„The Voice of Germany“ wie DSDS? Show überzeugt nicht
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Von Johanna Ewald
Berlin. Mark Forster schreit Alice Merton an und Sido sagt, was er denkt: Der Ton der Coaches bei „The Voice of Germany“ ist aktuell ein rauer.
Es ist die inzwischen neunte Staffel der Castingshow „The Voice of Germany“. In den vergangenen Jahren konnte sich die Sendung vor allem deshalb von seinem RTL-Konkurrenten „Deutschland sucht den Superstar“ abgrenzen, nicht nur weil die Show auf ein deutlich anderes Konzept setzt. Auch die Sänger hatten, so scheint es, oftmals die besseren Stimmen. Und irgendwie einfach mehr drauf.
Und während bei DSDS eher die Show und Dieter Bohlen und zuletzt auch Pietro Lombardi im Mittelpunkt standen, legte „The Voice“ den Fokus auf die musikalische Entwicklung seiner Kandidaten – und die Coaches gingen, anders als Bohlen, stets sehr respektvoll mit ihren um. Daher konnte den Fernsehzuschauer am Sonntagabend ein merkwürdiges Gefühl beschleichen.
Zwar war es erst die zweite Folge der neunten Staffel „The Voice of Germany“, doch schon jetzt denkt man, der Produktion gingen die Kandidaten aus. Mit einigen schwachen bis wenig wohlklingenden Stimmen begeistert die TV-Show bislang eher nicht. Immerhin: Es gibt zwei Ausnahmen namens Tyrone und Niklas.
„The Voice“: Coaches mit Lobeshymnen
Während sich der eine Eminem als Vorbild nahm und dabei die Halle zum Beben und zur Begeisterung brachte, lieferte der andere mit einem Stück von James Bay ganz viel Gefühl ab. Sogar Sido schmolz dahin. Dabei hatte das mit seinem eigentlichen Metier, der Rap-Musik, nichts zu tun. Sein Kompliment wäre bei Tyrone Frank deshalb nicht überraschend gekommen.
Sehen Sie sich hier die Coaches der neunten Staffel in der Fotostrecke an:
Das sind die Coaches der neunten Staffel
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Mit „Mockingbird“ faszinierte eben jener Tyrone Frank nicht nur die vier Coaches, sondern auch das Publikum. Die Rap-Parts sind im Flow, der Akzent nahezu perfekt, die Gesangsparts laut Mark Forster sogar besser als bei Eminem höchstpersönlich. Dem 22-Jährigen mit dem „Gangster-mäßigsten Job ever“ – er arbeitet als Verwaltungsfachangestellter in Ausbildung – gelingt mit seinem Auftritt völlig zurecht ein Vierer-Buzzer.
„The Voice of Germany“ – so lief die zweite Folge:
Am Sonntagabend lief die zweite Ausgabe von „The Voice of Germany“
Wirklich überzeugen konnten viele Kandidaten nicht – es gab nur zwei Ausnahmen
Ein wenig erinnert das Format jetzt an DSDS – ob sich das noch ändert?
Während Mark Forster ihn zur Neutralität überreden und davon abbringen will, zum einzigen rappenden Coach (Sido) zu gehen, überzeugt Alice Merton ihn, dass es eigentlich nur einen Coach für ihn geben kann: ebendiesen. Damit schießt die Sängerin nicht nur sich, sondern auch Rea Garvey und Mark Forster ins Aus.
„Halt die Schnauze“, kommt es da vom Schmuse-Pop-Sänger Mark. Schade, wenn Argumentation auf diesem Level betrieben wird. Letztendlich kann auch das nicht verhindern, dass sich Tyrone für den Deutsch-Rapper entscheidet.
„The Voice of Germany“: Alice Merton wirkt schwer verliebt
Den zweiten Höhepunkt der Show markiert der Auftritt von Niklas Schregel. Mit James Bays „Scars“ liefert er genau das, was man bei vielen anderen Kandidaten vermisst: Gefühl und eine gewisse Authentizität, verbunden mit einer eigenen Interpretation. „Ich glaube, dich hat der Himmel geschickt“, kommentiert Sido und wirkt dabei sichtlich erleichtert. Er sei ein klasse Typ, das perfekte Paket.
