Berlin. . Omikron könnte Deutschland hart treffen, warnen Experten. Es drohten Millionen Corona-Infizierte. Wie kann das Land sich vorbereiten?

  • Die zuerst in Südafrika entdeckte Omikron-Variante des Coronavirus hat inzwischen auch Deutschland erreicht
  • Dort könnte der mutierte Erreger zur Gefahr werden, warnen verschiedene Expertinnen und Experten wie der Virologin Sandra Ciesek
  • Sie prognostizieren eine katastrophale Entwicklung – und stellen klare Forderungen

Was die Vergangenheit angeht, benutzen Historiker gerne das Sprichwort: "Geschichte wiederholt sich". Nach den neuesten Einschätzungen zur Omikron-Variante muss man traurigerweise ableiten: "Pandemie wiederholt sich."

Die Corona-Experten Sandra Ciesek, Dirk Brockmann und Christoph Neumann-Haefelin sehen Deutschland in einer sehr ähnlichen Situation, wie in der ersten Corona-Welle. In einem Pressegespräch betonten alle drei: Es braucht dringend Notfallpläne aus der Politik. Denn Omikron sei nicht aufzuhalten. Gegenteiliges halte er für "ausgeschlossen", so Brockmann, Leiter der Projektgruppe Epidemiologische Modellierung von Infektionskrankheiten am Robert Koch-Institut (RKI), "auch wenn ich mich gerne irren würde".

Omikron-Variante: "Das wird noch einmal 30 bis 40 Millionen infizieren"

Ausgehend von Studien zur Ausbreitung der neuen Corona-Variante in Großbritannien, müsse bei Omikron mit einer Verdoppelung der Fallzahlen in Deutschland alle zwei bis drei Tage gerechnet werden – trotz Maßnahmen wie der Maskenpflicht. "Das wird noch einmal 30 bis 40 Millionen Menschen infizieren", sagte Brockmann. "Es wäre eher ein Wunder, wenn das nicht so kommt."

Aus Sicht des Modellierungsexperten sind die Parallelen zur ersten Welle offensichtlich. Ein hoch ansteckendes Virus treffe auf eine Bevölkerung mit wenig bis gar keinem Schutz. Virologin Ciesek bestätigte bisherige Untersuchungen zum Impfschutz gegen Omikron: Ein halbes Jahr nach der zweiten Dosis sei kaum noch Schutz vor einer Infektion vorhanden. Die Booster-Impfung hebe diesen Schutz je nach Impfstoff wieder auf 58 bis 78 Prozent an.

"Die Booster-Impfung früher zu geben als sechs Monate ist daher sehr sinnvoll", sagte Neumann-Haefelin, Leiter der Arbeitsgruppe Translationale Virusimmunologie am Universitätsklinikum Freiburg. Die vier Wochen Abstand, wie sie jüngst von den Gesundheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen gegen die Kritik vieler Ärzte ausgerufen wurde, "fühlen sich hingegen sehr früh an".

Booster-Impfungen: Comeback des Corona-Impfstoffmangels

Zumal bei einer zu weit vorgezogenen Booster-Impfung ein weiteres Problem auftritt. "Dafür ist gar nicht genug Impfstoff da", so Ciesek. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte nach einer Impfstoff-Inventur in dieser Woche feststellen müssen: "Wir haben einen Impfstoffmangel für das erste Quartal."

Nach bisherigen Erkenntnissen hatte Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn bei Biontech und Moderna zu wenig Impfstoff bestellt. Die Union wies die Vorwürfe aus dem Gesundheitsministerium in Person von Sepp Müller, Vizefraktionsvorsitzender von CDU und CSU im Bundestag zurück.

Lauterbach versprach nun zügig daran zu arbeiten, diesen Fehler zu beheben. Dazu kommt, dass speziell auf Omikron angepasste Impfstoffe erst in drei bis vier Monaten zur Verfügung stehen könnten.

Booster-Impfungen: Kommt erneut eine Priorisierung?

