Arnsberg. Arbeitsminister, Vizekanzler, SPD-Parteivorsitzender, Generalsekretär: Franz Müntefering wird 80 Jahre alt. Er setzt sich weiter ein.

Manchmal mischt er sich noch ein, wenn er gefragt wird. Neulich etwa, als ganz Deutschland mal wieder über das angeblich bevorstehende Ende der großen Koalition diskutierte. „Wir können unserer Verantwortung für die Menschen nicht durch die Flucht in die Opposition entkommen“, sagte Franz Müntefering. Typisch: kurz, prägnant, auf den Punkt.

Fragen von Journalisten kontert er noch immer gerne mit dem Satz: „Das ist doch Unsinn.“ Heute wird der ehemalige SPD-Vorsitzende und Vizekanzler 80 Jahre alt.

Franz Müntefering wird 80: „Ich mache fröhlich weiter“

Der Bundestag wird ihn bei einem Empfang ein bisschen feiern, aber eigentlich mag Müntefering kein großes Brimborium. „Mir geht es gut“, sagte er gestern, als wir ihn telefonisch auf dem Hauptbahnhof in Hannover erreichen. Auf dem Weg zu Markus Lanz. „80 ist ein schönes Alter. Ich mache fröhlich weiter.“

Geboren am 16. Januar 1940 in Neheim-Hüsten, die Eltern waren Bauern. Acht Jahre Volksschule, kaufmännische Lehre, dann Industriekaufmann. Der Kampf gegen Widerstände prägte von Anfang an seine politische Karriere: Die Christdemokraten dominierten das Sauerland früher noch mehr als heute.

„Müntes“ berühmtester Satz: „Opposition ist Mist“

Müntefering absolvierte die Ochsentour: Stadtrat in Sundern, Mitglied des Bundestags, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen, Verkehrsminister im Bund unter Gerhard Schröder, dann Arbeitsminister und Vizekanzler in der großen Koalition.

Die Vorsitzenden der SPD seit 1946

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952.
Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963.
Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987.
Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987. © BM | imago/ Sven Simon
Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt.
Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt. © imago stock&people | imago stock&people
Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück.
Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück. © imago/Rainer Unkel | imago stock&people
Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch.
Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch. © imago/photothek | Thomas Imo
Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995.
Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995. © imago stock&people | imago stock&people
Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging.
Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging. © BM | imago/ Jürgen Eis
Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004.
Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004. © imago stock&people | imago stock&people
Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur.
Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur. © BM | imago/ Rainer Unkel
Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück.
Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück. © BM | imago/ Michael Schöne
Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte.
Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte. © imago stock&people | imago stock&people
Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze.
Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze. © BM | imago/ Rainer Unkel
Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an.
Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an. © imago stock&people | imago stock&people
Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt.
Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt. © imago/ZUMA Press | Emmanuele Contini
Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen.
Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen. © dpa | Bernd von Jutrczenka
Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch.
Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch. © Adam Berry/Getty Images | Adam Berry
Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021.
Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze.
Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze. © dpa
Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die
Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die "Alte Tante SPD". © Privat | Privat
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In der Zwischenzeit prägte er Sätze wie „Opposition ist Mist“ und „Das ist das schönste Amt neben Papst – Vorsitzender der SPD zu sein.“ Das sehen viele Sozialdemokraten heutzutage offensichtlich anders. „Münte“ ebnete Schröder den Weg ins Kanzleramt und prägte die in der SPD umstrittene Agenda 2010 maßgeblich.

Dreyer- SPD will Hartz IV hinter sich lassen

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    Im November 2007 trat er zurück, um seine krebskranke zweite Ehefrau Ankepetra bis zu ihrem Tod zu pflegen. 2009 heiratete er die 40 Jahre jüngere Michelle, heute Staatsministerin im Auswärtigen Amt.

    Michelle Müntefering (SPD) ist Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Sie und Franz Müntefering heirateten 2009.
    Michelle Müntefering (SPD) ist Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Sie und Franz Müntefering heirateten 2009. © dpa | Michael Kappeler

    Der Mann, der den Deutschen die Rente mit 67 beschert hat, sitzt zwar seit sieben Jahren nicht mehr im Bundestag, der Schaukelstuhl im Wohnzimmer ist aber noch immer nicht sein bevorzugtes Möbelstück.

    Müntefering, der heute in Herne wohnt, engagiert sich als Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes, als Chef der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen und als Experte für die Themen Sterbebegleitung, alternde Gesellschaft und Ehrenamt. Das Buch, das er letztes Jahr veröffentlichte, trägt den Titel „Unterwegs“. Und nicht: „Am Ziel.“

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    Er freut sich, dass Menschlichkeit vielerorts schon gut funktioniert, etwa in der Sterbebegleitung. Und bei der Integration. Sie abzulehnen, „sei purer Egoismus“, wird er wieder ein bisschen politisch. Dagegen müsse man sich wehren.

    Er wohnt in Herne – ist aber „Sauerländer durch und durch“

    „Franz Müntefering ist Sauerländer durch und durch“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese, Nachfolger im sauerländischen Wahlkreis. „Er hat immer das große Ganze im Blick. Auch heute noch. Auch nach seinem Rückzug aus der aktiven Politik engagiert er sich für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Das verdient Respekt und Anerkennung.“