Das scheint sich auch Alice Merton zu denken, die „bestimmt auch wegen deiner Stimme“ Herzklopfen hat, aber sonst vor allen Dingen schwer verliebt aussieht. „Du hast das Zeug, The Voice of Germany zu werden“, sagt die 26-Jährige und spricht damit aus, was sich wohl die meisten nach diesem Auftritt denken. Doch Niklas Entscheidung fällt weder für Alice noch für Sido, er schließt sich dem „Team Rea“ an.
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Ansonsten ist die Folge vor allen Dingen enttäuschend. Da ist der junge Mann, der früher mal aufgrund seines Übergewichts gemobbt wurde und jetzt deutlich erschlankt mit „Herz über Kopf“ auf der Bühne steht.
BVB-Überfan Jo Marie, die von ihrem „Traummann“ Schmelle die Nachricht überbracht bekommt, dass sie bei den „Blind Auditions“ auftreten darf – und natürlich ganz aus dem Häuschen ist. Und die 39-jährige Anika, die nicht nur Hausfrau und Mutter ist, sondern gemeinsam mit ihrem Mann auch noch ihr Haus saniert.
Diese Geschichten erinnern an andere Casting-Formate, von denen sich „The Voice“ eigentlich immer wohltuend abgrenzen konnte. Auch Sidos nicht immer freundliche Kommentare passen nicht so richtig ins Bild.
„The Voice“ – Das sind die Kandidaten vom Sonntag:
Niklas Schregel mit „Scars“
Niklas Cremerius mit „Hello“
Ina Freund mit „Church Bells“
Frederic Dorra „Für immer ab jetzt“
Laura Artmann „New Rules“
Christian „Keule“ Haas mit „Killing in the Name“
Anika Loffhagen mit „Shallow“
Dario Denegri „There’s Nothing Holding me Back“
Jo Marie Dominiak „Bonnie & Clyde“
Alexander Borges „Herz über Kopf“
Tyrone Frank mit „Mockingbird“
Noemi Treude mit „Reckoning Song“
Kuschelzeiten bei „The Voice of Germany“ sind vorbei
War man es sonst eher gewohnt, dass die Coaches sehr respektvoll mit den Kandidaten umgingen, gibt es jetzt einen, der direkt sagt, was er denkt. So auch bei der 28-jährigen Laura Artmann, die Sido, nachdem sich niemand für sie umgedreht hat, fragt, ob sie denn wisse, woran es lag.
„Ehrlich gesagt nicht“, antwortet diese – zu seiner Erschütterung. Sie habe sehr schief gesungen, erklärt er seine Entscheidung. Und setzt mit dem Kommentar „Ich finde es ja noch schlimmer, dass du es nicht mal bemerkt hast“, noch einen obendrauf.
Ebenso kritisiert er die ehemalige „Popstars“-Teilnehmerin Ina Freund, die, wenn sie spricht, klingt, als habe sie einen Heißluftballon Helium eingeatmet. Sie rede zu schnell, zu viel und überhaupt, sei sie viel zu anstrengend. Das sagt der Rapper, obwohl er für sie gebuzzert hat, und scheint damit das Talent vielmehr ab- als anwerben zu wollen. Als die 27-Jägrige sich dennoch entschließt, in sein Team zu kommen, scheint Sido sich am liebsten wieder umdrehen zu wollen. Zu spät.
„Es wird niemand lächerlich gemacht“, hatte Mark Forster vor Beginn der Staffel im Interview mit unserer Redaktion gesagt. Man kann nur hoffen, dass diese Grenze nicht doch noch überschritten wird.
Ob „The Voice of Germany“ mit dieser Sendung die Rekord-Quote der ersten Ausstrahlung halten kann, ist fraglich. Doch eins ist klar: Die Kuschelzeiten bei „The Voice of Germany“ sind vorbei. Stattdessen ist jetzt klare Kante angesagt.