Berlin. Die WHO will schädlichem Alkoholkonsum vorbeugen – und nimmt Frauen in die Verantwortung. Das ist in mehrfacher Hinsicht problematisch.

  • Laut der WHO sollten Frauen "im gebärfähigen Alter" keinen Alkohol trinken
  • Diese Formulierung sorgt für scharfe Kritik
  • Denn: Die WHO scheint davon auszugehen, dass alle Frauen auf diesem Planeten einen Kinderwunsch haben
  • Und das ist nicht das einzige Problem

Alkohol ist ein Zellgift, das dem Körper schadet. Kaum ein anderes Rauschmittel verursacht weltweit so viel gesundheitliches Leid und ist dabei gesellschaftlich so akzeptiert, wie Bier, Wein und Schnaps. Drei Millionen Menschen sterben jährlich an übermäßigem Alkoholkonsum und dessen Folgen, schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Die WHO möchte daher weltweit den gesundheitsschädlichen Konsum von Alkohol senken und hat dazu einen Aktionsplan aufgesetzt. In dessen erstem Entwurf skizziert die Organisation verschiedene Handlungsfelder, auf denen die Mitgliedsstaaten der WHO aktiv werden sollen, damit ihre Bürgerinnen und Bürger weniger Alkohol trinken und gesünder leben. Ein ehrenvolles Ziel – doch an dem Entwurf wird derzeit massiv Kritik laut.

Denn die Verantwortlichen in der Weltgesundheitsorganisation haben in den Formulierungen des Plans eine Gruppe von Menschen besonders hervorgehoben, die gezielt vom Alkoholkonsum abgehalten werden soll: Frauen im gebärfähigen Alter.

WHO: Kein Alkohol für Frauen

Wörtlich heißt es im WHO-Dokument: "Angemessene Aufmerksamkeit sollte der Verhinderung des Beginns des Alkoholkonsums bei Kindern und Jugendlichen sowie der Verhinderung des Alkoholkonsums bei schwangeren Frauen und Frauen im gebärfähigen Alter gewidmet werden." Das schließt, grob gesagt, alle Frauen auf der Welt im Alter von ungefähr 15 bis 49 Jahren ein.

Auf den ersten Blick erscheint das logisch – wer ein Kind bekommen möchte, sollte gesund sein und bleiben, zum Wohle des Kindes. Weil Alkohol die Gesundheit von Mutter und Kind beeinträchtigen kann, sollte auf Alkohol verzichtet werden. Also: (Werdende) Mütter sollten nicht trinken.

Auf einen zweiten Blick aber ist die Forderung, Frauen im gebährfähigen Alter sollten nach Möglichkeit gar nicht mehr trinken (oder zumindest über Aufklärungskampagnen dazu angehalten werden) aus mindestens zwei Gründen problematisch.

Fortpflanzung und Alkohol: Nicht nur Frauen verantwortlich

Zum einen geht die WHO offenbar davon aus, dass alle Frauen auf diesem Planeten einen Kinderwunsch haben. Dass dem nicht so ist, zeigt eine Statistik aus dem Jahr 2016. Demnach wollen rund 10 Prozent der Frauen in Deutschland keine Kinder – unter den Männern waren es nur fünf Prozent.

Frauen im gebärfähigen Alter sollten nach Vorstellung der WHO keinen Alkohol trinken
Frauen im gebärfähigen Alter sollten nach Vorstellung der WHO keinen Alkohol trinken © istockphoto | martin-dm

Mit der Unterstellung, alle 15 bis 49-Jährigen wünschten sich Kinder, reduziert die WHO aber Frauen auf wenig mehr als Gefäße für – nicht-empfangenes und damit sehr theoretisches – Leben. "Es ist extrem verstörend, dass die Weltgesundheitsorganisation schwer erkämpfte Frauenrechte aufs Spiel setzt in dem Versuch, ihre Körper und ihre Entscheidungen zu kontrollieren", kritisierte entsprechend Clare Murphy, Vorsitzende des British Pregnancy Advisory Service (BPAS), den WHO-Entwurf.

