebe, wenn man da steht. Aber am Schluss gehst du von der Bühne und nach einer halben Stunde bist du wieder auf dich selbst zurückgeworfen. Denn nur so lässt sich leben. Du kannst kein Leben führen wie diese Figur auf der Bühne, und das macht dich auch nicht glücklich.

Auch als Schauspieler erfolgreich: Marius Müller-Westernhagen (Mitte) in “Theo gegen den Rest der Welt“ (1980), mit Claudia Demarmels und  Guido Gagliardi.
Auch als Schauspieler erfolgreich: Marius Müller-Westernhagen (Mitte) in “Theo gegen den Rest der Welt“ (1980), mit Claudia Demarmels und Guido Gagliardi. © picture alliance / United Archives/IFTN | United Archives/IFTN

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum viele heutige Kollegen nicht mehr zu dieser Authentizität fähig sind?

Ein Wort: Geld. Das kannst du ihnen auch nicht vorwerfen, das Thema kommt stark von außen und wirkt auf Künstler ein. Wir sind noch in einem anderen Bewusstsein groß geworden. Wir hatten klare Widerstände. Das begann mit unseren Eltern, die sich wehrten, über die Vergangenheit zu reden. Also wollten wir nur nicht so werden wie sie. Überall sind wir gegen die Wände gerannt und nur durch diese Reibung ist unsere Republik zu der geworden, die sie ist. So war unsere Generation liberaler als die unserer Kinder. Die bekamen ihre Vorbilder aus dem Fernsehen geliefert und deren Motto war: erfolgreich sein. Darüber hat sich alles definiert. Dabei hat die Jugend eigentlich die Verpflichtung, rebellisch zu sein, nachzufragen und mit ihrer wunderbaren Naivität auch über Grenzen zu gehen. Jetzt kommt aber wieder eine Generation, die gegen den Klimawandel protestiert und etwas gesellschaftlich verändern will. Auf die kann man wieder bauen.

Sie sind ja auch ein ausgewiesener Kunstliebhaber. Was halten Sie eigentlich von den extremen Methoden der Rebellion, wie sie momentan zum Einsatz kommen?

Ich sehe keinen Sinn darin, die Künste zu schädigen. Wenn wir eine revolutionäre Situation hätten, wo Menschen unmittelbar bedroht wären, könnte ich das noch eher nachvollziehen. Es wäre nicht mein Weg, aber ich könnte das zumindest verstehen. Doch diese Ankleberei begreife ich nicht.

Lesen Sie dazu: Letzte Generation - Alle Infos zu Mitgliedern, Strafen und Finanzen

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de