Es ist Winter, Omikron steht vor der Tür und der rettende Impfstoff ist nicht da. Eine Situation, die tatsächlich stark an die erste Welle erinnert. Also alles auf Anfang? "Vielleicht sollte man wieder priorisieren", sagte Ciesek im Gespräch mit den Journalistinnen und Journalisten in Bezug auf die Booster-Impfungen.

Gerade das Personal in Krankenhäusern oder der Pflege könne bald ungeschützt der Omikron-Variante gegenüber stehen. Dieser Personenkreis sei schließlich zu einem Großteil bereits rund um den September geboostert worden, so Ciesek. Heißt: Der Drei-Monate-Schutz der wichtigsten Pandemie-Bekämpfer steht kurz davor zu verschwinden und muss wieder aufgefrischt werden.

Doch konträr zu dieser Entwicklung haben die Gesundheitsminister der Länder beschlossen, die Testpflicht für Geboosterte abzuschaffen. Aus Sicht von Ciesek ein Bärendienst: "Im Moment habe ich das Gefühl, dass vermittelt wird: Lassen Sie sich boostern und dann ist die Welt wieder in Ordnung. Das ist aber nicht so."

Virologin Sandra Ciesek fordert, über die Wiedereinführung der Impf-Priorisierung nachzudenken.
Virologin Sandra Ciesek fordert, über die Wiedereinführung der Impf-Priorisierung nachzudenken. © dpa | Kay Nietfeld

Corona-Experten: Es braucht dringend Notfallpläne

Auch Brockmann wurde mit Blick auf die nächsten Wochen deutlich. Wenn Omikron das Krankenhauspersonal weiträumig treffe, "können Dinge passieren, die wir noch gar nicht auf dem Schirm haben."

Die drei Corona-Experten appellierten in aller Dringlichkeit an die Politik, so schnell wie möglich Notfall-Pläne zu entwerfen. Es müssten nun alle Möglichkeiten genutzt werden, Omikron zu bremsen, sagte Ciesek. Doch bisher habe Sie nicht das Gefühl, dass das in Deutschland passiere. Die Virologin nannte das Vorgehen der dänischen Behörden als lobendes Beispiel.

Rund zwei Monate nach Ausrufen des "Freedom Days" hat die dänische Regierung die Corona-Maßnahmen seit Mitte November wieder deutlich verschärft. Die Inzidenz in Dänemark lag in den vergangenen Tagen rund doppelt so hoch wie in Deutschland.

Hierzulande müsse die Politik bei der weiteren Planung von einem Worst-Case-Szenario ausgehen, appellierten Neumann-Haefelin und Brockmann – und zwar schnell. "Wir haben wenig Spielraum zu experimentieren", sagte Neumann-Haefelin. Auch über die anstehenden Weihnachtsfeiertage müsse die Handlungsfähigkeit gegeben sein. Bedeutet das einen Lockdown?

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wollte das zuletzt nicht ausschließen. Er warnte davor "roten Linien" bei der Pandemie-Bekämpfung zu ziehen, die dann nicht mehr überschritten werden. Die Debatte um zu harte oder zu lasche Maßnahmen – kennt man auch aus der ersten Welle.

Omikron in Deutschland: "Hoffnung ist nicht die Karte, auf die man setzen sollte"

"Ja natürlich man muss über alles nachdenken", sagte Brockmann. "Hoffnung ist nicht die Karte, auf die man setzen sollte." Entscheidungen, die auf den schlimmsten Annahmen beruhen, würden vielleicht über das Ziel hinausschießen, aber eben das Schlimmste verhindern. Nun komme es vor allem auf Schnelligkeit und Weitsicht an. Politiker müssten vorausschauend agieren und nicht reagieren, um endlich vor die Welle zu kommen, so Brockmann.

"Ich habe aber nicht das Gefühl, dass das in Deutschland gerade so angegangen wird", dämpfte Ciesek die Erwartungen an die nahe Zukunft. Die Virologin rief wohl auch deshalb Bürgerinnen und Bürger mit Nachdruck dazu auf, selbstständig so viele Kontakte wie möglich zu reduzieren.

Auch diese Appelle für ein Weihnachtsfest im kleinen Kreis, kennt man aus dem vergangenen Jahr. Pandemie wiederholt sich.