"Die Fiktion von Frauen, die davon abgehalten werden müssen, Föten zu gefährden – selbst solche, die es nicht gibt – wird weltweit benutzt, um Frauen zu überwachen und während der Schwangerschaft zu kriminalisieren", erklärte Murphy weiter. Die BPAS fordere die WHO daher dringend auf, das Dokument zu überarbeiten.

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    Alkohol und Leben: Männer spielen auch eine Rolle

    Andererseits ignoriert die WHO mit der Formulierung, Frauen im gebärfähigen Alter sollten vom Alkoholkonsum abgehalten werden, die Rolle und die Verantwortung von Männern bei der Erzeugung von Leben. Es ist mitnichten so, dass lediglich Alkohol-trinkende Frauen ihren ungezeugten Nachwuchs gefährden. So kam eine Studie aus Dänemark zu dem Ergebnis, dass die Zeugungsfähigkeit von Männern abnehmen kann, wenn sie mehr als fünf Bier pro Woche trinken.

    Für die Untersuchung befragte Tina Kold Jensen von der Universität von Süddanemark rund 1200 wehrpflichtige Männer im Alter von 18 bis 28 Jahren. Jensen und ihre Kolleginnen und Kollegen fanden dabei auch heraus, dass übermäßiger Alkolkonsum die Qualtität von Spermien in der Woche nach dem Konsumereignis reduzieren kann.

    In anderen Worten: Wenn Männer sich betrinken, kann darunter ihre Fähigkeit leiden, Leben zu zeugen. Die Verantwortung für den Erhalt der Fähigkeit zur Fortpflanzung, die die WHO Frauen in ihrem Plan-Entwurf zuschiebt, tragen Männer in diesem Sinne aber mindestens genauso sehr.

    Gesundheit von Föten: Männer in der Verantwortung

    Und das gilt auch für die Gesundheit von ungeborenem Leben. Eine chinesische Meta-Studie aus dem Jahr 2019 kam zu dem Schluss, dass Alkoholkonsum vor der Empfängnis die Gesundheit von Kindern beeinträchtigen kann. Bei Paaren, die Alkohol tranken, war das Risiko für angeborene Herzerkrankungen um 44 Prozent höher als bei solchen Paaren, die keinen Alkohol tranken – wenn der Vater in den drei Monaten vor der Zeugung Alkohol getrunken hatte.

    Für die Untersuchung werteten die Forschenden um Jiabi Quin von der Universität in Changsa 55 Studien aus und erhielten so Daten von 41.747 Babys mit angeborenen Herzkrankheiten und 297.587 gesunden Säuglingen. Zwar erbringe die Studie keinen Nachweis eines kausalen Zusammenhangs, lege aber nahe: Männer sollten mindestens sechs Monate vor der Zeugung keinen Alkohol trinken, schreibt dazu die "Ärztezeitung".

    WHO-Aktionsplan: Messen mit zweierlei Maß

    Die WHO hat mit der Formulierung aus ihrem Entwurf für den Aktionsplan also durchaus daneben gegriffen. Zwar kann Alkoholkonsum in der Schwangerschaft die Gesundheit der Kinder gefährden und die Fähigkeit zur Familienplanung beeinflussen – etwa wenn nach dem Konsum nicht oder falsch verhütet wird. Der Wunsch der Weltgesundheitsorganisation nach weltweiter Verbreitung von Wissen über diese Gefahren ist daher verständlich und richtig.

    Dennoch muss sich die WHO aktuell mindestens die Frage gefallen lassen, ob mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn Frauen die Verantwortung für die Gesundheit von – ungezeugtem – Leben zugeschoben wird. Wenn Frauen allein dafür verantwortlich gemacht werden, dass sich menschliches Leben fortpflanzen kann. Und wenn sie die Rolle und Verantwortung von Männern bei der Erschaffung von Leben derart außer Acht lässt, wie es der Entwurf nahelegt.